In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat der Berliner Künstler Jim Avignon sein eigenes Bild übermalt. Künstlerkollegen wollen ihn anzeigen, der Bezirk prüft ein Bußgeldverfahren.

Für die einen ist es lebendige Kunst, für die anderen schlicht ein Vergehen: Der Künstler Jim Avignon hat sein Bild „Doin It Cool For The East Side“ auf der East Side Gallery in Friedrichshain übermalt. Der 45 Jahre alte Berliner Pop-Art-Maler hat zusammen mit Kunstschülern die Motive aus dem Jahr 1990 am frühen Sonnabendmorgen übermalt. Statt kalten Kriegern mit gefletschten Zähnen beherrschen nun breit lächelnde Baulöwen und Spekulanten das „Bild 83“ der Mauergalerie in der Nähe des Ostbahnhofs.

Für Jim Avignon ist seine Aktion Teil der Veränderungen Berlins und Ausdruck einer lebendigen künstlerischen Entwicklung. Er beruft sich auf seine Urheberrechte, er könne sein eigenes Werk jederzeit verändern. Doch seine in der „Künstlerinitiative East Side Gallery“ zusammengeschlossenen Kollegen kritisieren die Nacht-und-Nebel-Aktion scharf. „Wir sind uns im Vorstand darüber einig, dass das eine völlig unzulässige Einzelaktion war“, sagte Initiativsprecher Lutz Weber am Montag. „Wir prüfen deshalb derzeit, ob wir Strafantrag stellen“, sagte Weber. Schließlich stehe die gesamte East Side Gallery unter Denkmalschutz.

In der Denkmalliste des Landes Berlin ist die East Side Gallery an der Mühlenstraße als Ganzes aufgeführt. „1,3 Kilometer langes Teilstück der Berliner Mauer mit Bemalungen und Graffitis“, heißt es dort. 1999 wurden mit finanzieller Unterstützung des Landes Berlin 100 der Wandbilder, die 118 Künstler aus 21 Länder nach dem Fall der Mauer gemalt hatten, von den Künstlern wiederhergestellt. Denn nicht nur Wind und Wetter machen der Straßenkunst an der East Side Gallery zu schaffen. Sie wird auch regelmäßig von anderen Graffitisprayern übertüncht. Jim Avignon hatte sich damals an der Restaurierung der East Side Gallery nicht beteiligt. „Wir haben seinerzeit mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ausdrücklich vereinbart, dass die Bilder Teil des Denkmals sind“, betonte Lutz Weber.

>>>Warum Jim Avignon sein Bild übermalte<<<

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, bei der die Obere Denkmalschutzbehörde angesiedelt ist, verweist auf die Untere Denkmalschutzbehörde im Bezirk. Friedrichshain-Kreuzberg müsse sich um die Angelegenheit kümmern, sagte eine Sprecherin. Für die untere Denkmalbehörde urteilt Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne), die Übermalung des Bildes durch Jim Avignon sei „keinesfalls mit bestehendem Denkmalschutz kompatibel“. Unter Schutz gestellt seien eben nicht nur die Mauerelemente, sondern auch die Kunstwerke darauf.

Die untere Denkmalschutzbehörde prüfe jetzt, ein Bußgeld gegen Jim Avignon zu verhängen. Auch, dass der Pop-Art-Künstler sein neues Werk wieder entfernen und das alte Bild wieder herstellen muss, sei als Auflage denkbar. Die Behörde werde aber „noch einige Tage brauchen, um den Vorgang zu prüfen“, sagte der Stadtrat.

„Ich bewege mich mit meiner Aktion in einem rechtlichen Vakuum. Es steht nur fest, dass kein anderer mein Bild verändern darf“, argumentiert Jim Avignon. Auf sein Urheberrecht könne sich Avignon schon deshalb nicht berufen, weil er das übermalte Wandbild „Doin It Cool For The East Side“ 1990 nicht alleine gemalt habe, kontert hingegen sein Künstlerkollege Weber. Das Bild war ein Gemeinschaftswerk von Jim Avignon, Miriam Butterfly und Thomas Fey. „Und die beiden anderen Künstler hat er gar nicht gefragt“, sagte Weber. „Bei dem alten Bild haben mir zwei Freunde geholfen“, räumte Avignon ein. „Die habe ich zwar nicht von der jetzigen Aktion informiert, sie treten aber ohnehin nicht künstlerisch in Erscheinung.“

Ein Meilenstein der Nachkriegsgeschichte

Der Streit um die Kunst ist nicht der einzige Konflikt an der East Side Gallery. Seit Monaten protestiert das Bündnis „East Side Gallery retten“ gegen das Hochhaus „Living Levels“ an der Mühlenstraße 60 und ein auf dem Nachbargrundstück geplantes Hotel am Spreeufer. Um für die Bauarbeiten eine Zufahrt zu schaffen, wurden Teile der denkmalgeschützten Mauergalerie entfernt – vorübergehend, wie die Investoren betonen. Zu Jim Avignons Aktion habe sich das Bündnis noch keine einheitliche Meinung gebildet, sagte Sprecher Lutz Leichsenring, der im Bündnis die Clubkommission vertritt, am Montag.

Er persönlich könne die Argumente beider Seiten nachvollziehen. Änderungen an der East Side Gallery dürfe es jedoch nur ausnahmsweise geben. „Es wäre natürlich nicht hinnehmbar, wenn die East Side Gallery komplett umgestaltet würde“, sagte Leichsenring. Es handele sich schließlich um einen Meilenstein der Nachkriegsgeschichte, ein wichtiges Dokument. Am 13. November will das Bündnis 100.000 Unterschriften gegen den Eingriff in die Mauergalerie durch die Bebauung des Spreeufers an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung übergeben.

Streit um Markenrechte für Motive

Unterdessen gibt es weitere Streitigkeiten um die Urheberrechte an den Motiven der East Side Gallery. Die Künstlerin Birgit Kinder will beim Patentamt die Löschung von Markenrechten für ihr bekanntes Bild „Test the Rest“ durchsetzen, das einen Trabanten beim Mauerdurchbruch zeigt. Ohne Zustimmung der Künstlerin habe die Berliner ESG East Side Gallery Merchandising GmbH, die Motive der East Side Gallery auf T-Shirts und anderen Gebrauchsgegenständen vermarktet, die Markenrechte für dieses Bild und andere Motive eintragen lassen.

„Leider wurden die Marken nach bisheriger Kenntnis nur verwendet, um Dritte abzumahnen“, heißt es in einem Anwaltschreiben an das Deutsche Patent- und Markenamt, das der Berliner Morgenpost vorliegt. Auch Hersteller von Postern, die das Trabi-Bild mit ausdrücklicher Zustimmung der Künstlerin gedruckt hätten, seien abgemahnt worden. Zudem unterliege ein Kunstwerk, das sich dauerhaft auf öffentlichen Plätzen befindet, ohnehin der sogenannten „Panoramafreiheit“.

Es könne jederzeit fotografiert werden, argumentieren Birgit Kinders Anwälte. Die East Side Merchandising GmbH war gestern nicht für eine Stellungnahme zu dem Vorgang erreichbar.