Zwischen Geborgenheit und Frust liegen manchmal nur ein paar Hundert Meter. Während sich im Falkenhagener Feld am Abend kaum jemand aus seinem Hochaus traut, erscheint das benachbarte Hakenfelde als das Paradies um die Ecke – mit viel Grün, Reiterhöfen und einem der schönsten Stadtbäder Berlins.

Manchmal kommen sogar hier Romantiker auf ihre Kosten. Wenn der Wind durch die gelb-roten Blätter der Bäume bläst und das Wasser auf dem Großen Spektesee zu silbern schillernden Wellen vor sich her schiebt, hat die Silhouette des Falkenhagener Feldes etwas Spektakuläres. Wenn abends die Sonne ihre letzten Strahlen gegen den aluminiumverkleideten Turm der St.-Markus-Kirche wirft, bevor sie über dem Spandauer Forst untergeht, scheint die raue Wirklichkeit endlos weit weg zu liegen.

Wer hier aufwächst, zur Schule geht, eine Lehre und den Führerschein macht, sich verliebt, ein Auto kauft, sich trennt und wieder neu verliebt, dem muss niemand mehr das Leben erklären. Ach, hätten die Menschen, die vor 40 Jahren das Falkenhagener Feld bevölkerten, weil es ein Garten Eden für junge Familien war, doch nur irgendwann die Zeit anhalten können. Als Kinder noch in jungfräulichen Grünanlagen tobten, Hunde am Kiesteich tollten und Väter sonntags zum Frühschoppen in den „Falkenseer Krug“ zogen, um über Hertha BSC zu fachsimpeln. Als die SPD-Frau sonnabends im Einkaufszentrum vor Bolle mit dem CDU-Mann stritt und das Kilo Kartoffeln bei Krohn noch mit der großen Heugabel geschaufelt und dann abgewogen werden musste.

Aus einem kleinen Sandweg wurde die sechsspurige Falkenseer Chaussee, aus modernen Hochhaussiedlungen sind inzwischen zum Teil Armenviertel geworden. In manchen Straßenzügen sind die Hälfte aller Bewohner deutschstämmige Aussiedler. Das Verhältnis untereinander ist von Desinteresse und Abschottung gekennzeichnet.

Wer in der Wasserwerkstraße lebt, geht besser nicht allein in die Westerwaldstraße. Wenn die „Tagesschau“ beginnt, ist es ohnehin für viele Zeit, zu Hause zu sein. Danach ziehen Jugendliche durch die Straßen, deutsche, türkische, russische Gangs. Sie grölen laut herum, und am nächsten Morgen liegen abgebrochene Spiegel und Antennen neben den Autos. Aus Sorge hat Altenpfleger Michael Böhm(44) seine beiden Töchter aus der Siegerland-Grundschule in der Westerwaldstraße genommen und sie ins evangelische Johannesstift geschickt. „Lieber zahle ich dort 95 Euro Schulgeld im Monat, weiß sie aber in guten Händen“, sagt er. Die beiden haben schnell neue Freundinnen gefunden und verbringen ihre Freizeit in Hakenfelde. „Das ist viel besser“, findet der Vater.

Gar nicht weit weg, gleich hinter dem Friedhof „In den Kisseln“ wird aus dem Falkenhagener Feld Hakenfelde. Hier, zwischen Havel und Spandauer Forst, lebt die Geborgenheit. Direkt am Fußballplatz von Teutonia hat der Tennisklub Sutos sein Klubhaus, nebenan lädt das Johannesstift zum Erntedankfest oder zum großen Weihnachtsbasar. Selbst gebackener Kuchen, handgefertigte Tongefäße, Hilfsbereitschaft und liebevolles Miteinander.

Hakenfelde hat so viel mehr zu bieten als die Wohnsilos im Süden. Am Hohenzollernring entstand auf einem alten Schotterfußballplatz eine schicke Eislaufbahn, sonnabends trifft sich dort die Jugend zur Eisdisco. Es gibt Tanzschulen, Reiterhöfe und in der Radelandstraße eines der ältesten und schönsten Stadtbäder Berlins. Jeden Sonnabend ist dort Nacktbadetag.

Zwei Brücken in der Wasserstadt

An der Havel ist eine moderne Wasserstadt entstanden. Zwei neue Brücken verbinden sie mit Haselhorst, der mühsame Weg über die Altstadt entfällt. Das Wohnen im Norden wurde deutlich attraktiver, Berufsschulen haben sich angesiedelt. Immer mehr junge Leute ziehen deshalb nach Hakenfelde, auch aus dem Falkenhagener Feld.

Die dort frei werdenden Wohnungen übernehmen überwiegend Russen. Sie machen einen netten Eindruck, heißt es, sprechen aber kaum Deutsch. Hochburg ist die Westerwaldstraße. Die Kassiererin im Discounter hat die Besonderheit ihrer neuen Kundschaft ausgemacht: „Sobald es Geld gibt, kaufen sie immer den teuersten Schnaps“, erzählt sie.

Zwei Kilometer weiter, im Einkaufszentrum am Kiesteich, kämpfen die Geschäfte ums Überleben. Gerade musste Radio Lindenberg, ein kleiner Elektroladen, der zwei Generationen lang im Familienbesitz war, schließen. Seit Anfang Oktober ist in den Räumen ein Geschäft für russische Spezialitäten. Und im Falkenhagener Express, einer achtseitigen Hauswurfpostille, gibt es sogar Backtipps in russischer Sprache.

Davon bekommt Dirk Hoffmann (45) wenig mit. Er lebt in Hakenfelde und damit im Paradies um die Ecke. „Hakenfelde ist für Sportinteressierte einmalig“, schwärmt der Personal Trainer. „Wenn ich mit meinen Kunden durch den Spandauer Forst jogge, fühle ich mich wie in einer anderen Welt.“ Das Gefühl ist echt.