Berlin. Nach dem Vorfall am Tauentzien ist die Debatte um die Gitter am Breitscheidplatz in Berlin neu entbrannt.
Mit Schrecken starrten die Menschen aus der Sicherheitszone zum Tatort. Während sie selbst hinter den meterdicken Barrieren auf dem Breitscheidplatz flanierten, lenkte wenige Meter weiter südlich auf der anderen Straßenseite des Kurfürstendamms ein Mann seinen Kleinwagen in eine Menschengruppe auf dem Bürgersteig an der Ecke zur Rankestraße.
Offensichtlich hat die nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt 2016 errichtete schwere Mauer aus mit Sandsäcken und Steinen gefüllten Stahlgitterkörben nicht verhindert, dass die Gegend um die Gedächtniskirche erneut zu einem Ort wurde, wo Menschen durch ein Fahrzeug getötet und verletzt wurden.
Auf der einen Seite Absperrungen, auf der anderen die jetzige Todesfahrt
Berliner Politiker standen am Mittwoch zu stark unter dem Eindruck des schrecklichen Vorfalls, als dass sie sich zu weit vorwagt hätten mit Äußerungen zu den Konsequenzen, die die erneute Auto-Attacke im Herzen der City West nach sich ziehen sollte. Aber die Frage stellt sich schon: Macht es Sinn, einen Platz für 2,5 Millionen Euro aus dem Berliner Landeshaushalt mit hässlichen Absperrungen gegen Lastwagen zu sichern, während auf der anderen Straßenseite ein Kleinwagen riesigen Schaden anrichten kann?
Der FDP-Innenpolitiker Björn Jotzo war kurz nach der tödlichen Fahrt selbst an der Gedächtniskirche unterwegs. Ihm sei international keine Stadt bekannt, die den Schutz von Verkehrswegen so umgesetzt hat, dass man nicht mehr vorsätzlich mit dem Auto auf Gehwege fahren könne, gibt der Liberale zu bedenken. Es könne auch nicht das Ziel sein, die ganze Stadt so zu verbarrikadieren wie den Breitscheidplatz: „Was wir dort geschaffen haben, kann es nicht sein“, sagte Jotzo.
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Frage nach dem möglichen Motiv
Die am Mittwoch noch offene Frage, ob sich der Todesfahrer mit Absicht die Nähe zum Terror-Tatort von 2016 für seine Aktion aussuchte, kann tatsächlich relevant werden für das, was künftig in der City West passieren wird. War es eine weitere bewusste Attacke an diesem Ort, müsste die Stadt noch mehr tun, um die Gegend zu sichern. Sollte der erneute Tatort dem Zufall geschuldet sein und der Mann hätte auch auf jeden anderen belebten Bürgersteig in Berlin rasen können, muss man die Situation sicher anders bewerten.
Der SPD-Abgeordnete Christian Hochgrebe, der seinen Wahlkreis im Charlottenburger Norden hat und in der SPD-Fraktion den Arbeitskreis für Innenpolitik leitet, ist auch nicht begeistert, wie der Breitscheidplatz heute aussieht. Dringend müsse man über neue Schutzkonzepte diskutieren. Dabei will Hochgrebe auch einen „autofreien Kurfürstendamm und Tauentzienstraße“ nicht ausschließen. Auch die Grünen verwiesen darauf, dass weniger Autos in der Stadt generell für mehr Sicherheit für Fußgängerinnen und Fußgänger sorgten und dass man in der Stadtplanung auch solche Sicherheitsaspekte bedenken müsse. Wichtig sei, dass Autos nicht so einfach auf Gehwege fahren könnten, das gelte auch und gerade für zentrale, belebte Plätze.
Ort hat „hohe Symbolkraft“
Aus Sicht des SPD-Politikers Hochgrebe besitzt die Gegend um die Gedächtniskirche „hohe Symbolkraft als der zentrale Ort im Berliner Westen“. Niemand könne ausschließen, dass sich Täter diesen Ort für weitere derartige Handlungen aussuchten. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es in einer Stadt keine absolute Sicherheit gebe.
Das sieht auch der Linken-Innenexperte Niklas Schrader so. „Für mögliche Nachahmungstäter gibt es viele solcher Ziele in Berlin“, gibt der Abgeordnete zu bedenken. Es sei „extrem schwierig“, alle solchen Straßenecken wirklich zu sichern. Er verwies auf das Beispiel London, wo an vielen Straßen Geländer die Gehwege von den Fahrbahnen trennten.
Die Berliner Sicherheitsbehörden haben sich nach dem Lkw-Anschlag auf dem Breitscheidplatz vor fünfeinhalb Jahren intensiv mit der Frage befasst, wie sich solche Taten verhindern lassen und wie der öffentliche Raum gesichert werden kann.
Seit 2019 arbeiteten Hauptstadt-Polizisten mit neun europäischen Polizeibehörden an einem Projekt namens „Safer Space for Safer Cities – SafeCi“ (Sichererer Raum für sicherere Städte). Dabei ging es um Konzepte, Strategien und technische Hilfsmittel, mit denen öffentliche Räume geschützt werden können, wie es der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) im August 2020 vor dem Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Breitscheidplatz sagte.
Das Problem: Anschläge lassen sich nur sehr schwer verhindern
Im Jahr darauf erschien als Ergebnis des Austauschs das SafeCI-Handbuch, eine Art Leitfaden für den Schutz des öffentlichen Raumes. Aber auch daraus ergeben sich keine überall anwendbaren Handlungsanweisungen. „Maßnahmen zum Schutz öffentlicher Räume gegen abstrakte Anschlagsszenarien folgen keinen festen Regeln“, heißt es in dem Buch. Und auch eine Erfolgsgarantie wollen die Fachleute nicht geben: „Anschläge können per se nicht durch passive Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden. Sie lassen sich allenfalls erschweren, im Schadensausmaß verringern oder verdrängen.“
Die Sicherheitsexperten verweisen auf die zahlreichen Angebote, die für bauliche Sicherungen von Straßen und Plätzen auf dem Markt seien. Geprüft und zertifiziert leisteten diese ein „vordefiniertes Maß an Sicherheit“. Zudem sei es möglich, durch spezielle Verkehrsführungen Gefahren zu mindern. Stadtmöbel könnten als „Überfahrschutz“ konstruktiv verstärkt und fest im Boden verankert werden. Andernfalls könnten etwa Bänke im Falle eines Fahrzeugaufpralls selbst zum gefährlichen Geschoss werden.
Massiver Schutz kann das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen
Baulicher Terrorschutz könne sogar im Widerspruch zu anderen Zielen der sogenannten „Städtebaulichen Kriminalprävention“ stehen, warnen die Sicherheitsexperten. Wo eigentlich Übersichtlichkeit und Barrierefreiheit gewünscht sei, könne die Anfälligkeit steigen, weil Fahrzeuge oder Splitter auf weniger Hindernisse treffen und weniger Deckungs- und Fluchtmöglichkeiten vorhanden seien. „Gut sichtbare Sicherheitsmaßnahmen wie Poller und Zäune können zudem das Sicherheitsgefühl beinträchtigen, da der Eindruck entstehen könnte, man halte sich in einem besonders gefährdeten Raum auf.“