Berlin

Die letzte Bestellung

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Brigitte Schmiemann

Erst wenn die Frackhose für Max Raabe fertig ist, schließt Schneider Günter Adam seinen Laden an der Meinekestraße – nach 51 Jahren

Sieben auf einen Streich hat er noch nicht erschlagen. Ein tapferes Schneiderlein ist Günter Adam trotzdem. Seit 51 Jahren arbeitet er als selbstständiger Schneider, seit 67 Jahren übt er seinen Beruf aus. Gerade hat er seinen letzten Auftrag angenommen. Eine Frackhose für Entertainer Max Raabe.

Vor wenigen Tagen erst feierte der bekannte Schneider aus der Charlottenburger Meineke­straße 6 seinen 81. Geburtstag. Am Freitag, den 20. Mai, will der Urberliner seinen Laden dann für immer schließen. Danach gehören Verpflichtungen der Vergangenheit an. Mit seiner Frau Beate macht er erst einmal Urlaub „im Land, wo die Zitronen blühn“. Genauer: auf Sizilien, wie er freudig erzählt.

Das leere Ladengeschäft, das Adam gehört, wird verkauft. Seine Tochter in Bamberg wollte den Betrieb nicht weiterführen. Das letzte Kostüm, das er für seine Frau geschneidert hat, ist längst fertig. Rosafarben. „Das muss ich nur noch bügeln“, sagt Adam. Schauspieler, Sänger, Schlagerproduzenten gaben sich bei Adam die Klinke in die Hand – Walter Giller, Harald Juhnke, Dieter Thomas Heck, Michael Holm, Tony Marshall, Silvio Francesco, Wolfgang Völz, Eddi Arent, Gert Fröbe, Helmut Lohner, Rudolf Schock, Jack White, Christian Ulmen, Udo Lindenberg, Hanns Zischler sind nur Beispiele aus dem Gästebuch. Zu seinen weiblichen Kunden zählten Nina Ruge und Nadja Tiller.

Für Frauen schneiderte er Mäntel, Kostüme, aber auch Hosenanzüge wie für Schauspielerin Meret Becker. „Den Prominentenschneider hat mir aber die Presse angehängt, ich freu mich darüber“, lacht er und ergänzt: „Von den Prominenten allein hätte ich aber nicht leben können.“ Im kleinen Laden an der Meinekestraße, nur einen Steinwurf vom Kurfürstendamm entfernt, hat Meister Adam, wie ihn viele seiner Kunden nennen, so manches gute Stück angefertigt. Vier bis fünf Wochen Wartezeit mussten die Kunden in Kauf nehmen, bis sie die Maßanfertigung am Ende ihr Eigen nennen durften.

Messen, zuschneiden, nähen gehören zum eingespielten Ablauf. Bei der ersten Probe ist das Sakko noch ohne Ärmel, bei der zweiten Probe dann bereits mit Futter und Taschen versehen. Ein Anzug kostet mit Stoff um die 1700 Euro, ein Kostüm 1600 Euro, verrät Adam.

„Ein gutes Bügeleisen mussmindestens 4,5 Kilo wiegen“

In der kleinen Atelierwerkstatt, die sich gleich hinter dem Laden anschließt, hat der erfahrene Schneider alle Instrumente, die er benötigt. Eine alte Pfaff-Nähmaschine, eine Spezialmaschine, um die Nähte abzuketteln, damit sie nicht ausfransen. Sein Bügeleisen sieht aus, als stammt es aus einem Museum. „Es ist bestimmt 40 Jahre alt“, gibt Adam zu. „Und ich muss es immer selbst reparieren. Solche Geräte gibt es heute nicht mehr. Ein gutes Bügeleisen muss mindestens 4,5 Kilo wiegen“, sagt er.

Sein Ladengeschäft hat er schon früh mit dekorativen englischen Stilmöbeln ausgestattet. Seine Leidenschaft für Klassikmöbel entfachte, als er Ende der 60er-Jahre auf Elba einen Antiquitätenhändler aus Berlin kennenlernte. Für einen Schrank nähte ihm Adam damals zwei Anzüge. Auch heute ist das Ambiente im Laden stilvoll, mit Kronleuchter und Récamière. Auf der Kommode mit Marmorplatte liegen Musterbücher mit Stoffen, und im bequemen Queen-Anne-Sessel mit dem flaschengrünen Bezug hat schon so mancher Prominente Platz genommen. „Warum soll man es nicht schön haben, wo man arbeitet?“, fragt Adam wohl eher rhetorisch.

Günter Adam wurde am 13. Mai 1935 in Berlin geboren, mit 14 Jahren begann er seine Lehre bei einem Schneider in Weißensee. „Mein Vater hatte nach dem Krieg gemeint: ,Als Schneider kommste immer durch‘“, erinnert er sich. Und weil er Linkshänder war, habe er sogar eine Prüfung machen müssen. Sein Lehrmeister wollte, dass er mit der rechten Hand arbeitete. „Heute mache ich fast alles mit rechts, außer wenn ich impulsiv bin, dann mache ich die Handgriffe immer noch mit links“, lacht er.

Nach den Gesellenjahren und der Meisterprüfung, die er in Düsseldorf ablegte, ging Adam bewusst nach West-Berlin. „Ich hatte mit dem kommunistischen System nichts am Hut“, fasst er die Zeit zusammen, die für ihn nicht einfach war, auch schon einige Jahre vor dem Mauerbau. „Berlin war damals Notstandsgebiet, und man musste selbst als Berliner eine Dauerbeschäftigung nachweisen, um wie ich von Düsseldorf wieder zuziehen zu dürfen“, erinnert er sich. Die Eltern seien froh gewesen, dass „der Junge wieder in Berlin war“. Mit dem Mauerbau schließlich wurde die Familie für viele Jahre getrennt. Er war der Einzige aus der Familie, der in West-Berlin lebte. „Es war eine schlimme Zeit, man hat auch wenig verdient“, so Adam. Am 1. April 1965 war es dann so weit: Er machte sich selbstständig und kaufte die Schneiderei im Haus Meinekestraße 6. Für 3000 DM, die Miete war günstig, Vermieter war die Allianz. 1984 schließlich wurde alles im Haus, auch die Ladengeschäfte, in Eigentum umgewandelt. Er entschied, den kleineren Nachbarladen im Haus zu kaufen. „Von niemandem abhängig zu sein, war immer schon meine Devise“, freut er sich noch heute.

Die Kudamm-Bühnen gaben ihm viele Aufträge

Die 70er- und 80er-Jahre waren für Schneider Adam „die Blütezeit der Schneiderei. Die Menschen waren modebewusster als heute und haben mehr Wert auf Kleidung gelegt“. Goldgräberzeit sei auch noch in den 90er-Jahren gewesen. Die Kudamm-Bühnen ließen bei ihm arbeiten, das Schloßpark-Theater, das Renaissance-Theater, sogar die Deutsche Oper aus Krankheitsgründen. Doch spätestens Mitte der 90er-Jahre sei das blühende Geschäft mit den Theatern vorbei gewesen. Sie hätten den Rotstift angesetzt.

Über mangelnde Kundschaft konnte er aber auch da nicht klagen. Sein Können hatte sich auch in der Bar jeder Vernunft herumgesprochen. Die Geschwister Pfister, Tim Fischer oder Udo Lindenberg – alle seien gekommen. Gerade hat er nach Fotos und Angaben des Kunden beispielsweise noch ein englisches Mantelensemble gefertigt, Sherlock Holmes nachempfunden, der Mantel hat keine Ärmel, sondern wird von einem Cape bedeckt.

Den festen englischen Tweedstoff hat Adam über einen Großhändler in England bestellt, denn auch in der Stoffbranche hat sich einiges verändert. „Früher gab es in Berlin sieben Stoffhäuser, heute gibt es keines von ihnen mehr. Das ist auch einer der Gründe, die mich zwingen, aufzuhören“, sagt er. Zudem gebe es kaum noch Lieferanten für Zubehör. Die Sakkostoffe würden immer dünner, die Einlagestoffe hingegen immer robuster: „Die sind nicht mehr gut zu verarbeiten und entsprechen nicht meinem Qualitätsanspruch“, sagt Adam. Stoffe müssten fließen, gut fallen. „Das ist in all den Jahren gleich geblieben und wird sich auch nie ändern“, sagt Adam.