Ausflugstipp

Ein Ruck geht durch Oranienburg

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Rainer L. Hein

In Oranienburg begann der Aufschwung erst vor zehn Jahren. Jetzt blüht die Stadt - nicht nur wegen der Landesgartenschau.

Eine Stadt im Aufbruch – mit diesen Worten lässt sich die Situation von Oranienburg trefflich beschreiben. Einheimische sprechen von einem „Ruck“, der innerhalb der Stadtmauern zu bemerken ist. Vor knapp zehn Jahren begann das. „Irgendwie scheint da plötzlich ein Knoten geplatzt zu sein“, sagt Gerhard Semper (68), der als Stadtverordneter und gebürtiger Oranienburger den Ort mit all seinen Tiefen und, wie er sagt, „wenigen Höhen“ erlebte.

Dass es vorwärts geht, ist allein schon an den zahlreichen Baustellen in der Stadt zu erkennen. Erst die Sanierung der Innenstadt, nun die Erneuerung der Schlossbrücke – mit allen damit verbundenen Staus – sind Indizien für den neuen Schwung. Graue Chemiestadt – das war gestern.

Nach der Wende glaubten die Stadtväter, dass Oranienburg auch unmittelbar von der Vereinigung profitieren könnte. Doch weit gefehlt. Der Aufschwung kam in der ehemaligen Garnisonsstadt des DDR-Militärs, in der auch Grenztruppen stationiert waren, nicht an. Im Gegenteil: Immer mehr junge Leute versuchten in den alten Bundesländern ihr Glück und kehrten Oranienburg den Rücken.

Gewerbegebiete ohne Sogwirkung

Anstrengungen der Stadtväter, die ehemals militärisch genutzten Flächen für zivile Einrichtungen zu nutzen, blieben blass. Die neuen Gewerbegebiete entfalteten keine Sogwirkung für Betriebe. Zudem warteten potenzielle Investoren ab, weil große Teile des Industriegebiets noch von den Streitkräften der Sowjets besetzt waren. Als diese dann 1994 abzogen, hatten sich Interessenten andere Standorte in den neuen Bundesländern gesucht.

Erst Ende der 90er-Jahre stellte sich ein Wandel ein. Mit der umfangreichen Sanierung und Renovierung des Schlosses Oranienburg schien auch die Stadt selbst aufzublühen. Ab 1999 gab es plötzlich Fördergeld von EU, Bund und dem Land Brandenburg – sechs Millionen Euro pro Jahr wurden Oranienburg fünf Jahre lang für Investitionen zur Verfügung gestellt.

Als die Stadt sich im August 1999 völlig in Orange präsentierte, war sichtbar, dass sich etwas verändert hatte. An jenem 14. August waren Beatrix, Königin der Niederlande, und Prinz Claus ins Schloss gekommen, um die Ausstellung „Onder den Oranje boom“ zu eröffnen. Zur Erinnerung: Die Kurfürstin und einstige Schlossherrin Louise Henriette von Nassau-Oranien stammte aus den Niederlanden. Sie ließ 1652 das Schloss im holländischen Stil in der Domäne Bötzow errichten und sorgte dafür, dass der Schlossname „Oranienburg“ auf die Stadt übertragen wurde.

Bezahlbare Mieten

Inzwischen haben die Stadtväter zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Häuser der ehemaligen Werksiedlung „Weiße Stadt“ (früher Heinkel-Siedlung) saniert wurden und sich die Bewohner bei bezahlbaren Mieten wohlfühlen. „Wir haben schöne Wohnungen in ruhiger Lage“, sagt Verkäuferin Ingrid Keese (39), die hier mit Mann und den beiden Kindern (12 und 14) lebt. Die Mietshäuser vermitteln einen gutbürgerlichen Eindruck. „Schmierereien halten sich in Grenzen“, sagt Rentner Willi Sturm (72), der früher im Chemiewerk arbeitete.

Zum Aufschwung der Stadt gehört auch das Angebot an Arbeitsplätzen. Zwar liegt die Arbeitslosenquote bei 15 Prozent, doch sind die Pharmaziebetriebe des Ortes seit Jahren für rund 2000 Mitarbeiter zuverlässige Arbeitgeber. „Leider sind einheimische Firmen bei den Vorbereitungen der Landesgartenschau nicht wie gewünscht eingebunden“, beklagt Gerhard Semper. Der Grund liegt auf der Hand: Die Verantwortlichen der Landesgartenschau setzen bei den Vorbereitungen auf Firmen, die sich bei anderen Gartenschauen schon profiliert haben und über entsprechende Erfahrungen verfügen. „Wir können sicher sein, dass terminlich alles klappt“, sagt Gartenschau-Sprecher Frank Wendler.

Dennoch wird Oranienburg von der Landesgartenschau erheblich profitieren. Allein die Gastronomiebetriebe und Hotels dürften im kommenden Jahr zur Messezeit ausgebucht sein. Auch Jörg Siegel (33) freut sich schon auf die Landesgartenschau-Besucher. Er will sich als Fremdenführer anbieten und Touren durch das Schloss organisieren. Schon jetzt steht der arbeitslose Historiker für Gruppen zur Verfügung, die das ehemalige KZ Sachsenhausen besuchen.

„Mit diesem Erbe aus dunkler Zeit können wir nur offensiv umgehen“, sagt Jörn Knöpper. Er wohnt seit vielen Jahren in Oranienburg und hat sich in verschiedenen Bürgerinitiativen engagiert. Der 47-Jährige weiß als Vater von vier Kindern, wie man gegensteuern muss im Zuge der Neonazi-Auftritte. Für ihn gehören Exkursionen von Schulklassen in das ehemalige Musterlager des NS-Regimes zum Pflichtprogramm. „Gerade wir als Einwohner dürfen uns nicht verschließen“, fordert er – und stellt fest, dass in Oranienburg inzwischen viel offener über die Erblast gesprochen wird.

Ein Bummel lohnt sich wieder

Oranienburg spricht auch wieder junge Leute an. Während das Zentrum bis vor fünf Jahren den Ruf weghatte, dass die „Bürgersteige schon mittags hochgeklappt“ werden, loben die Jungen die Veränderung – die amerikanische Ketten gebracht haben. Robert Kistner (18), Schüler des Runge-Gymnasiums: „McDonald’s und Subway haben das Leben von uns Schülern belebt.“ Tatsächlich haben diese Läden der Filialisten, Boutiquen und Cafés das Geschäftsleben im Zentrum der Stadt aufblühen lassen. „Ein Bummel lohnt sich wieder, die Angebote machen Fahrten nach Berlin oft überflüssig“, sagt Anwaltsgehilfin Jessica Wegner (26).

Ein Treffpunkt ist auch das Erlebnisbad „Turm-Erlebniscity“ an der André-Pican-Straße. Hier wird neben einer Beachhalle mit Palmen und Wasserspielen ein Fitnesscenter betrieben, das auch für Senioren geeignet ist. Das Center muss zwar von der Stadt bezuschusst werden, „aber das ist es uns wert“, sagt Stadtverordneter Gerhard Semper.

Der Aufschwung in Oranienburg – er wird sich im kommenden Jahr durch die Gartenschau weiter entfalten. Mit einem werden die Menschen allerdings auch in den nächsten Jahren noch leben müssen: Dass sie ihre Häuser wegen einer Bombenentschärfung verlassen müssen. 1000 Blindgänger werden noch im Boden vermutet – ein Rekord: Oranienburg gilt als die am stärksten bombardierte deutsche Kleinstadt.

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