Berlin. In dem Projekt „Inklusion KunstZeit“ arbeiten Menschen mit und ohne Behinderungen an eigenen Werken.
„Mit euch kann ich ich sein, verträumt und verrückt sein!“ Ganz still ist es auf dem Hof des Kreuzberger Wasserturms in der Kopischstraße. Andächtig lauschen die 60 Vernissage-Besucher der 19-jährigen Laura Meyer, die ihre kleine Ansprache mit dem Vers aus Namikas „Lieblingsmensch“ abschließt. Ein treffendes Kompliment für ein besonderes Projekt.
„Ihr seid einer meiner besten Kurse“, lobt Initiatorin und Projektleiterin Jutta Poppe. Die engagierte Künstlerin hat im Oktober 2019 den Kurs „Inklusion KunstZeit“ für junge Erwachsene ohne und mit Behinderung gestartet. Die Hälfte der Teilnehmer hat ein Handicap. Der 27-jährige Florian Ramm ist einer von ihnen. Er ist von Anfang an dabei. Auf der Suche nach passenden Räumlichkeiten für ihr Projekt, kam Jutta Poppe ins Gespräch mit den Verantwortlichen des Wasserturms. Die Einrichtung unterstützt Poppes Kurs finanziell, stellt die Farben zur Verfügung. „Wir sind ein Zentrum für Jugend- und Kulturarbeit, das seit vielen Jahren gut funktioniert“, sagt Hakan Aslan, der zusammen mit Sabine Blankenheim die Einrichtung leitet.
Für Aslan ist Poppes Projekt eine Erweiterung des Blickfeldes, denn: „Es gibt kein Anders-Sein, weil ja jeder Mensch ein Individuum ist.“ In seiner Rede zur Eröffnung der Vernissage lobt Aslan die „wundervollen Werke, die hier erschaffen wurden“ und betont seine positive Überraschung über den direkten, liebevollen Umgang miteinander in der Gruppe. Im offenen Jugendbereich, den er leitet, herrsche ein Ton voller Ironie und Sarkasmus. Ähnlich beurteilt auch Sabine Blankenheim Poppes Malkurs, bei dem sie selbst mitmacht. „Die Gruppe ist eine Bereicherung, Inklusion hat sonst zu wenig Raum.“
Der Kurs soll einen geschützten Raum bieten, so Poppe, in der sich die jungen Künstler kreativ entfalten können. Bei Florian funktioniert das gut. Stolz zeigt er seine Bilder. In Grün und Orange leuchten seine futuristisch anmutenden Kreationen. „Meine Lieblingsfarbe ist bunt“, verrät er. Florian hat an den vier Gemeinschaftsbildern mitgewirkt hat, die im Wasserturm verbleiben sollen.
Fünfzehn der Ausstellungsobjekte aber, jetzt im Kreis platziert, sollen auf die Reise gehen. Florians Bilder etwa ins Familienzentrum Mehringdamm und das Breakout-Café. An der Art-Route namens „Die Kunst der Inklusion“ beteiligen sich bis Ende Oktober fünfzehn Aussteller aus dem Bergmann-Kiez. Sie nutzen den Abend für einen Austausch mit „ihren“ Künstlern. Rechtsanwalt Michael Schmuck etwa diskutiert mit Laura über deren Bild, das bald sein Büro-Schaufenster zieren wird. Von der geplanten Art-Route hat er im Café Los Angelitos erfahren. Wie auch der Künstler und Musiker und ehemalige Dozent der Universität der Künste (UdK), Niels Unbehagen, der auch auf der Vernissage dabei ist. Ebenso wie Helga Blöcker, die seit 40 Jahren in der Nachbarschaft lebt und neugierig war auf „diese Ausstellung, die sich herumgesprochen hat“. Stefan Müller von der benachbarten Firma Schwebewerk betrachtet „sein“ Tulpen-Bild, das er „einfach schön“ findet. „Seit meiner Kindheit male ich mit Pinsel und Farben, vieles habe ich mir selbst beigebracht“, sagt die 23jährige Künstlerin und gelernte Erzieherin Elif T.. Inklusion bedeute für sie, jeden zu akzeptieren, wie er ist. „Kunst verbindet Menschen, und unsere Gruppe ist wie eine Familie. “
„Ich habe die Gruppe in mein Herz geschlossen“, sagt auch Yasemin Yildirim. Von Anfang an dabei, habe sie erst hier richtig malen gelernt, am Konzept gefällt ihr, das freie Malen. „Jeder darf malen, was er möchte, es gibt keine Themenvorgabe“, bestätigt Jutta Poppe. Ungezwungen, gleichberechtigt, respektvoll der Umgang untereinander. Poppes Strategie: „Ich leite die Gruppe, ohne mich als Lehrerin zu sehen. Und immer auf Augenhöhe.“ Sie malt selber mit, als Teil der Gruppe. Ein Konzept, das man den Bildern ansieht, meint Michael Schmuck: „Die sind frisch und fröhlich, man merkt, dass die Künstler Spaß dabei hatten, dass nichts erzwungen ist. Dass sie ihrem Herzen und ihrer Persönlichkeit freien Lauf lassen durften.“ Die Bilder als Ausdrucksmöglichkeit gewähren einen Blick in die „tiefe, ungeahnte Emotionalität dieser Künstler, die nicht auf der Sonnenseite leben und dennoch nicht verbittert sind und von denen wir etwas lernen können – Offenherzigkeit, Direktheit“ Eine Meinung, die Michael Schmuck mit Yasemin teilt, denn: „Für mich sind sie besondere Menschen im positiven Sinn, ich schätze das Reine, Spontane an ihnen. Und am Kurs das menschliche Miteinander, die tolle Atmosphäre.“
Ein echtes Team, das die Lockdown-Zeiten gemeinsam durchstand. Sie haben weitergemalt, jeder zuhause. „Jede Woche gab es ein Wort als Thema, die Bilder haben wir per WhatsApp in die Runde gepostet – und danach darüber diskutiert“, so Poppe. Das Team hat sich also bewährt. Und man sieht sie den Künstlern an, diese Freude über die Wertschätzung. „Dass wir nun ausstellen dürfen, ist eine unfassbare Ehre!“, sagt Laura in ihrer Vernissage-Rede. Und in diesem Moment spürbar: die Begeisterung, ein bisschen Stolz – und diese große Verbundenheit, wie bei einer richtigen Familie.
Diese Orte gehören zur Art Route
DIe Bilder werden auf Art Route hier gezeigt: Los Angelitos, Fidicinstraße 44, Büro am Turm, Fidicinstraße 4, Schwebewerk, Fidicinstraße 42, Wein am Berg, Fidicinstraße 38, Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7, Myriam Mundt, Fidicinstraße 7a, Kl. Weinstock, Fidicinstraße 8a, Nora von Mendelssohn, Friesenstraße 17, Südstern Bekleidung, Friesenstraße 21, Hot Pot Soup, Friesenstraße 6, Café Marameo, Chamissoplatz 7, breakout Café, Bergmannstraße 22, Fleur Wüst Berlin, Bergmannstraße 39, Kunstgriff, Riemannstraße 10, Familienzentrum, Mehringdamm 114. Kontakt: kontakt@juttapoppe.de, Mobil: 0176/23 87 94 19. Projekt Inklusion KunstZeit: Wasserturm Kreuzberg, Kopischstraße 7, sonnabends 14 bis 16 Uhr. Anmeldung unter der Telefonnummer: 0176/ 238 79 419 oder 030/ 53 65 76 41.