Serie "Das ist Berlin"

Heiligensee - Wer hier lebt, zieht nicht mehr weg

| Lesedauer: 4 Minuten
Mathias Stengel

Wasser, Wald und Felder machen den Reiz der Havelorte Heiligensee und Konradshöhe im Nordwesten Reinickendorfs aus. Alteingesessene leben in Einfamilienhäusern, Zugezogene in zu schicken Wohnanlagen umgebauten Bauerngehöften. Doch die Idylle ist in Gefahr.

Katrin Knoke ist in den vergangenen 16 Jahren viermal umgezogen. Erstaunlich daran ist, dass sie zwar die Wohnung gewechselt hat, aber dennoch geblieben ist – in Heiligensee. Das Leben der 59 Jahre alten Fotografin ist typisch für die Menschen im Nordwesten Reinickendorfs. Wer sich einmal in den besonderen Mix von Wasser, Wald und Ruhe verliebt hat, zieht nie wieder fort.

Nur drei Minuten Autofahrt von Tegel durch den Forst – und Heiligensee begrüßt einen mit unerwartet ländlichem Reiz. Weite Felder, Weiden mit Galloway-Rindern, eine Schmiede im Dorfanger – und, wenn man Pech hat, ein Wildschwein. Wer in den Ort Heiligensee mit seinen knapp 18.000 Einwohnern fährt, sieht zuerst schmucklose Einfamilienhäuser, in denen alteingesessene Ur-Heiligenseer wohnen. Die Zugezogenen haben den attraktiven Ortskern rund um die Dorfkirche gewählt, alte Bauerngehöfte, die zu schicken Wohnanlagen umgebaut worden sind. Angezogen hat sie das wildromantische altertümliche Ambiente mit unbefestigten Fußwegen, Kopfsteinpflaster und hohen Kastanien. So könnte es auch vor 700 Jahren ausgesehen haben, als Heiligensee erstmals urkundlich erwähnt worden ist.

Vor einigen Wochen haben die Anwohner aus diesem Anlass den Anger in einen Festplatz verwandelt. Dort präsentierte sich auch das alte Handwerk: Fischer, Schmied, Steinmetz oder Kunstmaler. Die gibt es noch immer in Heiligensee, und sie machen das Dorf besonders. Doch die mühsam über die Zeit gerettete Idylle ist in Gefahr, das Ende einiger Traditionen absehbar.

Diese Sorgen hat Kunstmaler Johannes Bauersachs derzeit nicht. Inmitten eines Bauerngartens hat er sein Atelier im märchenhaft wirkenden einstigen Bahnwärterhäuschen. Von diesem Fluidum war schon die Foto-Collagistin und Mitbegründerin der Berliner Dadaisten-Schule, Hannah Höch (1889–1978), angetan, die fast 40 Jahre lang bis zu ihrem Tod an der Wildbahn 33 gelebt und gearbeitet hat. Bauersachs, jetziger Eigentümer des Künstlerhauses, gewährt Interessierten Einblicke in Haus und Garten und erhält das Gesamtkunstwerk der Nachwelt als romantischen Ort.

Harte Zeiten für harte Jobs

Wohl nur noch 25 Jahre wird es die Havelfischer an der Fährstraße 16 geben. In dritter Generation betreiben Markus Liptow (41) und Klaus Gabriel (42) das Handwerk, das sie 1999 von ihren Vätern übernommen haben. Seit 1952 fangen die beiden Familien auf Oberhavel und Tegeler See Aale, Zander, Hecht und Barsch. „Die Zeiten für den harten Job sind noch härter geworden“, sagt Liptow. Es wird keine vierte Generation der Havelfischer geben, die Kinder wollen nicht …

Für Steinmetz und Bildhauer Kai Dräger endet das Heiligenseer Handwerker- und Künstlerdasein bereits Ende dieses Jahres. Der 47-Jährige packt enttäuscht seine Sachen. Er muss das geliebte, denkmalgeschützte Straßenbahndepot verlassen, das zwei Jahrzehnte Werkstatt und Atelier beherbergt hat. Das Grundstück mit Wasserzugang zum Heiligensee ist begehrt und eines der letzten, das in dieser Lage noch Platz für neue Wohnungen bietet. In den kommenden Jahren sollen dort Lofts in die historische Wagenhalle implantiert werden – Wohnraum für 50 neue Anwohner.

Die Zeit der Stille scheint vorbei

Bislang geschah alles behutsam. Der Wandel vom dörflichen Idyll mit betagten Kossätenhäusern und Remisen hin zu komfortablen Quartieren für großstadtmüde Berliner erfolgte unter der strengen Aufsicht der Denkmalschützer. Mit dem Auszug von Kai Dräger und dem Abriss des „Landtierhauses“ und des Gartenfachgeschäftes „Hübner“, die dem Bau eines Supermarktes weichen müssen, scheint die Zeit der Stille vorbei.

Vor derartigen Veränderungen bleiben das angrenzende Konradshöhe und Tegelort weitgehend verschont. Dort spielt sich das wenige Geschäftsleben rund um den Falkenplatz ab. Die restliche, meist unspektakuläre Bebauung schmiegt sich, vom Wald geschützt, an Havel und Tegeler See. Ein Spaziergang lohnt sich: Der Uferweg ist frei begehbar, die Restaurants sind Ausflugslokale im besten Sinne.

>>> Morgen gibt es die nächste Folge: Adlershof