Berlin. Ein Bürgerverein hat die Anwohner des Kottbusser Tors befragt. Das Ergebnis: Bei aller Unzufriedenheit lebt fast die Hälfte gern dort.

Fast die Hälfte der Anwohner sagt: „Momentan ist das Kottbusser Tor mein idealer Wohnort.“ Eine Studie hat Mieter vom Platz unter der Hochbahn nach ihrer Wohnsituation befragt und nach dem, was sie dort verändern würden. Der Bericht wird am heutigen Freitag öffentlich vorgestellt.

Verfasst wurde die Studie vom sozialen Träger Kotti-Coop e. V., der dort mit öffentlicher Förderung die Interessen von Mietern vertritt. Bewohner von sechs Häusern und Blöcken mit 15 bis 338 Wohnungen wurden im ersten Halbjahr 2018 befragt. Bei zwei Dritteln fällt in fünf bis zehn Jahren die Preisbindung fort.

Aus 1255 Wohnungen füllten 163 Menschen Fragebögen aus oder waren bei 21 Gruppeninterviews mit ein bis zehn Teilnehmern dabei. Matthias Clausen ist mit Gudrun Greve sowie weiteren Mitarbeitern Autor des Berichts und sagt, der Anteil der Mieter, die Auskunft gaben, sei im Rahmen ähnlicher stadtsoziologischer Erhebungen.

Überdurchschnittlich große Haushalte

Da geht es etwa um eine Liste dessen, was sie an ihrer Wohnsituation am meisten stört. An der Spitze steht Müll und mangelnde Sauberkeit. 71 Prozent nannten dies als Thema, für das sich Mieter zuallererst engagieren sollten. Es folgen „Miete und Nebenkosten“ mit 53 Prozent, danach die Bereiche Nachbarschaft, Hausmängel, Sicherheit, Zustand im öffentlichen Raum ihres Hauses sowie die Vergabe von Wohnungen und von Gewerbe. Bei aller Unzufriedenheit: 46 Prozent sind der Meinung, für sie sei der Kotti der ideale Wohnort. Ein Sechstel erwägt dagegen wegzuziehen.

Die Studie klärt auch, wie am Kottbusser Tor gewohnt wird. Durchschnittlich sind die Haushalte 2,89 Personen groß. Der Berliner Durchschnitt liegt bei 1,8. Jeder Bewohner hat durchschnittlich ein Zimmer zur Verfügung. Anwohner geben 41 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete aus. Ein Drittel der Teilnehmer der Studie lebt in einer Wohngemeinschaft.

In der Erstellung der Fragebögen mussten die Interviewer die besondere Situation am Kottbusser Tor berücksichtigen. Die Unterlagen wurden in Deutsch, Türkisch, Arabisch und Englisch verfasst. Insgesamt zwölf Sprachen, so das Ergebnis der Studie, sind in den Wohnungen üblich. In einem Fünftel wird nicht vornehmlich Deutsch gesprochen. Nach Deutsch dominiert Englisch vor Türkisch und Arabisch.

Ziel der Studie war es, herauszufinden, wie viel Mietermitbestimmung es dort bereits gibt und ob Anwohner bereit sind, sich verstärkt einzusetzen. Während an der Friedrichshainer Karl-Marx-Allee und an anderen Standorten der Stadt durch unterschiedliche Modelle versucht wird, privates Wohnungseigentum in Eigentum des Landes zu überführen, überlegen Politik und Aktivisten in Friedrichshain-Kreuzberg zunehmend, wie Mietergenossenschaften Wohnungen und Häuser stärker steuern und unterhalten könnten.

Ein Viertel der Befragten engagiert sich bereits in einer Initiative und oder einer Nachbarschaftshilfe, ein weiteres Viertel sagte, man wolle sich nicht einbringen. „Das ist eines der wichtigen Ergebnisse unserer Studie“, sagt Autor Clausen. „Die Menschen sagen, wenn ich mich als Mieter engagiere, muss es mir etwas bringen.“

Die Anwohner würden sich nicht aus dem Gefühl einer sozialen Verantwortung im Sinne bürgerlichen Engagements starkmachen. Am Ende müssten praktische Verbesserungen für sie stehen, so Clausen. Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) zog aus dem Bericht den Schluss: „Es besteht ein wenn auch unterschiedlich ausgeprägtes Bedürfnis, an Entscheidungen, die die eigene Wohnsituation betreffen, stärker mitzuwirken.“

Ins Milieuschutzgebiet Luisenstadt aufgenommen

Die ebenfalls im Kiez tätige Mietergemeinschaft Kotti & Co. mahnt in der Studie, dass das Ende der Schutzbestimmungen für ehemalige Sozialwohnungen näher rückt. „Mittlerweile wissen wir, dass die Zeit für uns hier abläuft. Uns bleiben nur noch wenige Jahre, bis unsere ohnehin schon kaum bezahlbaren Mieten explodieren werden, weil die Förderprogramme auslaufen und die Eigentümer dieses Ende sogar noch beschleunigen.“

Die Anwohner haben Grund zur Sorge: Zwischen 2011 und 2017 stiegen in ihrem Kiez die Angebotsmieten um 55 Prozent. Das Land Berlin hat am Kottbusser Tor mehrfach eingegriffen, um Mieter und Mieten zu schützen. So wurde im April 2017 – die aktuelle Studie war zu diesem Zeitpunkt noch in der Entstehung – der Gebäudekomplex des „Neuen Kreuzberger Zentrums“ mit 295 Sozialwohnungen und 90 Läden für 56,5 Millionen Euro gekauft. Statt an einen privaten Eigentümer ging der Bau an die landeseigene Gewobag.

Das südliche Kottbusser Tor wurde Ende 2017 ins Milieuschutzgebiet „Luisenstadt“ aufgenommen. In der weiter westlich gelegenen Otto-Suhr-Siedlung konnte der Bezirk den Eigentümer im Mai 2018 dazu bringen, Modernisierungen so vorzunehmen, dass für die Mieter eine Umlage von 1,79 Euro pro Quadratmeter nicht übersteigt.

Studie Heutige Vorstellung, 18 Uhr, im „Aquarium“, Skalitzer Str. 6, Kreuzberg