Serie "Rund um Berlin"

Stahnsdorf und Teltow – Unterschätzte verbünden sich

| Lesedauer: 5 Minuten
Jörg Niendorf

Die Altstadt – ein Juwel. Das Gemüse – eine Delikatesse. Teltow und Stahnsdorf im Südwesten Berlins entdecken mehr und mehr ihre Schätze. Die Ortskerne sind herausgeputzt, Künstler siedeln sich an und Gemeinschaften entstehen, in denen Neid ein Fremdwort ist.

Ein „preußisches Typenhaus“ nennt Johannes Hinrichsen sein Heim. Es ist schnörkellos, 200 Jahre alt und hat einen Innenhof, der von einer hohen Steinmauer umgeben ist. „Ganz der Klassiker“, sagt Hinrichsen, „wie er oft zu finden ist in brandenburgischen Städten.“ Seit drei Jahren wohnt er mit seiner Frau Birthe und zwei Söhnen hier, direkt unter dem Kirchturm von St. Andreas in der Altstadt von Teltow. Pittoresk könnte man sagen, aller preußischen Strenge zum Trotz. Gerade jetzt wirkt das so, wo die Straßen und der Marktplatz fertig gestellt sind. Als ob ein Hebel umgelegt worden wäre, beschreibt Hinrichsen die Atmosphäre. „Die Altstadt von Teltow wird auf einmal wahrgenommen.“

Jahrzehntelang war die Altstadt vernachlässigt worden. In der DDR-Zeit wohnten die Arbeiter aus örtlichen Betrieben eher in Potsdamer Neubaugebieten statt in Teltow. Und nach der Wende wurden neue Siedlungen auf die grüne Wiese gebaut, aber kaum alte Häuser saniert. Das Zentrum von Teltow war nur eine Durchgangsschneise. Selbst wer ganz in die Nähe zog, wusste oft nicht einmal, was rund um die Kirche der Andreasgemeinde noch für ein Schatz schlummerte. Obwohl eben dieser Kirchturm keine 500 Meter vom Teltowkanal entfernt liegt, von Zehlendorf aus kann man ihn sehen. Bass erstaunt sind Besucher jetzt über das Idyll.

Ost oder West interessiert hier nicht

Diese verspätete Karriere birgt sogar einen großen Vorteil: Keiner neidet einem hier etwas, die Themen der Neunziger – aus Ost? Aus West? – interessieren keinen der neuen Nachbarn. Das beteuern viele Hausbesitzer in der Altstadt. Ein Großteil der denkmalgeschützten Häuser ist restauriert worden, elf Millionen Euro sind an öffentlichen Geldern ins Karree geflossen. Am Marktplatz gibt es ein neues Bürgerzentrum, im ehemaligen Spritzenhaus der Feuerwehr ist eine Jugend-Kunstschule untergebracht. Auch die Kirche ist frisch saniert. Alles passt im Moment ins Bild.

„Eine kritische Frage stellen sich aber viele Besucher“, sagt Hermann Lamprecht vom Heimatverein, der neuerdings regelmäßige Stadtführungen anbietet. „Sie fragen, warum keine Geschäfte in die Häuser ziehen.“ Derzeit werde das Zentrum zum reinen Wohnviertel, merkt Lamprecht skeptisch an. Die Stadt und mehrere örtliche Initiativen haben das auch erkannt und versuchen, zumindest feste Kulturtermine in den Gassen einzurichten. Tage der „offenen Höfe“ waren etwa ein großer Erfolg. Außerdem gibt es eine Galerie für Bildende Kunst, den Altstadthof. Deren Besitzer Dieter Leßnau organisierte zuletzt einen Kunst-Sonntag in der gesamten Altstadt. Sein Hof ist ohnehin eine Station bei den Stadtführungen, allein weil es im Wohnhaus eine original erhaltene „Schwarze Küche“ gibt. So wurde früher ein fensterloser Raum mit Feuerstelle genannt, den mehrere Familien aus einem Haus gemeinsam nutzten.

Ein Ragionalpark soll Besucher locken

Regionalmarketing ist eine fast heilige Devise in der Stadt, ebenso wie im benachbarten Stahnsdorf. Die Anrainer vom südlichen Ufer des Teltowkanals verbünden sich. Sie wollen nicht nur als Schlafstädte, sondern als Scharnier zwischen Berlin und Potsdam wahrgenommen werden. Viel Bürgersinn ist vorhanden, „wir können mehr als von manchen gedacht“, sagt der Galerist Leßnau. Und so wie er sich für die Kunst einsetzt, agieren in Stahnsdorf gleich mehrere Bürgerinitiativen für den Erhalt wichtiger Grün-Freiräume. Sehr stark ist in der gesamten Region die Interessengemeinschaft „Teltowkanalaue“. Dort arbeiten Verwaltungen und lokal Engagierte zusammen, ihr Ziel ist ein Regionalpark, der touristisch und ökologisch verträglich entwickelt wird. Dazu ist gerade ein Uferrundweg in Stahnsdorf fertig geworden. Noch ist er zwar etwas holprig. Doch immerhin wurde er von wucherndem Grünzeug befreit und an einigen Stellen sogar verbreitert.

„Mensch und Natur“, das ist auch die Spielwiese der Künstlerin Frauke Schmidt-Theilig, die am Dorfplatz vor der Stahnsdorfer Kirche ihr Atelier hat. Eine prächtige Wiese liegt ihr im wahrsten Sinne zu Füßen: Ein Dorfanger wie aus dem Bilderbuch. Die Malerin unterrichtet Kinder, mit ihren Staffeleien gehen sie an die Kirchenmauer oder zu ihren Lieblingsgehöften. Ein Kalender für Weihnachten entsteht derzeit, „auch im Winter geht es immer hinaus“, sagt die Künstlerin.

Wenige Kilometer entfernt, am Stadtrand von Teltow, gilt das genauso: Da ist gerade Hochsaison für den Gemüsebauern Axel Szilleweit. Das Teltower Rübchen, nur im Winter geerntet, muss jetzt auf die Berliner Märkte und in umliegende Restaurants mit regionaler Küche. „Mein Betrieb ist sogar der einzige, der diese Rübe noch anbaut, alle anderen haben es wieder aufgegeben, weil sie viel Arbeit macht“, sagt der drahtige Biobauer. Dafür hat Szilleweit jedoch viel Rückhalt im Ort. Die Stadt hat sich die Marke schützen lassen, nur aus Teltow dürfen die echten Rübchen kommen.

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