Im Freiwilligen Ökologischen Jahr in der Natur arbeiten? Das geht auch in Berlin, Morgenpost-Serie, Teil 33.
Berlin. Es ist noch früh am Morgen, als auf dem Reiterhof Leidner in Lübars Sophie die Ställe ausmistet, während Henriette im Jugendklub Maxim in Weißensee die Gemüsebeete gießt. In der Neuköllner Hasenheide säubert Joane das Terrarium der Dornengespenstschrecken. Auf den ersten Blick haben diese Tätigkeiten nicht viel gemeinsam. Auf den zweiten jedoch schon – sie sind Bestandteil des Freiwilligen Ökologischen Jahres (FÖJ).
Das Freiwillige Ökologische Jahr ist ein Bildungs- und Orientierungsjahr für Jugendliche. Durch die Arbeit in ökologischen Einsatzstellen sollen die Jugendlichen für die Umwelt sensibilisiert werden. Ob wissenschaftliche Einsatzstellen, Gartenarbeitsschulen, Waldschulen, Einrichtungen im technischen Umweltschutz, Waldschulen, Ökoläden, Kitas und Jugendclubs – die Bandbreite an Möglichkeiten, ein FÖJ zu machen, ist riesig. Zusätzlich zur ganztägigen Arbeit finden Seminare statt. Das Ökologische Jahr bietet die Möglichkeit, sich aktiv im Umweltschutz zu engagieren, beruflich zu orientieren oder die Wartezeit bis zum Studium oder Ausbildungsbeginn sinnvoll zu nutzen.
2800 Einsatzstellen in ganz Deutschland
Der Freiwilligendienst wurde in den 90er-Jahren als Modellprojekt ins Leben gerufen. Damals erregten Bilder vom Waldsterben und der Reaktorunfall von Tschernobyl die Öffentlichkeit. „Das FÖJ soll deshalb junge Menschen für die Aufgabe als mündiger und aktiver Bürger fit machen, denn erst dann kann Partizipation und Demokratie gelingen“, heißt es auf der Website des Fördervereins Ökologische Freiwilligendienste e. V., dem Dachverband des Freiwilligendienstes. Etwa 2800 Einsatzstellen gibt es in ganz Deutschland. Gefördert wird der Freiwilligendienst vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Europäischen Sozialfonds und dem Land Berlin. In der Hauptstadt gibt es drei Träger für das FÖJ: Die Stiftung Naturschutz Berlin, das Jugendwerk Aufbau Ost Jao und die Vereinigung junger Freiwilliger e. V. (VjF).
Karsten Wäsch ist Projektleiter FÖJ bei der Vereinigung junger Freiwilliger. „Das FÖJ richtet sich vor allem an jugendliche Schulabgänger unterschiedlichster Abschlüsse. Sie machen ein Jahr lang Freiwilligendienst in verschiedenen grünen Einrichtungen. Wir fungieren als Arbeitgeber, stellen sie ein und vermitteln sie an ökologische Einrichtungen“, sagt er.
Auch die 19-jährige Joane Slawitzki hat sich nach ihrem Abitur für ein ökologisches Jahr entschieden. Sie bewarb sich bei der Vereinigung junger Freiwilliger, wurde zum Bewerbungsverfahren eingeladen und kam in den Tierpark Neukölln in der Hasenheide. Am Rande des Volksparks gelegen findet man in der Anlage unter anderem Ziegen, Damwild, Esel und Ponys, aber auch exotische Tiere wie Emus, Lamas oder Axolotl. Seit vergangenem September arbeitet Joana auf dem Hof, der von der Union sozialer Einrichtungen gGmbH betrieben wird.
„Ich wollte nach der Schule etwas machen, wo man mit anpacken kann. Ich war mir noch nicht sicher, was ich nach dem Abitur machen will“, erzählt sie. „Das FÖJ hat mich angesprochen, da ich schon immer etwas mit Tieren machen wollte.“ Insgesamt gibt es auf dem Hof vier „Ökis“, wie die Träger ihre Freiwilligen liebevoll nennen. Lars Brasche ist seit Oktober 2014 Arbeitsgruppenleiter im Tierpark. „Wir haben seit 2013 jedes Jahr vier Jungs oder Mädels, die ihr FÖJ hier leisten“, sagt er. Seine Erfahrungen mit den Freiwilligen beschreibt er als überaus positiv.
Für ein ökologisches Jahr muss man jedoch nicht nur tierlieb sein, sondern auch anpacken können. Die Gehege zu säubern und auszumisten und die Fütterung der Tiere gehört zu den alltäglichen Arbeiten. „Klar, am Anfang ist die harte körperliche Arbeit ungewohnt, aber ich habe mich relativ schnell dran gewöhnt“, sagt Joane. Auch bei verschiedenen Projekten kann sie mit anpacken. Ob Hornissenkästen bauen oder Fenster abschleifen und neu streichen – im Tierpark gibt es immer viel zu tun. Auch Tierführungen im Rahmen von Veranstaltungen wie Kindergeburtstagen übernimmt Joane. Dann holt sie auch schon mal eine Kornnatter oder eine Dornengespenstschrecke aus dem Terrarium, um sie den Kindern zu zeigen.
Die Arbeit macht Joane Spaß, doch am liebsten ist sie bei den Ziegen. „Wenn ich mal einen schlechten Tag hatte, kann ich bei den Ziegen entspannen.“ Die Ereignisse am Anfang des Jahres haben sie getroffen. Im Januar geriet der Tierpark in die Schlagzeilen, weil aus dem Streichelzoo ein trächtiges Schaf entwendet und im Gebüsch geschlachtet wurde. Im Februar töteten zwei Männer eine Angoraziege. Sie sollen dem Tier die Kehle durchgeschnitten und ein Bein abgetrennt haben. Beide Täter wurden zu zehn beziehungsweise neun Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Die grausamen Taten haben die Mitarbeiter des Tierparks fassungslos gemacht. „An dem Tag waren alle niedergeschlagen, keiner wusste so richtig, was er sagen soll“, erzählt Joane. „Man hat ja eine Verbindung zu den Tieren aufgebaut, sieht sie jeden Tag und kümmert sich um sie. Und auf einmal sind sie nicht mehr da.“
Neben den Freiwilligen arbeiten in dem Tierpark auch Menschen mit psychischen Erkrankungen. „Wir hatten viele aufbauende Gespräche mit den Mitarbeitern und haben versucht die Trauer mit ihnen zu verarbeiten. Alle Mitarbeiter waren schockiert, auch wir Arbeitsgruppenleiter, weil man nicht damit gerechnet hat, dass so etwas passieren kann“, erzählt Lars Brasche.
Auch die Besucher haben sehr viel Anteilnahme gezeigt oder fragten nach dem Verbleib der fehlenden Ziegen im Streichelzoo. Die Folgen der Taten spürt man nicht nur in den Reaktionen der Besucher und Mitarbeiter, man kann sie auch auf dem Hof sehen: der Streichelzoo ist fast leer. Kurz vor dem gewaltsamen Entwenden der beiden Tiere starb der Ziegenbock an Altersschwäche. Nur ein paar Hühner, Tauben und Enten findet man noch in dem Gehege. Das soll sich jedoch schon bald ändern. Von einem bayrischen Züchter hat der Tierpark zwei neue Angoraziegen gekauft. Momentan stehen diese noch bei den Kaschmirziegen auf der Wiese. Sobald die Überwachungskameras verbessert werden, sollen die Angoraziegen in den Streichelzoo kommen, so Brasche. Aber Joane behält größtenteils positive Erinnerungen an ihre Zeit im Tierpark, beispielsweise an die Aufzucht der Jungtiere zu Ostern. „Das ist echt schön, wenn man jeden Tag sieht, dass die Jungtiere gewachsen sind.“
Neben dem Tierpark Neukölln kooperiert die Vereinigung junger Freiwilliger mit 56 weiteren Einsatzstellen in Berlin. Nicht alle befinden sich in der freien Natur. Beispielsweise gibt es auch 26 Einsatzstellen, in denen die Freiwilligen meist in geschlossenen Räumen arbeiten, etwa in Umweltläden, Laboren oder Jugendzentren.
Dennoch steht der ökologische Aspekt bei dem Freiwilligendienst im Vordergrund. „In Zeiten schwerer klimatischer Bedingungen wollen wir durch diese Maßnahme das Umweltbewusstsein der Jugendlichen in die richtige Richtung lenken und vertiefen“, sagt Wäsch. Das soll auch in den begleitenden Seminaren vermittelt werden. Fünfmal im Jahr fahren die Jugendlichen auf Seminarfahrten ins Berliner Umland, aber auch ans Meer oder in Waldgebiete. Im Laufe der Seminare sollen die Jugendlichen die Natur besser kennenlernen und zu schätzen wissen.
FÖJ als Vorbereitung aufs Berufsleben
Auf dem Programm stehen dann zum Beispiel Ausflüge in Museen, zu Meeresmuseen oder zum Kreidefelsen nach Rügen. Dabei können die Jugendlichen stets ihre eigenen Interessen äußern und den Seminarplan teilweise mitgestalten. Karsten Wäsch leitet unter anderem auch die Seminare. „Darin können wir theoretische Anstöße durch Vorträge und Referate zu den unterschiedlichsten Themen geben. Wir führen unterschiedliche Exkursionen durch und versuchen die Teilnehmer für verschiedene Themen zu sensibilisieren. In unserem Waldseminar in Müllrose dreht sich beispielsweise alles um das Biotop Wald.“ Die Jugendlichen säubern jedes Jahr in einer großen Aktion den Müllroser Forst oder räumen auch mal nach Sturmschäden auf.
Auch Joane erinnert sich gern an die Seminarfahrten. „Man wird ja nicht nur in der Einsatzstelle, sondern auch in den Seminaren auf den Umweltschutz aufmerksam gemacht. Es gibt auch Freiwillige, die sich vorher nicht für Umweltschutz interessiert haben, sich inzwischen aber für eine Umweltorganisation engagieren.“ Auch Joane bemerkt kleine Veränderung in ihrem eigenen Alltag. So achtet sie inzwischen mehr auf ihren Plastikverbrauch.
Doch aus dem ökologischen Jahr sollen die Jugendlichen nicht nur ein erweitertes Umweltbewusstsein mitnehmen, sondern auch eine bessere Vorbereitung auf das Berufsleben. „Dafür ist es unglaublich wertvoll, wenn man ein Jahr lang bereits den Berufsalltag kennengelernt hat, ein Beitrag zum Funktionieren der Einsatzstelle geleistet oder auch nur bei Wind und Wetter gearbeitet hat“, sagt Wäsch. Für den zukünftigen Arbeitgeber sei es auch gut zu sehen, dass der Bewerber schon mal ein ganzes Jahr lang gearbeitet hat. Zudem soll das ökologische Jahr den Jugendlichen auch bei der Berufswahl helfen.
Auch Florian Neumeier, einem ehemaligem Freiwilligen, hat der Freiwilligendienst viel gebracht. Er hat sein Jahr in der Reptilienstation im Emmy-Nöther-Gymnasium absolviert und vieles daraus mitgenommen. „Ich bin generell einfach ein bisschen erwachsener geworden und verantwortungsvoller. Die Seminarfahrten zeigen viele Missstände auf, beispielsweise die Folgen der Umweltverschmutzung“, sagt Neumeier. „Vorher hatte ich nicht viel Ahnung von Umwelt und Naturschutz. Jetzt will ich etwas in diese Richtung studieren.“
Auch Joane dachte bereits vor dem ökologischen Jahr darüber nach, eine Ausbildung zur Tierpflegerin zu machen. Die Zeit im Tierpark hat sie darin bestärkt. Sie beginnt ab September eine Ausbildung im Tierheim. Besuchen möchte sie dann den Tierpark Neukölln trotzdem noch ab und zu.
Freiwilliges Ökologisches Jahr
FÖJ Das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) gibt es in ganz Deutschland. Es richtet sich an junge Menschen im Alter zwischen 16 und 27 Jahren. Auch für dieses Jahr sind ab September in Berlin noch Plätze frei. Mehr Infos im Internet auf der Seite des Dachverbandes: foej.de
Dachverband Der Förderverein Ökologische Freiwilligendienste e. V. (FÖF e. V.) ist der Dachverband der 52 Träger des Freiwilligen Ökologischen Jahres in Deutschland. Die Träger bieten neben rund 2800 Plätzen im FÖJ zusätzlich etwa 600 Plätze im Ökologischen Bundesfreiwilligendienst an. Info dazu: www.oeko-bundesfreiwilligendienst.de. Einsatzstellen können beispielsweise Naturschutzverbände, Einrichtungen der Umweltbildung oder Kinderbauernhöfe sein.
Tierpark Neukölln Der Tierpark Neukölln hat von April bis Oktober täglich von 9 bis 19.30 Uhr geöffnet, von November bis März von 9 bis 15.30 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos, Spenden sind erwünscht. Adresse: Hasenheide 82, 10967 Berlin, mehr Informationen unter: tierpark-neukoelln.berlin
Hier geht es zu allen Teilen der Stadtnatur-Serie
Anregungen Wir freuen uns über Vorschläge zu weiteren Stadtnatur-Themen per E-Mail: stadtnatur@morgenpost.de