Die Polizei hat am Dienstag die Mahnwache der Flüchtlinge an der Gedächtniskirche in Charlottenburg aufgelöst. Neun von ihnen wurden nach Sachsen-Anhalt gebracht. Der Innensenator verteidigt das Vorgehen.
Die Mahnwache der afrikanischen Flüchtlinge am Fuß der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ist aufgelöst. Am Dienstagvormittag riegelte die Polizei mit 120 Beamten den Ort der Dauerdemonstration in einer überraschenden Aktion ab und nahm die elf Männer mit, um ihre Personalien festzustellen und ihre Identität zu überprüfen. Polizeisprecher Stefan Redlich begründete den Einsatz mit dem hinreichenden Verdacht, die Männer hätten gegen die Residenzpflicht verstoßen.
In einem Bericht der RBB-„Abendschau“ vom 13. Mai habe einer der Flüchtlinge gesagt, sie seien aus Sachsen-Anhalt nach Berlin gekommen. Dort befänden sie sich in einem Asylverfahren, wollten aber nicht dorthin zurückkehren, sondern in Berlin bleiben und hier für ihr Bleiberecht demonstrieren. Bei der Polizei hätten neun der elf Flüchtlinge ihre Personalien offengelegt und bestätigt, einen asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Sachsen-Anhalt zu haben, sagte Redlich. Daraufhin brachte die Polizei sie am Dienstag dorthin zurück. Zwei weitere Flüchtlinge verweigerten die Aussage, wurden aber später über Fingerabdrücke identifiziert und laut Redlich ebenfalls klar Sachsen-Anhalt zugeordnet und schließlich dorthin zurückgebracht.
An dem Einsatz auf dem Breitscheidplatz waren auch Dolmetscher und vorsorglich ein Arzt beteiligt. Die elf Flüchtlinge hatten auf dem Alexanderplatz gelagert und waren dort acht Tage lang in den Hungerstreik getreten, bevor sie zur Gedächtniskirche weiterzogen. Als die Polizei sie mitnahm, blieben Transparente, Bilder und persönliche Gegenstände der elf Afrikaner am Fuß der Gedächtniskirche zurück. Mitglieder der Gemeinde brachten diese in Räumen der Kirche unter.
„Recht und Gesetz durchgesetzt“
Innensenator Frank Henkel (CDU) verteidigte das Vorgehen. „Die Polizei hat an dieser Stelle Recht und Gesetz durchgesetzt. Das war jetzt möglich, weil es hinreichende Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Residenzpflicht in Sachsen-Anhalt gab“, sagte Henkel.
Die Evangelische Kirche und die Opposition protestierten scharf gegen die Polizeiaktion. „Die Landeskirche bedauert außerordentlich, dass das plötzliche Eingreifen der Polizei alle bisherigen Bemühungen untergräbt, gemeinsam mit den Flüchtlingen zu einer Lösung zu gelangen“, hieß es in einer Erklärung. Die Landeskirche sehe „einen erheblichen Vertrauensverlust in das gemeinsame Bemühen, auch mit in Not geratenen Menschen würdevoll umzugehen“. Bischof Markus Dröge sagte, die Flüchtlinge hätten ein Anrecht auf sorgfältige Prüfung ihres Asylanspruchs. „Von den Berliner Politikern erwarte ich, mutig nach Lösungen zu suchen, die Grundgesetz und christliches Menschenbild verbinden“, so Dröge weiter. Rund 90 Menschen protestierten am frühen Abend vor dem Polizeipräsidium in Tempelhof gegen die Auflösung der Mahnwache und den Transport der Flüchtlinge nach Sachsen-Anhalt.
Einsatz musste geplant und vorbereitet werden
Der Einsatz habe vorbereitet und im Rahmen der Kapazitäten der Polizei geplant werden müssen, begründete Stefan Redlich das Erfolgen der Aktion erst eine Woche nach der TV-Sendung. Der Polizeisprecher verwies in diesem Zusammenhang auch auf das Pokalfinale am Sonnabend, das die Polizei stark gefordert habe. Er wies Aussagen der Landeskirche zurück, der Senator habe den Einsatz veranlasst, dieser sei aber mit Henkel abgestimmt gewesen.
Der Pfarrer der Gedächtniskirche, Martin Germer, zeigte sich sehr enttäuscht von der überraschenden Polizeiaktion. Sie sei „in der Sache nicht gerechtfertigt“, sagte er der Berliner Morgenpost. Es habe die Zusage der Polizei gegeben, nichts gegen die Mahnwache zu unternehmen, solange die Bedingungen dafür – keine Zelte, keine Schlafsäcke – eingehalten würden. Dazu entgegnete der Innensenator, eine Zusage zur Zurückhaltung habe es für das Pokalwochenende gegeben, nicht aber darüber hinaus. Germer war überzeugt, dass im Dialog mit den Flüchtlingen eine friedliche Rückkehr nach Sachsen-Anhalt möglich gewesen wäre.
So suchte die Kirche nach einer befristeten festen Unterkunft für die Flüchtlinge. Zudem sei vereinbart gewesen, dass die Migrationsbeauftragte von Sachsen-Anhalt, Susi Möbbeck, an diesem Mittwoch mit den Asylbewerbern in Berlin spricht. Am Donnerstag seien Beratungsgespräche mit Rechtsanwälten geplant gewesen.
Nach Angaben von Möbbeck wusste bisher keine Behörde in Sachsen-Anhalt, dass bei ihnen registrierte Flüchtlinge verschwunden sind. Das sei normal, weil immer nur rund die Hälfte der Asylbewerber in den Unterkünften präsent seien, sagte Möbbeck. Viele bemühten sich um private Unterkünfte. In Sachsen-Anhalt gelte die Residenzpflicht für das gesamte Land, nicht für einzelne Landkreise.
Auch Grüne, Linke und Piraten verurteilten die Auflösung der Mahnwache. „Die Polizeiaktion war politisch orchestriert“, erklärte der Pirat Fabio Reinhardt. „Offensichtlich möchte der Senat jeden Flüchtlingsprotest im Keim ersticken, um eine Situation wie am Oranienplatz zu verhindern.“ Hakan Taş (Linke) kritisierte: „Dass die Polizei die protestierenden Flüchtlinge unter dem Vorwand eines Verstoßes gegen die Residenzpflicht vom Platz abgeführt hat, ist unerträglich. Weder am Brandenburger Tor noch am Oranienplatz ist dies jemals geschehen.“