Berlin. Nach 16 Jahren soll Hassan Raza Qadri sein Geschäft am Kottbusser Damm räumen. Dabei hat er Unterstützung von Anwohnern und Politikern.
Hassan Raza Qadri läuft die Zeit davon. Er führt ein Geschäft, das ihm Mitte 2018 zum Ende vergangenen Jahres gekündigt wurde. "Ich würde ja mehr zahlen", sagt der 60-Jährige. Aber der Vermieter habe ihm nicht einmal eine neue Mietforderung gestellt. Nur gehen soll er. Dabei ist Qadris Laden "Kamil Mode" keinesfalls in einer der aufstrebenden Gegenden von Friedrichshain-Kreuzberg sondern am eher rustikalen Kottbusser Damm.
Im Dezember beschloss die Bezirksverordnetenversammlung eine von den Grünen eingebrachte Resolution zur Rettung von Qadris Geschäft. Darin wurde der Eigentümer des Hauses nachdrücklich aufgefordert, sich mit dem Ladenbesitzer in Verbindung zu setzen und eine Absprache über die Fortsetzung des Mietverhältnisses zu treffen. Jeden Donnerstag kommen seitdem bei Qadri Gewerbetreibende und Bürgerinitiativen zusammen, um zu beraten, was überhaupt noch möglich ist. Eine Petition im Internet, die sich an den Vermieter wendet, tragen fast 1000 Menschen.
Mit Unterstützern zog Qadri nach polizeilicher Anmeldung der Demonstration sogar vor die Zehlendorfer und Wilmersdorfer Adressen des Eigentümers. Auf Verhandlungsangebote reagiere dieser allerdings nicht, sagt Qadri. Auch zu einer Stellungnahme auf Anfrage der Berliner Morgenpost war er nicht bereit.
Das Geschäft ist Qadris Lebenswerk. Als Asylbewerber kam er aus Pakistan nach Berlin. Er arbeitete im Textilhandel, akquirierte Hersteller und Lieferanten im Ausland. Dann machte er sich selbstständig, begann mit einem Stand auf dem Wochenmarkt am Maybachufer. "Ich bekam ein Gefühl dafür, was die Leute in dieser Gegend wollen." Inzwischen hat er einen deutschen Pass.
2002 eröffnete dann auf 61 Quadratmetern sein eigenes Geschäft. Seitdem verlegte er im einfach gestalteten Laden Teppich und steckte 35.000 Euro in die Erweiterung des Eingangsbereichs. Das Besondere am Angebot Quadris erschließt sich für manchen Westeuropäer nicht sofort. Für seine Kundinnen, die aus türkischen und arabischen Familien stammen, ist etwa seine meterhohe Auswahl von Kopftüchern mit unterschiedlichen Designs wichtig. "Meine Kundinnen brauchen außerdem Kleider, die nicht für schlanke Figuren entworfen wurden sondern weit geschnitten sind." Kundin Aliyah (18) aus der Kreuzberger Prinzenstraße ist überzeugt: "Es gibt keinen Laden wie diesen. In meiner Großfamilie kommen alle Frauen hierher." An Qadri gewandt, fragt sie "Öffnen Sie nicht woanders?"
Er und Frau Joanna (43) haben den Laden nach ihrem Sohn Kamil benannt. "Das bedeutet 'der Vollkommene' und 'perfekt'", sagt Qadri. Kamil ist inzwischen 22 Jahre alt und studiert Japanologie. So war er auch in Tokio, als ihn der aufgeregte Anruf des Vaters erreichte, ihm sei gekündigt worden. "Nichts unterschreiben", habe er erwidert, erinnert sich Kamil. Den Besuch in Asien brach er ab.
Aber weder er noch der Vater konnten die Lage verbessern. "Bitte machen Sie das nicht", habe Qadri zum Vermieter gesagt. "Das Geschäft ist meine Existenz." Der habe ihm empfohlen, sich in den Nebenstraßen umzusehen. Aber ein Wechsel übersteigt Qadris Möglichkeiten. "Für ein Geschäft hätte ich allein 12.000 Euro Maklergebühr zahlen müssen." Was Qadri verletzt ist der Umgangsstil. Er sei bereit gewesen, mehr als die jetzige Miete von 1200 Euro zu bieten. Wer sein Nachfolger ist und was er zahlt, weiß Qadri nicht. Zumindest hätte er sich gewünscht, seine Kündigung mit mehr Vorlauf zu erhalten. "Geben Sie mir wenigsten zwei Mode-Saisons", habe er den Vermieter gebeten, "damit ich alle Sommer und Wintertextilien loswerde."
Andreas Weeger, Mitglied des Grünen-Fraktionsvorstands in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg, der an der Resolution mitschrieb, unterstreicht, dass das Geschäft auch nach Ansicht der BVV zu den Läden zählt, die die Kreuzberger Mischung ausmachten. 1200 Euro seien zudem für das Geschäft bereits eine "ordentliche Miete". Er befürchte, dass Kamil Mode "etwas Hipperem weichen" müsse, so Weeger.
Pascal Meiser, Linken-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost sagt: "Der Fall ist dramatisch." Es werde oft übersehen, dass die Situation für Ladenbesitzer nicht mehr nur auf angesagten Straßen wie der Oranienstraße umschlägt. "Der Druck auf den Gewerbemietenmarkt drängt den Kottbusser Damm herunter", sagt er. Angesichts dessen fordert er Mindestvertragslaufzeiten für Gewerberäume, Mieterhöhungsgrenzen im Gewerbemietrecht und Kündigungsschutz bei unbefristeten Verträgen. Entsprechende Gesetzesänderungen, die Mietern wie Hassan Raza Qadri zugute kämen, sind allerdings nicht Ländersache sondern werden auf Bundesebene entschieden.
Qadri hofft nun, dass ihm der Eigentümer doch noch den Verbleib im Geschäft ermöglicht. Um sich zur Ruhe zu setzen, reiche sein Erspartes jedenfalls nicht. "Ich habe nicht wahnsinnig viel verdient, der Textilmarkt ist heiß umkämpft", sagt er. Einen Plan B habe er nicht. "Ich bin 60 Jahre alt. ich habe keine Kraft mehr, etwas neues aufzubauen."