Serie "Rund um Berlin"

In Caputh fügt sich alles perfekt zur Gelassenheit

| Lesedauer: 8 Minuten
Jennifer Wilton

"Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt", soll Albert Einstein einst gesagt haben. Das Haus des Nobelpreisträgers lockt heute noch zahlreiche Besucher in den Südwesten Berlins. Doch die Region hat noch viel mehr zu bieten. Villen, Schloss, Parks – und jede Menge Ruhe.

Dieser Text beginnt nicht mit Albert Einstein. Er beginnt mit freundlichen, blassgelben Häusern und stillen Höfen, wintermüden Schwänen und leise raschelndem Schilf am Ufer der Havel. Mit einer Fährstelle, die das eigentliche Eingangstor nach Caputh ist. Und mit Frau Müller. Frau Müller sagt, im Sommer, wenn mal wieder richtig viel los ist im Ort (das ist es fast immer), steht sie manchmal frühmorgens auf der Terrasse, ein paar Meter neben der Fähre. Dann kommt ein Schwarm Fischreiher (das passiert oft). Und während sich ein Vogel nach dem anderen langsam absenkt, sieht Frau Müller wieder, was ihr im Gästetrubel des Sommers hin und wieder unsichtbar wird: die Ruhe des Wassers und der Luft, und, sagt sie, wie sich hier alles, Natur, Menschen, Leben, ziemlich perfekt zusammenfügt. Zur Gelassenheit Capuths.

Im Winter muss man nicht lange suchen, nach der Ruhe. Im Winter sind Capuths Straßen eher leer: die große, die sich einmal quer durch den Ort zieht und irgendwann nach Potsdam verschwindet. Und die kleinen, die rechts und links abzweigen, und meistens an einen See führen: den Caputher, Templiner, den Schwielowsee. Einiges ist jetzt geschlossen, zumindest an den Wochentagen: das Schloss zum Beispiel, immerhin das einzige noch erhaltene Lustschloss des Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Das Heimathaus, oder Einsteins Sommerhaus. Und auch das Restaurant im Fährhaus, Frau Müllers Restaurant. Im Winter haben die Caputher Caputh wieder für sich.

Nicht, dass sie sich an Gästen stören würden. Viele Caputher sind Gastgeber. Das war schon zu DDR-Zeiten so, wenn die Urlauber aus Sachsen kamen und noch jeder Schuppen zum Ferienbungalow umfunktioniert wurde. Und es trug damals wie heute mit dazu bei, dass es dem Ort ganz gut geht. Das wiederum war nicht immer so.

Stadtmüde zog es schon Anfang des 20. Jahrhunderts hierher

Im Mittelalter nutzte den Caputhern die „reizvolle“ Umgebung wenig, denn sie saßen zwar am Wasser, aber die Fischereirecht hatten andere. Es ging eher schleppend voran, mit dem Dorf. Eigentlich erst richtig, als in Berlin der Bauwahn ausbrach. Jede Menge Ziegel wurden gebraucht. Sie kamen aus Glindow und wurden über die Havel transportiert. Auf dem Weg lag Caputh. Die Caputher wurden Schiffer. Und ihr Ort erlebte selbst so etwas wie Gründerjahre: es wurde gebaut, gebaut, und gebaut. Es dauerte nicht mehr lange, da entdeckten Anfang des 20.?Jahrhundert auch stadtmüde Berliner den Ort für sich – nicht nur für Ausflüge oder die Sommerfrische. Wer Geld hatte, baute sich eine Villa, an der Havel, auf dem Krähenberg, immer mit Blick auf das Wasser. Die Entdeckung der Gelassenheit.

Etwas ähnliches passierte auch in den letzten Jahren. Das kann man sehen (frische Fassaden, neue Häuser) und hören (dezentes Hämmern aus Südost). Das sagt Karsten Grunow, der Fährmann von Caputh, an ihm kommt hier keiner vorbei. An der Fähre, die die 40 Meter nach Geltow über die Havel fährt, ist auch im Winter Betrieb, Grunow dirigiert zwei Autos über die Laderampe, dann die Fahrradfahrer, Hallo, Guten Tag. Wer hier jetzt steht, kennt sich. Und Karsten Grunow kennt man sowieso, er fährt seit 16 Jahren, davor tat das seine Mutter, ihr Vater, sein Vater, und so weiter, seit fünf Generationen.

"Warum sollte man auch hier weg wollen?"

„Es ist schon sehr viel gebaut worden“, sagt Grunow. Dort, wo früher die Obstbäume standen, zum Beispiel, und es gab einige davon in Caputh. Es sei durchaus passiert, sagt Grunow, dass er Besucher auf seiner Fähre hatte, die eher aus Zufall dort landeten. Sie sahen den Ort, das Wasser, die Ruhe und waren überrascht. Als sie das nächste Mal mit ihm fuhren, waren sie schon Neu-Caputher, sagt er. Es ist schon einiges passiert, das sagen auch die Zahlen. Caputh, die Gemeinde Schwielowsee (Caputh, Ferch, Geltow) hat in den vergangenen Jahren neue Einwohner gewonnen. Die brachten Geld mit. Dafür sprechen zumindest die Einnamen aus der Einkommensteuer, die sich zuletzt fast verdoppelt haben.

Neue kamen, die Alten blieben – und deren Kinder auch: Natürlich, sagt Grunow, sind nach dem Mauerfall ein paar gegangen. Aber sie kamen oft wieder. „Warum sollte man auch hier weg wollen?“. Das sagt auch der Sohn von Frau Müller, der jetzt auch im Fährhaus mitarbeitet, als Koch. Es ist wohl kein Zufall, dass es viele Familienbetriebe gibt in Caputh, und die oft seit Generationen. Wahr ist natürlich auch, das sagen die Jüngeren, dass es das Kino nicht mehr gibt. Und dass die Caputher Kultur – die Caputher Musiken, die Ausstellungen – für sie nicht ganz so reizvoll ist wie für viele Gäste. Aber: was es hier nicht gibt, gibt es in Potsdam, und bis dahin sind es nur acht Kilometer. Bis Berlin ein paar mehr.

Einsteins Haus hält dem Besucherstrom kaum stand

Aus Berlin kam Ende der zwanziger Jahr kam auch der berühmteste Gast Capuths, der inzwischen selbst für ganze Heerscharen von Besuchern sorgt. 1929 wurde Albert Einsteins Haus in Caputh gebaut, am Waldhang, Blick auf den Templiner See. Es ist nicht ganz einfach mit Einstein. Im Grunde verbrachte er nur drei Sommer hier. Aber heißt es Caputh, heißt es als nächstes: Einstein. Erika Britzke sagt, das sei eigentlich schade. Einstein, Einstein, Einstein, obwohl es doch so viel mehr gäbe, in Caputh.

Dabei ist Erika Britzke zuständig für Einstein, und sein Haus, seit bald 30 Jahren und auch jetzt im Winter, wenn es geschlossen ist. Sie weiß ungefähr alles über sein „Sommeridyll“. Sehen Sie hier, sein Zimmer, klein, einfach, ruhig. Sehen Sie, damals gab es hier kein Telefon, kein Radio: „Er wollte Ruhe.“ Einstein wollte die Ruhe auch für das Haus, wenn er schon längst nicht mehr da sein würde. Er wollte kein Museum. Und Erika Britzke sagt, das hielte das Haus auf Dauer auch nicht aus, wenn da ständig Gruppen durchmarschierten. Aber es ist natürlich schwierig, nicht mit jemanden wie Einstein zu werben, zumal, wenn er sich so gut zitieren lässt: „Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt“. Das weiß auch Frau Britzke. Immerhin: Jetzt im Winter ist erst mal Ruhe. Fast überall in Caputh.

Nicht an der Fährstelle. Die könnte, nebenbei, auch der Schlüssel zum Namen des Ortes sein. So zumindest eine Version. Aus dem Wendischen soll „Caputh“ kommen und Entenfänger heißen. Tatsächlich füttern gleich bei der Fähre die Caputher im Winter traditionell die Wasservögel, die sich hierher, wo es fast nie zufriert, flüchten. An der Fährstelle, dem eigentlichen Eingangstor nach Caputh, in aller Gelassenheit.

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