Eine muntere Frauenrunde sitzt an diesem Dienstagvormittag rund um den Tisch in der offenen Familienwohnung der Siedlung Falkenhagener Feld West. In der Küche der Vierzimmerwohnung bereitet Mandy Rentzsch das Frühstück zu. Es gibt frische Brötchen, Käse, Aufschnitt, Paprikaschnitze und Weintrauben, dazu Kaffee und Tee. Jede sucht sich aus, was sie mag und setzt sich an den Tisch. Gesprochen wird arabisch und deutsch – Stadtteilmutter Seham Abdelgawwad übersetzt für die Frauen, die sich im Deutschen noch nicht ganz so sicher fühlen. Vor allem aber wird viel gelacht.
„Es ist schön, zusammen zu sein, zu reden und auch deutsche Nachbarn kennenzulernen“, sagt Susan, Mutter von fünf Kindern, die wie fast alle am Tisch aus Syrien nach Deutschland gekommen ist und in der Nachbarschaft wohnt. „Mir machen die Treffen hier sehr viel Spaß. Ich komme zweimal im Monat“, erzählt Amani, ebenfalls aus Syrien, die seit sieben Jahren in Berlin lebt. Die 33-jährige hat drei schulpflichtige Kinder und hat in Syrien als Krankenschwester gearbeitet. „Das will ich auch hier machen, wenn ich meinen zweiten Deutschkurs absolviert habe und die Kinder größer sind“, sagt sie.
Auch die anderen beiden Frauen am Tisch, Khadija aus Syrien und Nagla aus Ägypten, schätzen den Austausch untereinander und die Unterstützung, die sie von den Sozialarbeiterinnen vor Ort bekommen: beim Ausfüllen von Anträgen und dem Beantworten von Behördenbriefen. „Vieles kann ich selbst machen, aber manche Worte sind so kompliziert, da verstehe ich die Bedeutung nicht“, sagt Susan, die gut Deutsch spricht.
Hilfe beim Ausfüllen von Anträgen
Das wöchentliche Kiezfrühstück und die Beratung und Hilfe im Umgang mit Behörden sind nur zwei der vielen Angebote der offenen Familienwohnung des Jugendhilfeträgers Casablanca. Nachmittags gibt es betreute Spielzeiten für Kinder, wer Hunger hat, bekommt nach der Schule ein Mittagessen, es werden auch Ausflüge und Schwimmkurse organisiert.
Im großen Zimmer gegenüber dem Frühstücksraum sitzt Khadijas Mann mit Sascha Karowski vom Jobcenter Spandau zusammen und lässt sich beraten, welche Voraussetzungen er für die Arbeitsaufnahme braucht. Sascha Karowski und seine Kollegen kommen seit dem vergangenen Jahr regelmäßig zum Kiezfrühstück dazu. „Wir sind für das Falkenhagener Feld zuständig und haben uns das als Team überlegt. Ist doch viel sinnvoller, wir gehen hier auf die Menschen zu, als im Büro zu sitzen, Termine zu machen und dann kommt keiner“, sagt Karowski. „Letztendlich sind wir ja auch Sozialarbeiter“.
„Diese Vernetzung vieler Partner ist unglaublich wichtig. Wir bauen hier Vertrauen auf und können dann bei Bedarf weitere Hilfen vermitteln“, sagt Beate Amler, Mitarbeiterin in der Familienwohnung und Koordinatorin der Stadtteilmütter, die zu den arabischen Familien nach Hause gehen.
Maßnahme gegen Gewalt in den Siedlungen
Das Konzept der offenen Familienwohnung entstand Anfang der 2010er-Jahre. In den Hochhaussiedlungen westlich der Spandauer Altstadt kämpfen viele Familien mit Armut und Arbeitslosigkeit. Soziale Angebote fehlten und es kam zunehmend zu Gewalt und Verwahrlosung. 2016 wurde die erste offene Familienwohnung als niedrigschwelliges Hilfsangebot eröffnet, getragen von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, dem Senat für Bauen und Wohnen, dem Jugendamt Spandau und dem Quartiersmanagement Berlin. „Es hat sich schnell in der Nachbarschaft rumgesprochen, dass es hier unkompliziert Hilfe gibt“, sagt Claudia Volk von der 2019 eröffneten zweiten offenen Familienwohnung im Quartier Heerstraße Nord.
Eine Besucherin der ersten Stunde im Falkenhagener Feld ist Bärbel Seelig, die im gleichen Haus wohnt. „Ich komme seit der Eröffnung jeden Dienstag zum Frühstück, man geht doch ganz anders miteinander um, wenn man sich erst mal kennengelernt hat“, meint sie. Gibt aber auch zu: „Im Sommer, wenn alle in kleinen Gruppen draußen sitzen und ich bin die einzige, die Deutsch spricht, fühle ich mich schon komisch. Aber ich hab das dann ganz offen angesprochen. Seitdem geht’s mir besser.“
Offene Familienwohnungen der Gewobag
Das Konzept der offenen Familienwohnungen ist, ein niedrigschwelliges Hilfsangebot für Familien zu schaffen und gleichzeitig die Nachbarschaft zwischen alteingesessenen und neu zugezogenen Mietern zu vernetzen, um Problemen frühzeitig zu begegnen. Betrieben werden die Einrichtungen von der gemeinnützigen Casablanca Jugendhilfe gGmbH, die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag stellt die Wohnungen mietfrei zur Verfügung. Zu den weiteren Partnern gehören das Quartiersmanagement, das Jugendamt, das Jobcenter und der Senat. Am 13. März 2023 wird die dritte offene Familienwohnung in der Heerstraße 404 eröffnet. Berliner helfen e. V. unterstützt das Projekt mit einer Spende, weitere Förderer werden gesucht.