Schöffenwahl 2023

„Ich bin die Stimme des Volkes“

| Lesedauer: 6 Minuten
Petra Götze
Jugendschöffin Magdalena Schmidt-Weigand

Jugendschöffin Magdalena Schmidt-Weigand

Foto: ©ideenmanufaktur GmbH

In Berlin und Brandenburg werden Tausende Schöffen gesucht. Eine Jugendschöffin berichtet, was das anspruchsvolle Ehrenamt bedeutet.

Schöffen sollen als ehrenamtliche Richter dafür sorgen, dass die Urteile tatsächlich „Im Namen des Volkes“ gesprochen werden, indem sie ihre eigene Lebenserfahrung in die Prozesse einbringen. Für dieses anspruchsvolle Ehrenamt werden wieder Tausende Freiwillige in Berlin und Brandenburg gesucht. Die 32-jährige Magdalena Schmidt-Weigand hat Politik und Management studiert und arbeitet selbstständig als systemischer Coach im Bereich mentale Gesundheit. Sie ist seit vier Jahren Jugendschöffin am Amtsgericht Moabit.


Warum sind Sie Schöffin geworden?

Schmidt-Weigand: Durch meine Mutter, sie war Schöffin und ich habe sie zu einigen Verhandlungen begleitet und fand es immer spannend. Mit 28 Jahren bin ich dann selbst Jugendschöffin im Jugendstrafrecht geworden.

Wie oft kommen Sie zum Einsatz?

Man bekommt eine Jahresladung mit zwölf Terminen, eine Sitzung kann aber auch mehrere Verhandlungstage dauern. Oft werden die Gerichtstermine auch abgesagt. Allerdings wird in Berlin alles per Post verschickt, das bedeutet, Ladungen oder Abladungen kommen nicht an oder zu spät. Die fehlende Digitalisierung in der Justiz ist echt ein Pro­blem. Manche Termine kann ich aus beruflichen Gründen nicht wahrnehmen oder weil ich in Urlaub bin, dafür gibt es Ersatzschöffen.

Das heißt, Sie können auch Termine ablehnen?

Ja und nein. Gefühlt ist gerade ein Prozess innerhalb der Gerichte in Berlin in Gang gekommen, der bei jüngeren Menschen die notwendige berufliche Flexibilität stärker berücksichtigt. Bei einem so anspruchsvollen Ehrenamt, zu dem man sich für fünf Jahre verpflichtet, eine Notwendigkeit Als ich mich als Jugendschöffin beworben habe, wusste ich ja auch nicht, wie mein Leben in zwei oder drei Jahren aussieht.

Was finden Sie am interessantesten bei Ihrem Ehrenamt?

Am spannendsten finde ich die detektivische Arbeit vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft trägt vor, was der angeklagten Person zur Last gelegt wird. Und dann beginnt die eigentliche Arbeit des Gerichts, nämlich herauszufinden, was wirklich passiert ist. Da erhält man ganz tiefe Einblicke in die ganze Vielfalt von Berlin, oft in ganz andere Lebenswelten. Spannend sind auch Prozesse, bei denen es einen Twist gibt. Wo sich beim zweiten Verhandlungstag plötzlich herausstellt, es war alles ganz anders.


Schöffen dürfen Fragen stellen?

In der Regel ja. Das wird unterschiedlich von den Richtern gehandhabt. Mit manchen gibt es eine kurze Absprache, was ich fragen möchte. Nur bei Sexualdelikten stellt der Richter die Fragen. Ich stelle relativ viele Fragen, denn ich möchte wirklich wissen, was passiert ist. Ich bin die Stimme des Volkes. Zum Beispiel ging es in einem Prozess um Geldfälschung darum, ob der Angeklagte wusste, dass die Scheine gefälscht waren. Ich gucke mir so selten Bargeld an, also das müsste schon eine sehr schlechte Fälschung sein, damit ich das erkenne. Und das ist ja auch die Aufgabe von Schöffen, eben aus der eigenen Lebenserfahrung heraus zu urteilen und nicht nur nach juristischen Maßstäben.


Wiegt Ihre Stimme genauso viel wie die des Richters?

Ja absolut, wir sind beim Jugendgericht zwei Schöffen, in der Regel Mann und Frau, und wir können den Richter 2:1 überstimmen. Das kommt aber nur sehr selten vor. Bei mir in den vier Jahren erst einmal.


Wird man auf das Schöffenamt vorbereitet?

Ich hatte eine Schulung beim Landesverband der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Brandenburg und Berlin e. V., das war sehr hilfreich, ist aber freiwillig. Der ganz normale gesunde Menschenverstand reicht aus. Aber ich würde so eine Schulung auf jeden Fall empfehlen. Dann ist man besser vorbereitet, gerade beim ersten Mal vor Gericht, wenn man vereidigt wird. Das ist schon sehr aufregend, aber das Wissen von Paragrafen ist nicht notwendig.


Welches sind die häufigsten Delikte, über die Sie urteilen?

Bei den Fällen vorm Jugendgericht ging es in der Vergangenheit, bei mir, sehr oft um Körperverletzung, Betrug und auch Sexualdelikte. Da ist es sehr wichtig, dass das Opfer gut vorbereitet und vom Opferschutz begleitet wird. Besonders wenn der Angeklagte nicht geständig ist. Im Prozess ist der Fokus auf dem Täter, nicht auf dem Opfer. Das ist oft schwer zu ertragen.
Hatten Sie schon einmal Angst bei einem Prozess?
Nein, höchstens ein mulmiges Gefühl, wenn ich den Tatort kenne, zum Beispiel einen Supermarkt, in dem ich auch einkaufe.


Wer sollte sich als Schöffe bewerben?

Alle mit einem demokratischen Grundverständnis, die sich in Lebenssituationen von anderen Menschen hineinversetzen können. Vor allem Jüngere und nicht nur Akademiker. Und besonders sollten sich die Menschen bewerben, die immer nur meckern. Mit dem Ehrenamt als Schöffe übernimmt man Verantwortung.


Was würden Sie sich von der Berliner Justiz wünschen?
Die Prozesse müssten viel schneller nach der Tat stattfinden. Es dauert alles viel zu lang, nach einem Jahr kann sich kaum ein Zeuge noch an etwas erinnern. Und gerade bei jugendlichen Straftätern würde ich mir viel mehr Sozialarbeit und Prävention wünschen, damit sie eben nicht vor Gericht landen. Außerdem muss die Berliner Verwaltung endlich aus ihrem Fax-Modus herauskommen und sich ernsthaft mit der Digitalisierung auseinandersetzen.

Wie man sich für das Schöffenamt bewirbt

Alle fünf Jahre werden neue Schöffinnen und Schöffen gewählt. Dabei stellt jeder Bezirk eine Vorschlagsliste auf. Die nächste Wahl ist 2023. Die Amtsperiode läuft von 2024 bis 2028. Wer sich als Schöffe bewerben möchte, muss deutscher Staatsbürger, nicht vorbestraft und mindestens 25 und nicht älter als 70 Jahre sein. Stichtag ist der 1. Januar 2024. Juristische Kenntnisse sind nicht notwendig. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Schöffen für die Gerichtstermine freizustellen. Ausführliche Informationen auf www.schoeffenwahl2023.de und auf www.schoeffen.de