Berlin hat vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gesiegt. Der Entschädigungsbehörde der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist es gelungen, vor dem höchsten deutschen Gericht Ansprüche privater Bauherren gegen die Stadt abzuwenden. Eine Brache in Prenzlauer Berg, die der Bezirk Pankow zur Grünfläche erklärt hatte, muss nicht zu dem höheren Wert als Bauland entschädigt werden. Statt der geforderten 225.000 Euro erhielten die Eigentümer der Fläche nur 105.000 Euro.
Diesen Erfolg machte das Haus von Bausenator Andreas Geisel (SPD) jedoch nicht publik. Dabei könnte das Grundsatzurteil durchaus entscheidende Bedeutung für den wohl heißesten Grundstückskonflikt der Stadt haben: den Streit um die Bebauung der Wilmersdorfer Kleingartenkolonie Oeynhausen. Hier stehen nach mancher juristischer Lesart bis zu 30 Millionen Euro Entschädigung im Raum, wenn dem Eigentümer, dem Luxemburger Finanzinvestor Lorac, das Baurecht verweigert wird. Der drohende Millionenschaden war das stärkste Argument von Charlottenburg-Wilmersdorfs Bürgermeister Reinhard Naumann und Baustadtrat Marc Schulte (beide SPD), eine Bebauung zu gestatten, obwohl sich vor einem Jahr ein Bürgerentscheid mit deutlicher Mehrheit dafür ausgesprochen hatte, die Kolonie zu erhalten.
Den diskreten Umgang mit dem brisanten Urteil erklärt sich Alban Becker, der Vorsitzende des Kleingärtnervereins Oeynhausen, so: „Man will damit nicht herausgehen, weil das Urteil einigen Investoren Druckmittel entzieht, die politisch verwendet werden.“
Verfassungsgericht kassiert Teil des BGH-Urteils
Mit seinem Spruch vom 16. Dezember 2014 kassierten die Verfassungsrichter jedoch einen gewichtigen Teil der Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes. Er hatte bei Grundeigentümern oftmals ein „Sonderopfer“ durch sogenannte Planungsschäden erkannt, die durch politische Entscheidungen über die Nutzung von Grundstücken entstehen, die auch sieben Jahre nach der Erteilung von Baurecht nicht bebaut wurden. Entsprechend bestand für Kommunen bisher das Risiko, dass Bauherren für entgangene Gewinne mit Millionensummen zu entschädigen sind, wenn wie im Berliner Fall Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) Flächen für Spielplätze oder eben Kleingärten auf Geländen ausweisen, für die irgendwann einmal eine Bebauung vorgesehen sein mag. „Das Auslegungsergebnis des Bundesgerichtshofes“ widerspreche dem „klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers“, heißt es nun im Urteil des Verfassungsgerichts.
Der Sprecher von Bausenator Geisel sagte, man sei dabei, das Urteil zu prüfen. Ob die Ergebnisse auf Oeynhausen übertragbar seien, „dazu wagen wir noch keine Festlegung“. Im Streit um die Kolonie stärkt Karlsruhe jedoch die Position derjenigen, die das Entschädigungsargument schon immer für unseriös hielten. Ein weiteres Argument lieferte jetzt ein Gutachten des Juristen Michael Wild aus der renommierten Kudamm-Kanzlei Malmendier Partners im Auftrag der BVV-Fraktionen von CDU und Piraten. Der Autor bezieht als erster der zahlreichen Gutachter zum Thema das Verfassungsgerichtsurteil mit ein. Zudem betrachtet er, ob das Grundstück tatsächlich erschlossen ist, was er bejaht. Entsprechend sei die Frist von sieben Jahren für den Baubeginn längst abgelaufen. Die Lorac hätte keinen Anspruch auf Entschädigung.
Aus 600.000 Euro werden 40 Millionen Euro
Sie hatte das Gelände 2008 von der Deutschen Post erworben – für 598.000 Euro, 6,45 Euro für jeden der 92.000 Quadratmeter. Das ist der Preis für Kleingartengelände. Vier Jahre später schloss Lorac einen Kaufvertrag mit dem Berliner Projektentwickler Klaus Groth. Das Grundstück sollte nun 40,29 Millionen Euro kosten, 510 Euro pro Quadratmeter. Allerdings sollte der Deal nur zustande kommen, wenn es Baurecht gebe. Das zu besorgen für die Hälfte des Geländes, die mit 700 Wohnungen in Sechsgeschossern bebaut werden sollte, hatte sich der gut vernetzte Groth vorgenommen.
Insbesondere die Sozialdemokraten in Bezirk und Senat, die den Wohnungsbau zur politischen Priorität erklärt haben, waren bisher geneigt, Groths Wünsche zu erfüllen. Diese Lösung geistert als „Oeynhausen-Kompromiss“ durch den jahrelangen Streit. Denn Pläne aus den 50er-Jahren erlaubten auf dem Koloniegelände nur eine dreistöckige Bebauung.
Die Bezirksverordnete Nadia Rouhani, die wegen ihrer Kritik an der Position des rot-grün dominierten Bezirksamtes inzwischen aus der Grünen-Fraktion ausgeschlossen wurde, ist hingegen überzeugt, dass nie etwas anderes als der „Kompromiss“ vorgesehen war. Im Dezember 2013 gab es eine Besprechung unter anderem mit Baustadtrat Schulte und dem damaligen Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD), heute Regierender Bürgermeister. Dabei wurde der Kompromiss wegen der „politischen Durchsetzbarkeit“ favorisiert und die Bezirksverwaltung aufgefordert, einen Bauvorbescheid zu erteilen.
Sekt bleibt im Kühlschrank
Inzwischen scheint Groth trotz noch anhängiger Gerichtsverfahren zwischen Lorac und Bezirk den Kampf um sein Projekt verloren zu geben. In einem Brief an Bürgermeister Naumann, der im Bezirk kursiert, wendet er sich in einem „letztmaligen Versuch“ an ihn, Baurecht für sein Vorhaben zu schaffen. Denn sein Kaufvertrag mit Lorac laufe Ende Juni aus. Sollte bis dahin nicht seine „Kompromisslösung“ positiv beschieden sein, werde das gesamte Gelände entsprechend dem Uralt-Baurecht aus den 50er-Jahren dreigeschossig bebaut. Lorac könne das Gelände zum Höchstpreis an den Meistbietenden veräußern. Naumann will Groth am 26. Juni empfangen.
Die CDU ist überzeugt, dass es weder Baurecht noch Entschädigung gibt. Arne Herz, baupolitischer Sprecher der BVV-Fraktion, sieht nach Verfassungsgerichtsurteil und neuem Gutachten die rechtliche Lage deutlich verändert. Das Entschädigungsrisiko sei deutlich reduziert, die Politiker hätten die Möglichkeit, „ihre Lippenbekenntnisse“ umzusetzen und die Kolonie zu erhalten. In den nächsten Wochen möchte die CDU in der BVV beantragen, Oeynhausen als Kleingartenfläche festzusetzen. Kleingärtner Becker lässt den Sekt aber noch im Kühlschrank. „Wir kämpfen seit Jahren und lassen erst die Korken knallen, wenn es wirklich durch ist.“