Aachener Straße

Nach Wohnungsbrand in Wilmersdorf: Was die Mieter vorfinden

| Lesedauer: 7 Minuten
Birgit Lotze
Das Haus ist noch da, die Zimmer nicht mehr. Mieter des ausgebrannten Wohnhauses an der Aachener Straße in Wilmersdorf wollen nachsehen, was ihnen an Habseligkeiten geblieben ist.

Das Haus ist noch da, die Zimmer nicht mehr. Mieter des ausgebrannten Wohnhauses an der Aachener Straße in Wilmersdorf wollen nachsehen, was ihnen an Habseligkeiten geblieben ist.

Foto: Birgit Lotze / BM

In der Nacht zu Dienstag brannte ein Wohnhaus in der Aachener Straße. Jetzt sind die Mieter erstmals zum Unglücksort zurückgekehrt.

Berlin. Nach dem Großbrand im Wohnhaus an der Aachener Straße 27 in Wilmersdorf in der Nacht zum Dienstag sind die Mieterinnen und Mieter erstmals wieder an den Unglücksort zurückgekommen. Sie dürfen ein paar Minuten hinein und sich das Notwendigste herausholen, hat das Bezirksamt angekündigt. Bewohnbar sei das Haus aber nicht mehr.

Die Mieter blicken auf schwarze Löcher, wo früher ihre Zimmer waren, auf den Ruß an der Fassade, den die hochschlagenden Flammen hinterließen. Sie sehen Reste ihres Inventars, das sich vor dem Haus türmt. „Wir sind jetzt alle wohnungslos“, sagt eine 83-jährige Bewohnerin mit gedrückter Stimme. Über 60 Jahre habe sie hier gelebt. Das Wort „furchtbar“ falle einem ein, wenn man von solchen Ereignissen höre oder lese. „Aber wenn Sie selbst in dieser Situation sind, ist das der Horror.“

Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, etwas aus der Wohnung zu holen

Sie habe alles verloren. Jetzt hofft sie, dass noch etwas Verwendbares in der Wohnung ist. „Ich habe mir einen Spickzettel gemacht.“ Das Wichtigste zuerst. Denn sie dürften wegen der Einsturzgefahr nur kurz ins Haus, und vielleicht nur dieses eine Mal.

Ein paar Tage sind vergangen, einige der Schwerverletzten sind noch in Kliniken. Schwere Rauchvergiftung, Herzinfarkt, Verbrennungen – viel Schlimmes ist passiert in der Nacht auf Dienstag. Auch die Mieter, die von dem Betreiber der Eckkneipe mit einer Leiter gerettet wurden, sind nicht dabei in der kleinen Versammlung am Wohnhaus.

„Es war ein Inferno“

„Das war ein Inferno“, sagt Birgit El-Sayed. Sie wohnt schon seit Jahrzehnten im ersten Stock des Hauses. Ein Rumms habe sie geweckt, erzählt sie. Sie dachte erst, der Kater sei vom Hochbett gefallen. Dann war alles plötzlich sehr laut, ein Getöse, Gestank, undurchdringlicher Qualm.

Sie habe nach dem Kater gerufen, unter dem Bett war er nicht. Dann wollte sie die Wohnzimmertür öffnen, eigentlich stehe die immer offen, es ging nicht. Da lag Schutt, sie dachte, da ist eine Wand heruntergekommen. „Ich konnte nichts sehen, gar nichts. Ich versuchte noch, das Licht anzumachen. Dabei immer dieses Getöse. Ich wusste gar nicht, dass ein Brand so laut sein kann.“

Der Ruß dringt in die Atemwege, im Mund ist alles schwarz

Der Ruß sei in die Atemwege eingedrungen. Später, im Krankenhaus, habe sie sich im Spiegel gar nicht erkannt, „es war wie eine Maske“. Und in ihrem Mund sei alles schwarz gewesen. „Ich sah aus wie Dracula.“

Birgit El-Sayed will zuallererst ihren Kater retten. Doch der Kater soll tot sein. Eine Nachbarin aus einem anderen Haus an der Straße sagt, die Feuerwehr habe ihn auf ihrem Bett gefunden. „Er ist bestimmt erstickt“, versucht die Nachbarin zu trösten. „Er kann nicht verbrannt sein, auf der hinteren Hausseite war der Qualm zuerst da.“ Ein wenig hofft Birgit El-Sayed immer noch, gleich ihren Kater lebendig vorzufinden.

Noch kommen sie nicht hinein. Die Feuerwehr ist noch in den Wohnungsüberresten, wieder einmal, die Kripo, auch Statiker sollen dabei sein. Sind sie fertig, ist alles gesichert, dürfen die Mieter unter Aufsicht kurz hinein, hat das Bezirksamt angekündigt. Man sieht, wie an der Außenwand gemessen und im Inneren des Wohnhauses fotografiert wird.

Was will sie als erstes aus der Wohnung retten? Nach dem Kater? Noch weiß Birgit El-Sayed nicht, was überhaupt noch da ist. Ihr Wohnzimmer ist völlig ausgebrannt, man sieht vor dem Gebäude auf die völlig verkohlte Zimmerdecke, die verbogenen Fensterrahmen. Sie will Bankunterlagen und Handy herausholen, Urkunden und Kleidung. Und die Trolleys, den kleinen und den großen, einen Koffer. Jetzt gerade hat sie nur das, was sie am Körper trägt, was sie am Vortag gekauft hat. Und die Schuhe, die sie in der Klinik bekommen hat.

Vor allem für die Älteren, die schon lange in dem Haus wohnen, ist es schwer. Sie haben das Gefühl, ihr ganzes Leben stecke in der Wohnung. Denjenigen, die erst in den vergangenen Jahren eingezogen sind, fällt die Trennung leichter. Ja, er habe Kleidung und auch seinen Computer in der Wohnung, sagt ein 27-Jähriger Mitbewohner. Doch das Wichtigste trage er bei sich. „Mein Leben habe ich in meinem Rucksack dabei.“

Die Mietergemeinschaft ist sehr gemischt in dem Haus. Da ist die Gruppe der Alt-Mieter, die über die Jahrzehnte zur Gemeinschaft zusammengewachsen sind. Inzwischen ist das Haus multikulti, einige junge Menschen sind eingezogen, es gibt mindestens eine Wohngemeinschaft.

Die meisten wissen nicht, wie es weitergehen soll

Wie es weitergehen soll, wissen die meisten nicht. Die Wurzeln sind gekappt. Joachim Münch aus dem dritten Stock, der Mann, der in der Brandnacht noch seine Nachbarn weckte, bevor er sich und seinen in eine Decke eingewickelten Hund durch das Treppenhaus ins Freie rettete, wohnt bei einem Freund. „Keine Dauerlösung“, sagt er. Noch wisse er nicht, wohin. Ein halbes Jahr werde das Haus unbewohnbar sein, hat ein Bekannter, der beruflich mit Sanierungen zu tun hat, ihm gesagt.

Andere Mieter sind in Hotels untergekommen. Das Bezirksamt hatte das organisiert, Birgit El-Sayed wurde nach der Behandlung in der Klinik mit dem Krankenwagen ins Hotel gefahren. Doch der Aufenthalt ist auf ein paar Tage begrenzt.

Ein Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung kommt zur Gruppe dazu, er hat vier große Mülltonnen vor das Haus geschoben. Er hat von der Feuerwehr einen Hinweis auf die Brandursache bekommen. „Fünf Propangasflaschen wurden in einer Wohnung gefunden. Deshalb hat es auch mehrmals so geknallt.“

Die Kriminalpolizei ist noch zurückhaltend, was die Brandursache angeht. „Wir haben noch kein eindeutiges Ergebnis“, sagt der Polizeisprecher. „Wir ermitteln noch.“ Nur das reine Vorhandensein von Propangasflaschen reiche nicht aus.

„Der Gestank geht nicht mehr raus“

Die Sicherungskräfte sind noch nicht fertig im Haus. Ein paar wenige Bewohner des Traktes, der nicht ausgebrannt ist, durften schon am Vortag in die Wohnung, um ihre Habseligkeiten herausholen. Eine junge Frau, Trainerin von Beruf, hat Sportgeräte, vor allem Hanteln herausgeholt, 72 Kilo schwer. Andere Kleidung.

Wenn man die wasche, könne man sie noch tragen, sagen sie. Doch in Rucksäcken und Schuhen stecke der Brandgeruch. Eine andere junge Frau sagt, sie müsse sich die Haare abschneiden. Sie wird dauernd an das Unglück erinnert. „Der Gestank geht nicht mehr raus.“