Babelsberg glänzt wieder. Im ehemaligen Grenzort sind die Narben der deutschen Teilung ansehnlich verheilt. Der Osten Potsdams wächst mit dem Westen Berlins gut zusammen – besser als Ost- mit Westberlin.
Der Griebnitzsee trägt schwer an seiner Geschichte. An sonnigen Sommertagen sind alle Wege verstopft. Auf dem Gehweg entlang des ehemaligen Todesstreifens arrangieren sich Radfahrer, Fußgänger, Armadas von Kinderwagen und immer wieder angstfrei dazwischen: Rollerblader. Auf dem See selbst und vor den engen Durchfahrten zum Wannsee wie zur Havel stauen sich kleine Segelboote und dicke Yachten. Auf den Straßen entlang dem See suchen hektische Großstädter nach Parkplätzen, nicht zur Freude der eher ruhebedürftigen Anwohner.
Knapp 20 Jahre nach dem Fall der Mauer gehören der Griebnitzsee und der nördliche Teil von Babelsberg zu jenen Ecken der ehemaligen DDR, die deren einstige Existenz in hellen Farben leugnen. Mehr noch, es scheint, als ob es alte wie neue Bürger darauf angelegt hätten, den historischen Bogen denkbar weit – über die zwei Diktaturen, die jener liebliche Ort im Süden Berlins erdulden musste – hinweg in die Weimarer Republik zu spannen. Ähnlich wie in der Berliner Vorstadt und in Sacrow sprangen private Investoren nach 1990 ein, als es darum ging, eine einzigartige städtebauliche Substanz vor dem Verfall zu retten. Potsdam war schon in Zeiten der DDR ein Ort der Verklärung für jene, die sich mit der neostalinistischen Kälte des Ostblocks und seinem Gesicht aus Beton nicht anfreunden wollten: Potsdam galt als Rückzugsraum für Bohemiens im inneren Exil und Babelsberg als ihr verträumter Tummelplatz.
Heute glänzt Babelsberg, besonders an den Hängen zum Griebnitzsee, wie ein verlorenes Zeugnis untergegangener Zeiten: Prächtig knirschen die Kiesauffahrten, üppig wuchern die Hecken hinter den hohen schmiedeeisernen Zäunen, hell strahlen die weiten Räume der Villen am Abend. Jeder Ecke merkt man an, dass hier der Glamour der 20er- und 30er-Jahre zu Hause war: mit den Filmstudios und den vielen Häusern, die von den Helden des deutschen Films bewohnt wurden. Hier lebte Lilian Harvey neben Richard Tauber, Magda Schneider gegenüber von Marika Rökk, hier war das Gästehaus der Ufa, wo Heinz Rühmann oder Hans Albers logierten. Etwas verknappt könnte man sagen: Babelsberg war das Beverly Hills Deutschlands. Und heute sieht es schöner aus als die hoch retuschierte, gebotoxte Narbenlandschaft in Los Angeles.
Neobiedermeiers trifft auf Modernismus
Mies van der Rohe begann hier sein Werk als 20-Jähriger mit dem Haus Riehl 1906. Das Haus ist eine Art Vexierspiel: Sieht man es von vorne, erinnert es an das Neobiedermeier der Landhausbewegung in seiner schnörkellosen Form, blickt man jedoch von unten, auf halber Höhe zum Griebnitzsee, auf das Haus, erkennt man, dass diese Giebelei mit den grünen Fensterläden auf einem modernistischen Sockel gebaut ist. Denkt man sich das Häuschen weg und blickt nur auf den bewohnten Sockel, schimmert da ein Flachdachbungalow heraus.
Mies blieb dem Griebnitzsee treu: Zehn Jahre später baute er für den Bankier Urbig ein in Farbe und Leichtigkeit italienisch anmutendes Villengebäude am Seeufer. Wiederum zehn Jahre später schuf Mies – längst zum kühl Modernen entschlossen – mit dem Haus Mosler seinen letzten Villenbau im preußischen Stil. Fast wirkt es so, als ob er an diesem Ort seine Radikalität nicht ausleben wollte.
Ein Ort der Mäßigung
Babelsberg ist ein Ort der Mäßigung. Der Schlosspark wie das Schloss wirken gleichsam spielerisch in die Landschaft gesetzt. Ketzer aus Süddeutschland sagen, dass sie das Schloss Babelsberg an eine Brauerei erinnere, und vielleicht hat das damit zu tun, dass viele Brauereien aussehen wollten wie Schlösser. Dennoch: Bis heute hat der Eklektizismus der Schlosslandschaft zwischen Havel und Griebnitzsee etwas dem grauen Alltag Entrücktes. Vielleicht können sich die Gäste des Biergartens am „Bürgershof“ nicht sattsehen an diesem Festspiel aus Bäumen, Wasser und Gebautem. Der „Bürgershof“ selbst ist aufseiten Glienickes ebenfalls eine Rebellion gegen die DDR: aufgebaut im Stile der älteren Zeit, weil das alte herrschaftliche Gebäude von den Barbaren des Arbeiter-und-Spitzel-Staates abgetragen wurde. Seit Februar 2008 gibt es die Genehmigung, den alten schmucken Bau denkmalgerecht wiederaufzubauen. Einst war diese Enklave hin zum Jagdschloss Glienicke ein Anker im Westen, heute sind die Kulturlandschaften wieder miteinander verschmolzen.
Nur die Verkehrssituation muss sich ändern. Allein ein zierliches Brücklein verbindet Babelsberg mit Glienicke. Platz ist nur für einen Fahrstreifen, und so regelt eine vorsintflutliche Ampelanlage den Verkehr. Der Südwesten Berlins kommt gerne hierher: staunend über die kulturelle Verwandtschaft, die Zehlendorf lebensweltlich und architektonisch mit Potsdam und Babelsberg verbindet, gerührt aber auch über das Ausmaß an Fingerspitzengefühl, mit dem die Zeugnisse untergegangener Pracht mit neuem Leben angehaucht werden.
Symbol gelungener Einheit
Potsdam ist ein Laboratorium der Lebensart für Berlin. Deshalb wächst der Osten Potsdams mit dem Westen Berlins eher und schneller zusammen als der Westen Berlins mit seinem Osten.
Da Potsdam unter Unesco-Schutz steht, findet die Denkmalbehörde gute Argumente, um hier zu schützen, was andernorts längst verloren ist: der Glanz eines Stadtteils, der nicht von egalitärem Biedersinn ruiniert wurde. Auch der gemeinigliche Linkspartei-Wähler wird stumm, wenn er die Prachtbauten der ehemaligen Villenkolonie Neubabelsberg, 1874 gegründet, blitzen sieht. Allerdings hat der Klassenkampf noch nicht ganz ausgedient. Der Uferweg, der auch über die Privatgrundstücke von Anrainern geht, wird immer wieder zum Schauplatz von Barrikadenkämpfen. Historisch gesehen, ist der Weg ein Produkt jüngster Geschichte: Die Villen hatten stets direkten Zugang zum See. Das wiedervereinigte Deutschland will die Schaustelle jedoch erhalten, und die vernünftigen Anwohner sind dazu bereit, wenn auch mit einigen Einschränkungen.
Als die Potsdamer Konferenz 1945 im Schloss Cecilienhof über das Schicksal des vom Faschismus befreiten Deutschland nachdachte, brach die Allianz der Alliierten unwiderruflich. Stalin, Churchill und Truman wohnten allesamt am Griebnitzsee – nur wenige Hundert Meter voneinander getrennt. In Babelsberg waren sie sich das letzte Mal nahe. Danach zerbrach die Welt. Die Narben dieser Trennung sind in Babelsberg derart ansehnlich verheilt, dass jener Ort der Teilung heute als ein Symbol gelungener Einheit gelten darf.