Berliner helfen

Ein Schutzengel für Kinder

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In der Kuschelecke: Nisa, Sirin und Lara (vl) verbringen viel Zeit im Schutzengelhaus in Steglitz.

In der Kuschelecke: Nisa, Sirin und Lara (vl) verbringen viel Zeit im Schutzengelhaus in Steglitz.

Foto: Katrin Lange

Seit zehn Jahren unterstützt das Schutzengelwerk in Steglitz Kinder aus benachteiligten Familien.

Berlin.  Als Sirin vor vier Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam, sprach sie kein Wort Deutsch. In diesem Jahr hat die 18-Jährige ihren Mittleren Schulabschluss (MSA) gemacht und beginnt eine Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten. Wenn sie spricht, ist nicht einmal mehr ein Akzent zu hören.

Geholfen auf ihrem Weg haben ihr die vielen Stunden, die sie in den Räumen des Schutzengelwerks in Steglitz verbracht hat. „Hier habe ich meine Hausaufgaben gemacht, hier wurde ich bei meiner Präsentationsprüfung in Geografie unterstützt“, erzählt Sirin. Sie möchte auch weiterhin kommen, obwohl sie 18 Jahre alt ist. Denn das Schutzengelhaus an der Bismarckstraße 63 ist für sie ein zweites Zuhause geworden.

Genau das will das Schutzengelwerk sein. „Eine Kinder- und Jugendeinrichtung mit familiärem Charme und ganz viel Kakao“, so fassen es Geschäftsführerin Bianca Sommerfeld und die pädagogische Leiterin Katharina Weidenmüller zusammen.

Ein zweites Zuhause mit viel Kakao

Den Kakao gibt es immer, wenn ein Kind getröstet werden muss. Nicht nur, weil es Ärger in der Schule oder schlechten Noten gab. Das kann auch einfach Kummer sein oder die Suche nach Wärme, Vertrautheit und Fürsorge.

Das Schutzengelwerk kümmert sich um Kinder aus sozial und ökonomisch benachteiligten Familien. „In den meisten Fällen sind es Kinder von Alleinerziehenden“, sagt Bianca Sommerfeld. Keine Zeit, wenig Geld, abends keine Nerven mehr, um Hausaufgaben zu machen – fasst sie die Problemlagen zusammen. Vor allem, wenn Vater oder Mutter den ganzen Tag arbeiten. „Unsere Aufgabe ist es, diese Sorgen etwas abzufedern, den Kindern eine schöne Zeit zu bieten und vor allem Wertschätzung“, sagt die Geschäftsführerin.

„Du bist wer und du schaffst das“ – diesen Spruch bekommen die Kinder im gemeinnützigen Schutzengelwerk nun seit zehn Jahren mit auf ihren Weg. Die Kinderhilfsorganisation mit ihrer Zentrale in Steglitz wurde am 13. August 2013 gegründet, um Kindern aus Familien, die es schwerer haben als andere, Hilfe und sichere Orte zu bieten. Es begann mit kostenlosen Frühstücksangeboten an Berliner Schulen und ist heute eine etablierte Organisation mit unterschiedlichen Projekten an vier Standorten, die sich über ganz Berlin und Brandenburg verteilen.

„Die Kinderarmut in Deutschland ist nach wie vor hoch. Mehr als jedes fünfte Kind gilt in unserem Land als armutsgefährdet“, sagt die Geschäftsführerin. Das bedeute für mehr als 20 Prozent der Kinder, dass sie zu wenig Geld für gesundes Essen, angemessene Kleidung, einen schlechteren Zugang zu Bildung und zu wenig Mittel für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben. Die Projekte sollen so vielen Kindern wie möglich helfen, aus der Armutsspirale der Eltern zu entkommen.

Hausaufgabenhilfe und Kicker spielen

Ins Schutzengelhaus in Steglitz kommen pro Tag etwa 25 Kinder ab sechs Jahren, insgesamt 275 sind angemeldet. Von 13 bis 19 Uhr können sie sich auf den 400 Quadratmetern austoben, ausruhen oder beschäftigen. Ein Strandkorb steht da, „in dem sich die Kinder gern zurückziehen oder verstecken“, erzählt Katharina Weidenmüller. Es gibt einen Kicker, im Keller einen Sportraum und eine kleine Tischlerwerkstatt. An den Tischen wird gegessen, gespielt und gelesen. In einem kleinen abgeteilten Raum stehen Regale mit Büchern – dort können Hausaufgaben erledigt werden, Ehrenamtliche geben auch Nachhilfe.

Praktikum bei Tim Raue

Am Freitag ist Räubertag: Dann wird gekocht, was die Kinder am liebsten mögen, zum Beispiel Nudeln mit Tomatensoße und Tofu. An diesem Tag stehen Höhlenbauen, Kickerturniere, Texte für Rapsongs schreiben auf dem Programm. „Wir Schutzengel wollen armutsgefährdeten Kindern Zugang zu kostenlosem Essen, Nachhilfeangeboten, einer altersgerechten Freizeitgestaltung und mentaler Stärkung schenken“, erklärt Bianca Sommerfeld. Diese Kinder bräuchten mehr Unterstützung im Leben, einen starken Halt und vor allem eine Zukunftsperspektive.

Die hat zum Beispiel Jonas bekommen. Er kam mit acht Jahren, ohne Selbstvertrauen. Hilfskoch oder in einem Hotel an der Mangel stehen – das waren seine Vorstellungen. Mit 14 musste er ein Praktikum machen. Da das Schutzengelwerk mit Spitzenkoch Tim Raue eine Kooperation hatte, konnte er es in der Sternegastronomie machen. Dort fand er sein Glück und wuchs über sich hinaus. Heute ist für ihn nichts mehr unmöglich: Als Nächstes will Jonas das Abitur machen.

Schutzengelwerk feiert Jubiläum

Das Schutzengelwerk feiert am 13. August 2023 sein zehnjähriges Bestehen. Der Stammsitz in Steglitz – das Schutzengelhaus – wurde im Mai 2014 eröffnet. Im Schutzengelhaus an der Bismarckstraße 63 finden Kinder aus Familien mit wenig Geld einen sicheren Ort, Betreuung und Förderung. Die Angebote des Schutzengelwerks werden zu 95 Prozent aus Spenden von privaten und institutionellen Spendern sowie aus privaten Stiftungen finanziert. Nur ein geringer Prozentsatz der finanziellen Unterstützung wird durch staatliche Hilfen abgedeckt. Zu den Projekten gehören ein Mädchenladen in Spandau, wöchentliches Schwimmtraining, Auszeiten in der Natur im Bauwagen „Pusteblume“, Weihnachtspäckchen und Ferienprogramme. Informationen: www.schutzengelwerk.de