Kultur

In Kreuzberg gibt es Literatur zum Anfassen

| Lesedauer: 8 Minuten
Ulrike Borowczyk
Berliner Kulturmacher Amerika Gedenkbibliothek Volker Heller und Anna Jacobi

Berliner Kulturmacher Amerika Gedenkbibliothek Volker Heller und Anna Jacobi

Foto: Sergej Glanze / Glanze/Berliner Morgenpost

Volker Heller und Anna Jacobi veranstalten Lesungen und Vorträge, Filmvorstellungen und Diskussionsrunden in der Amerika-Gedenkbibliothek.

Seit neustem sieht man jeden Dienstags in der Amerika Gedenkbibliothek, kurz AGB, Leute mit Kopfhörern, die sich wissend anlächeln, wenn sie sich zwischen den Regalen begegnen. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine angesagte Hipster-Marotte, sondern um eine Veranstaltung der besonderen Art: Den „Silent Poetry Slam“. Ausgedacht von der Pressesprecherin der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) Anna Jacobi und ihrem Team. In dieser Funktion ist sie mit ZLB-Vorstand und Managementdirektor Volker Heller für Veranstaltungen in der Kreuzberger AGB und in der Berliner Stadtbibliothek in Mitte verantwortlich.

Wichtig ist laut Anna Jacobi dabei vor allem eines: „Die Veranstaltungen müssen einen Bezug zur Bibliothek haben. Sich etwa mit bestimmten Themen auseinandersetzen, die bei uns im Bestand zu finden sind.“ Wobei die weit gefächert sind, beherbergt die AGB doch neben Belletristik alle geisteswissenschaftlichen Themen, das Haus in Mitte alle Naturwissenschaften.

Berliner Amerika-Gedenkbibliothek wird saniert und umgebaut

Die Surfpoeten machen mit dem „Silent Poetry Slam“ vor, wie es geht. Die am längsten existierende Lesebühne der Stadt entert die Bücherei nicht einfach nur mit humorigen Geschichten. Sie nutzen dafür die Flüsteranlage, die sonst zu Bibliotheksführungen eingesetzt wird. Für die Surfpoeten, die ihr Publikum nicht sehen, ist das eine völlig neue Erfahrung. Nach der Premiere fragten sich die Künstler leicht irritiert: „War überhaupt jemand da?“

Die Anzahl der Hörer ist durch das limitierte Equipment zwar begrenzt, aber so wird keiner der Bibliotheksbesucher gestört. Die meisten kommen zum Lesen und Arbeiten her, andere zur Hausaufgabenhilfe. „Ich glaube, es gibt keine Kultureinrichtung in Berlin, die so niedrigschwellig ist wie wir. Wir werden förmlich überrannt. Das zeigen die Besucherzahlen von neun Millionen in den Bibliotheken pro Jahr. Davon 1,6 Millionen in der AGB“, sagt Volker Heller und nennt den Grund für den Ansturm: „Vor Ort ist alles kostenlos. Nur, wer Medien ausleihen und Dienstleistungen nutzen möchte, zahlt zehn Euro im Jahr.“

Eine Bar bietet Kaffee und kleine Snacks an

Wie sehr sich die 1954 erbaute AGB nach der Sanierung 2014 gemausert hat, zeigt Heller bei einem Rundgang. Durch große Fensterfronten mit Blick auf den Park ringsum wirkt der Saal hell und lichtdurchflutet. Es gibt Wlan, PCs für die Katalogrecherche und PC-Arbeitsplätze. Zudem wurde eine kleine Cafébar eingerichtet, die frischen Kaffee und Snacks anbietet. Kein Vergleich zum Kaffeeautomaten früherer Tage.

Eine besondere Neuerung ist der multifunktionale Salon zum entspannten Lesen. Hier finden auch Filmvorstellungen, Lesungen, Diskussionen und Vorträge statt. Außerdem befinden sich hier die Arthotek, aus der man Original-Kunstwerke auf Zeit leihen kann, und der Themenraum. Unter der Ägide von Volker Heller findet dort alle sechs Wochen eine Medienpräsentation von Büchern, Filmen und CDs zu aktuellen kulturellen und politischen Themen statt. Außerdem gibt es digitale Informationen und eine App, die man sich auf der Website der AGB runterladen kann.

Bis zum 30. Dezember kann man sich über das Thema „Syria – Berlin“ informieren. Kooperationspartner ist das Goethe-Institut. Für Volker Heller muss der Themenraum stets etwas inspirierendes haben. Wie auch Bibliotheken an sich für ein Ort sein sollten zum zurückziehen, lesen, treffen und arbeiten. „Es geht aber auch darum, Wissen untereinander zu teilen, zu vertiefen und anzureichern. Deshalb geben wir auch dem Wissen der Stadtbevölkerung einen Raum. Das kann eine Veranstaltung der Preußischen Eisenbahnfreunde oder eines Flüchtlingsvereins sein“, sagt Heller. Auch die „Shared-Reading“-Lesungen in der AGB, bei der erst Literatur gelesen und danach darüber gesprochen wird, gehören dazu.

Seine Karriere startete erals Jazz-Saxofonist

Man spürt schnell, dass der gebürtige Westfale mit Leidenschaft ganz im Sinne der Besucher für die ZLB streitet. Heller hat in Berlin und Hamburg Politik, Musik und Kulturmanagement studiert. Seine Karriere startete er als Jazz-Saxofonist, später war er als Projektleiter in der Unternehmensberatung sowie als städtischer Kulturreferent tätig. Von 2005 bis 2012 war er Leiter der Kulturabteilung des Berliner Senats, bevor er an die Spitze der ZLB wechselte. Damals stritt man um einen Neubau der ZLB, der die Standorte in Kreuzberg und Mitte zusammenführen sollte. Bekanntlich verzögerte der sich bis heute.

Volker Heller wünscht sich unbedingt einen Neubau. Nicht nur, weil die ZLB-Standorte längst an ihre Kapazitätsgrenzen gestoßen sind. „In der AGB erzeugt alles, was lauter ist, Konflikte. In Mitte können wir Veranstaltungen besser abschotten, haben dann aber keine Bibliotheksatmosphäre“, sagt er. „Für uns stellt sich immer die Frage, ob wir eine Veranstaltung durch diesen Ort besonders machen können?“, so Anna Jacobi, wie Volker Heller Jahrgang 1958 und aus Westfalen.

Die studierte Germanistin und Philosophin ist seit fast drei Jahrzehnten in der Berliner Kulturszene tätig. Unter anderem als Pressefrau des Hauses der Kulturen der Welt und des Tipis. Für die ZLB entwickelte sie immer wieder neue Veranstaltungsformate. Sehr am Herzen liegt ihr eine Veranstaltungsreihe mit Geflüchteten und Berlinern: „Ankommen in Berlin“. Im Rahmen des ZBL-Projekts „Berliner Großstadtgeschichten“ erzählen Menschen teils witzig, teils nachdenklich stimmend ihre Geschichte vom Ankommen in Kurzfilmen, die am 7. Dezember und am 19. Januar in der AGB zu sehen sind.

Einen Wunsch hat Heller noch für die Zukunft: Er möchte die AGB auch an Sonntagen öffnen. Bislang verbietet das Arbeitszeitgesetz das. Mit Veranstaltungen könnte man dieses Verbot umgehen. Volker Heller schwärmt jetzt schon: „An diesem Tag habe alle frei. Das wäre ein echter Meilenstein.“

Amerika-Gedenkbibliothek Blücherplatz 1, Kreuzberg, Mo.-Fr. 10-21 Uhr, Sbd. 10-19 Uhr Berliner Stadtbibliothek Breite Str. 30-36, Mitte, Mo.-Fr. 10-21 Uhr, Sbd. 10-19 Uhr, Tel. 90226-401, www.zlb.de

Kiez-Tipps Französische Spezialitäten und kreative Blumensträuße

Cafè Du Bonheur Für Volker Heller die beste französische Pâtisserie in Berlin. Unglaublich lecker, extrem erlesen. Egal, ob Feingebäck oder Brioche, Spezialitäten wie Cannelé Bordelais oder Kougelhopf, Herzhaftes wie Quiches: Alles ist handgemacht aus besten Zutaten. Und es wird ausschließlich Dinkelmehl verarbeitet.

Brunnenstr. 39, Mitte, Tel. 56 59 19 55, Mi.-Fr. 8-19 Uhr, Sbd. & So. 9-19 Uhr

Buchhandlung Ocelot Volker Heller bewundert den Mut, in Zeiten von Amazon und Co. einen innovativen Buchladen der neuen, charmanten Art zu eröffnen. Mit integriertem Café ist der Treffpunkt und Leseplatz in einem.

Brunnenstr. 181, Mitte, Tel. 97 89 45 92, Mo.- Sbd. 10-20 Uhr

Fidelio Der CD- und Plattenladen ist winzig. Jede Ecke vollgestopft mit Musik. Anna Jacobi mag das Sortiment. Hier findet man weniger Rock und Pop, aber dafür um so mehr Klassik, Weltmusik, Tango und Jazz, kleines Labels, Hörbücher und DVDs. Es gibt auch Second-Hand-CDs und LPs.

Akazienstr. 30, Schöneberg, Tel. 78 70 37 17, Mo.-Fr. 11-19 Uhr, Sbd. 9-15 Uhr

Ambiente floral Der Blumenladen von Duarte Cruz Castro begeistert Anna Jacobi. Hier gibt es besonders kreative Blumensträuße und Gestecke. Alle Blumen sind so frisch, dass sie richtig lange in der Blumenvase halten.

Am Bahnhof Grunewald 1, Grunewald, Tel. 0160-757 52 18, Mo.-Fr. 9-18 Uhr, Sbd. 9-14 Uhr