Charlottenburg-Wilmersdorf. Verständigungsprobleme dürften für Slawek Klonowski ein Fremdwort sein. Geboren in Polen wuchs er in Amsterdam auf, spricht Polnisch, Niederländisch und dank seines Slawistikstudiums Russisch und Tschechisch. Slowakisch verstehe er, so der 39-Jährige. Nicht zuletzt durch seine Arbeit als Übersetzer in London und Berlin kamen Englisch und Deutsch hinzu. Trotz dieser umfassenden Sprachkenntnisse wirkt er bescheiden, zurückhaltend und sogar etwas schüchtern. Er lächelt viel. Ein ansteckendes Lächeln, das sofort verschwindet, wenn er von der schlimmsten Zeit seines Lebens erzählt.
2012 verlor Klonowski seinen Job und kurz darauf seine Wohnung in Berlin. „Ich hab Fehler gemacht – nur Party, Party, Party“, räumt er heute ein. Angst sei sein erster Gedanken gewesen, als er auf der Straße stand. Ein paar Mal sei er bestohlen worden. „Das Schlimmste ist aber die Gewalt.“ Einmal habe ihn ein anderer Obdachloser so stark geschlagen, dass sein Kiefer brach. Ab da habe er es vorgezogen, im Winter im Park statt in einer Gemeinschaftsunterkunft der Kältehilfe zu schlafen. Versuche in dieser Zeit wieder Arbeit zu finden, waren lange vergebens.
Vom Obdachlosen zum Obdachlosenhelfer
Im Januar 2018 sollte sich die Situation ändern. Der Wilmersdorfer Flüchtlingsheimbetreiber Apardo startete die Initiative "City West hilft" und stellte Klonowski nicht zuletzt wegen seiner Sprachkenntnisse als Obdachlosenhelfer ein. Im Winter verteilte er gemeinsam mit seinem Kollegen Sven Wegewitz vor allem warme Kleidung und Schlafsäcke. Bis zu sechs Tage die Woche waren sie dafür insbesondere in Charlottenburg-Wilmersdorf unterwegs. Nach der Kältesaison wurde das Angebot zwar zurückgefahren, aber nicht vollständig eingestellt. Denn die Menschen auf der Straße bräuchten weiterhin Hilfe, so Klonowski. "Alkohol, Dehydrierung, Hitze: Im Sommer sterben viel mehr Obdachlose, als im Winter."
Rund vier Stunden sind die beiden Helfer an diesem Abend im August unterwegs. Wegewitz steuert den Wagen, Klonowski hält Ausschau nach bekannten Gesichtern. Eine feste Route gibt es nicht. Viele Obdachlose würden sich immer wieder neue Plätze suchen, etwa weil eine Baustelle entstünden oder sie schlicht vertrieben würden, erklärt Wegewitz. Einige Orte wie der Wittenberg- oder der Savignyplatz werden mehrfach angefahren. Beladen ist der Kleintransporter mit Wasser, Hygieneartikeln wie Rasierern und Zahnbürsten, Fünf-Minuten-Terrinen, Tee und Kaffee. „Es geht aber vor allem darum, mit Menschen zu sprechen, ihre Geschichten zu hören“, sagt Klonowski.
Die Helfer halten am Kurfürstendamm, wo Matze vor einer schicken Boutique sitzt und Obdachlosenmagazine verkauft, aber von den meisten Passanten keines Blickes gewürdigt wird. Sie stoppen am Hohenzollernplatz und geben Marek einen Kaffee und einen Kartoffelbrei. Am Wittenbergplatz unterhält sich Klonowski lange mit seinem Landsmann Jacek auf Polnisch. Ingo, der unter der S-Bahnbrücke an der Lewishamstraße sein Lager ausgebreitet hat, nimmt dankbar etwas zu essen und einen Tee entgegen. Von Christian und seiner Gruppe, deren Aufenthaltsort auf Wunsch ungenannt bleibt, werden die Helfer bereits freudig erwartet. Lange unterhalten sie sich. Die Atmosphäre ist freundschaftlich. Es geht um Fußball, um alltägliche Dinge, um gemeinsame Erfahrungen.
Du darfst die Geschichten nicht mit nach Hause nehmen
Andere Begegnungen dieses Abends sind weit weniger fröhlich. Lange sitzt Wegewitz am Stuttgarter Platz neben einem jungen Mann. Die meiste Zeit hört der 51-Jährige einfach nur zu. Kein Obdachloser, aber schwer alkoholkrank und verzweifelt, fasst er später zusammen. „Er hat mich gebeten, ihm da raus zu helfen.“ Er habe ihm einige Anlaufstellen genannt und versucht ihn zu motivieren, sich Unterstützung zu suchen.
Er helfe aus Mitgefühl, nicht aus Mitleid, so Wegewitz. "Du darfst die Geschichten nicht mit nach Hause nehmen." Immer gelänge ihm das aber nicht. "Zum Beispiel Jenny, 21 Jahre, Abitur abgebrochen, nach Berlin gekommen und mit dem Fixen angefangen – der Verfall geht so schnell, wenn man es beobachtet." Ein Schicksal, das ihn lange beschäftigt hätte. Dennoch liebe er seinen Job. "Es ist der beste, den ich jemals hatte." Klonowski pflichtet ihm unwidersprochen bei.
Initiator vermisst Unterstützung der Behörden
Er wolle etwas zurückgeben und dort ansetzen, wo die Not am größten ist, so Apardo-Geschäftsführer Arshiya Mofrad, der selbst Mitte der Neunziger als Flüchtling aus dem Iran nach Berlin kam. Um das Problem der Obdachlosigkeit zu lösen, sei auch die Zivilgesellschaft in der Pflicht. Die jährlichen Kosten für "City West hilft" beziffert Mofrad auf 30.000 bis 40.000 Euro. Diese würden komplett vom Unternehmen, ihm selbst und aus Spenden finanziert. Zu den Unterstützern gehören der CDU-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf sowie die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Moabit. Auch die Berliner Sparkasse half mit einer einmaligen Spende von 2000 Euro.
Staatliche Gelder habe er zwar nicht beantragt, so Mofrad. "Was wir uns aber gewünscht haben, war mindestens eine moralische Unterstützung der Behörden." Immer wieder habe man die Verantwortlichen in Senat und Bezirk eingeladen, sich selbst ein Bild zu machen. Gekommen sei bislang aber niemand. Politisch Verantwortliche könnten auf das Projekt aufmerksam machen, wünscht sich Mofrad. "Hier gibt es etwas, das vielleicht Vorbildfunktion für andere Unternehmer hat." Und Unternehmer gebe es in der City West, die nicht zuletzt durch die Bahnhofsmission am Zoo seit Jahren ein Anlaufpunkt für Obdachlose ist, genug.