Dramatische Lage

Personalnotstand: Totentanz im Rathaus Charlottenburg

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Carolin Brühl
Ein stolzes Gebäude mit viel Tradition, doch im Rathaus Charlottenburg kämpft der Bezirk mit massivem Personalmangel.

Ein stolzes Gebäude mit viel Tradition, doch im Rathaus Charlottenburg kämpft der Bezirk mit massivem Personalmangel.

Foto: Thomas Schubert

Berlins Bezirke können einige Aufgaben kaum noch erfüllen. In der City West mussten die Toten zwei Wochen auf ihre Bestattung warten.

Charlottenburg-Wilmersdorf. Auf den ersten Blick wirkte die Mitteilung des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf unspektakulär: „Die Friedhofverwaltungen sind in der Zeit vom 29. Oktober bis 7. November 2018 nicht erreichbar. Betroffen sind die Friedhöfe: Berliner Straße 81–103, Misdroyer Straße 51–53, Bornstedter Straße 11–12, Am Hain 1, Friedhöfe Waldfriedhof Stahnsdorf, Wilmersdorfer Waldfriedhof Güterfelde.“ Die Konsequenz: Bestatter konnten fast zwei Wochen lang keinen Verstorbenen auf den Friedhöfen des Bezirks beerdigen. Angehörige mussten nicht nur lange auf die Bestattung auf dem Friedhof ihrer Wahl warten, sondern zusätzlich 19,50 Euro pro Tag für die Kühlkammern tragen.

"Es war einfach keiner da"

Der für die Friedhöfe zuständige Stadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) hatte schon mehrfach auf die dramatische Personalsituation in seiner Abteilung, die einen geregelten Ablauf fast unmöglich mache, hingewiesen. Auf die Frage, ob in Charlottenburg-Wilmersdorf tatsächlich fast zwei Wochen keine Toten bestattet hätten werden können, antwortet er mit einem knappen: „Ja, es war einfach keiner da.“ Und es würde noch schlimmer werden, fügt er fast resigniert hinzu. Betroffen habe dies nach seiner Kenntnis etwa 20 Beerdigungen.

Inzwischen wird in Charlottenburg-Wilmersdorf wieder bestattet, doch ausgeschlossen ist es nicht, dass sich so ein Vorfall wiederholt. Die Personalsituation ist noch immer knapp vor dem Kollaps. Vor allem in Bereichen, in denen hoch qualifizierte Mitarbeiter gebraucht werden, gibt es Engpässe. Ärzte für den medizinischen Dienst, Hoch- und Tiefbauingenieure, die für Straßen- und Wohnungsbau oder die Bauaufsicht werden dringend gesucht. Die fehlenden Bewerber erhöhen auch die Belastung auf die Mitarbeiter, die noch da sind, sagt Schruoffeneger. Für Bürger, die ein dringendes Anliegen haben, machen einige Ämter im wahrsten Sinne des Wortes die Schotten dicht: Bauherr Dirk Gädeke, der seit Jahren die Kant-Garagen umbauen will, erzählt von einer Szene, in der er sich so lange vor die abgeschlossene Tür einer Mitarbeiterin des Stadtplanungsamts postiert hat, bis diese ihr Büro verließ, und er sie direkt wegen eines Anliegens ansprechen konnte. Auf Anrufe, Mail oder Briefe habe vorher niemand reagiert.

22 Prozent der Stellen sind nicht besetzt

In den Rathäusern der Bezirke knirscht es. Der jahrelange Einstellungsstopp schlägt nun erst richtig durch, weil viele Mitarbeiter fast gleichzeitig in den Ruhestand, geeignete Bewerber aber auf sich warten lassen. In Charlottenburg-Wilmersdorf ist die Situation besonders dramatisch. In der Verwaltung des westlichen City-Bezirks waren zum Stichtag 1. August 2018 laut dem für Personal verantwortlichen Stadtrat, Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD), von etwa 1700 Stellen 383,834 (22 Prozent) unbesetzt.

Allein in der Abteilung Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt fehlen 110,53 Mitarbeiter. Doch auch in der Abteilung Jugend, Familie, Bildung, Sport und Kultur sind 88,627 Stellen unbesetzt, bei Soziales und Gesundheit 72,05, im Bereich Bürgerdienste, Wirtschafts- und Ordnungsangelegenheiten gibt es 64,75 Vakanzen und selbst im Ressort von Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD) fehlen 47,877 neue Mitarbeiter.

Auch in anderen Bezirken fehlt es an Personal

Naumann hält die Situation freilich nicht für einen Sonderfall und die Situation auch in den anderen Bezirken für ähnlich. Zwar haben auch andere Bezirke viele Stellen offen, doch zur Zahl in der City West gibt es deutlich Abstand: Seiner Friedrichshain-Kreuzberger Kollegin Monika Herrmann (Grüne) fehlen lediglich 67,67 Mitarbeiter, Helmut Kleebank (SPD) aus Spandau vermeldet 82,25, Reinickendorfs Rathauschef Frank Balzer (CDU) führt gerade einmal 59,73 freie Stellen auf. Etwas angespannter ist die Situation im Südwesten, wo Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) 191,78 Stellen zu besetzen hat und auch in Treptow-Köpenick, wo SPD-Rathaus-Chef Oliver Igel nach 239,07 neuen Verwaltungsmitarbeitern sucht.

Als Grund für das Ungleichgewicht zwischen seinem Bezirk und anderen sieht der Charlottenburg-Wilmersdorfer Rathaus-Chef „andere Zählweisen“. Zu fehlenden Mitarbeitern zähle sein Haus beispielsweise auch 33 Auszubildenden im Grünflächenbereich, die nicht eingestellt werden könnten, weil ein Ausbilder fehle. 31,05 Stellen seien nur befristet, beispielsweise wegen Elternzeit,Teilzeit oder Sabbaticals frei. „Diese Stellen haben wir mit eingerechnet, ich vermute mal, andere Bezirke zählen anders“, so Naumann.

Selbst im zentralen Stellenbesetzungsbüro fehlen Mitarbeiter

Naumann setzt auf sein zentrales Stellenbesetzungsbüro, das es neben Neukölln seit zwei Jahren auch im westlichen City-Bezirk gibt. „Immerhin haben wir zwischen 1. September 2017 und 31. August 2018 189 Stellen ausgeschrieben, davon seien 174 auch besetzt worden.“ Doch selbst im zentralen Besetzungsbüro fehlen Mitarbeiter. Naumann räumt ein, dass auch dort von den neun vorgesehenen Stellen lediglich sechs tatsächlich besetzt sind. „Nach 15 Jahren Personalabbau sind in den Verwaltungen auch in diesem Bereich überall Stellen runtergeschrubbt worden“, sagt er. Rätselhaft bleibt allerdings auch, wo auf der Seite des Bezirksamts man die offenen Stellen oder einen Kontakt zum zentralen Stellenbesetzungsbüro finden kann.

Auch in Mitte waren zum 1. Oktober 244 Stellen unbesetzt. „Das ist weniger als zehn Prozent, das ist in jedem großen Unternehmen nicht anders“, sagt Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne). Sein Bezirk testet aber neue Wege und rückt sich beispielsweise bei potenziellen Bewerbern mit einem eigenen Image-Film ins rechte Licht. „Wir haben schon von einigen Bewerbern gehört, dass der Film gefallen hat und man dadurch hätte spüren können, dass wir an frischen Wind interessiert sind“, sagt von Dassel. Letztendlich entscheide bei einem Bewerber aber Aufgabe, Entlohnung und Arbeitsort. „Manchmal hat man endlich jemanden gefunden und der oder die geht nach drei Monaten schon wieder, weil er noch ein besseres Angebote gefunden hat“, so der Verwaltungschef. Einer der Gründe für schnelle Wechsel sei auch die Entfernung zwischen Arbeits- und Wohnort. „Für viele Angestellte ist das Wohnen in den zentralen Bezirken inzwischen zu teuer geworden. Wenn man in Spandau wohnt, kann man zwar nach Mitte fahren, wenn man dann aber einen gleich guten Job in Spandau angeboten bekommt, dann geht man eben dort hin, weil man dann einfach die Fahrzeit spart“, so von Dassel.

Senatsverwaltung und Bezirke in Konkurrenz

Was Naumann und seinen Kollegen von Dassel gleichermaßen ärgert, ist die ungleiche Bewertung der Stellen zwischen den Bezirken und dem Senat. „Es heißt dann zwar immer, es sind andere Aufgaben, aber das sehen wir anders“, sagt von Dassel. Beispielsweise werde das Bearbeiten von Bebauungsplänen im Bezirk mit E11 dotiert, beim Senat aber mit E14. Drei Gehaltsstufen Unterschied seien nicht zu rechtfertigen.

Die dramatische Personalsituation in Charlottenburg-Wilmersdorf stößt unterdessen auf massive Kritik bei der Opposition. Maximilian Rexrodt, personalpolitischer Sprecher der FDP, hält die Situation für hausgemacht und wirft Naumann Versäumnisse vor. „In der letzten Haushaltsplanung hat der Bezirksbürgermeister viel Geld für Personalaufbau gefordert. Das war sein Steckenpferd. Es wurde bewilligt, aber er hat dieses Ziel einfach nicht erreicht.“ Naumann sei auch nicht bereit, neue Wege zu gehen, sagt Rexrodt. „Man findet auf keiner digitalen Plattform wie Linkedin, Indeed oder Monster etwas über die Stellenausschreibungen.“ Qualifizierte Mit­arbeiter müssten heutzutage aber offensiver gesucht werden“, sagt er.

„Dass sich das zentrale Stellenbesetzungsbüro des Bezirksamts selbst nicht besetzt bekommt, ist schon ein bisschen absurd“, wundert sich auch Grünen-Fraktionschef Christoph Wapler. Er fordert eine bessere Kooperation mit den Jobcentern. Zudem müsse die gegenseitige „Kannibalisierung“ zwischen Bezirken und dem Land, sich gegenseitig Fachkräfte abzujagen, endlich aufhören.

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