Einen Tag lang hat unser Autor im Pflanzenmarkt "Holländer" am Treptower Park mitgearbeitet. Verdammt stressig - aber auch lehrreich.
Berlin. Von wegen grüner Daumen. Meinen Fingerhut im Topf habe ich doch immer wie verrückt gegossen. Und trotzdem lässt er den Kopf hängen. Am besten frage ich in einem Gartenmarkt nach Rat. Pflanzenfreunde empfehlen: Frag mal beim „Holländer“ am Treptower Park! Beim Eintreffen stürme ich schnurstracks auf Mitarbeiter Peter Bartos zu. Ich behaupte, dass die Pflanze sicherlich „defekt“ sei. „Ja, ja“, Bartos schmunzelt. „Die Pflanze ist schuld. Wir haben hin und wieder derlei Beschwerden. Ich sage dann immer, bei über 5000 verkauften Stück dieser Sorte kann es ja nicht an der Ware liegen.“
Aber was ist denn am üppigen Gießen falsch? Lieber mehr als zu wenig, denke ich. „Die meisten Pflanzen werden kaputtgegossen. Wir gießen unsere Pflanzen nicht nur. Bei uns wird jeder Topf, jede Pflanze mindestens einmal am Tag in die Hand genommen, getaucht oder auf Schädlinge überprüft.“ Bartos bietet mir an: Nach einem Tag Praktikum bei ihnen würde das mit den Pflanzen sogar jemand wie ich, bei dem selbst Kakteen vertrocknen, auf die Reihe bekommen.

Ich schlüpfe also in die braune Mitarbeiterkluft. Ein Tag Ranklotzen im Gartenmarkt steht mir bevor. Erste Aufgabe: Hunderte Dahlien müssen gewässert und aufgestellt werden. Drei Sattelzüge neuer Ware morgens um 7 Uhr rein. „Und das meiste geht am selben Tag noch raus“, sagt Peter. Oha.
Was waren jetzt gleich noch mal Stauden?
Ich lerne: Die Töpfe nur bis über den Topfrand und nicht länger als sechs Sekunden eintauchen. So bekommen die Wurzeln die richtige Nässe und Staunässe wird verhindert. Gleiches soll ich bei den Stauden machen. Doch was waren jetzt Stauden noch mal? „Staude ist alles, was krautig wächst, nicht verholzt und dennoch winterhart ist“, weist mich Bartos zurecht.
Gut, der Mann arbeitet seit fünf Jahren hier und ist seit 20 Jahren in der Branche tätig. Logisch, dass er und das Team des „Holländers“ genau wissen, wie es richtig gemacht wird, was sich verkauft und vor allem, was die Kunden wünschen. Die kommen sogar aus den Gärten und von den Balkonen aus Brandenburg und Sachsen hierher, lerne ich.
Über 5000 Quadratmeter Verkaufsfläche zählen zu Bartos’ Reich. Er und seine Crew kennen jeden Strauch, jede Blüte der über 8000 Pflanzenarten im Markt. Immer auf dem neusten Stand. Von Montag bis Sonntag. Wenn der Wetterbericht umschwenkt, muss in der Halle auch schnell mal das Sortiment gewechselt werden, verrät mir ein Mitarbeiter. Bis zehn Uhr in den Großmärkten in Dänemark bestellt, steht die frische Ware bereits am nächsten Morgen vor der Tür.
Der neue Trend: Blumen für Bienen
Gibt es im Frühjahr die ersten Sonnenstrahlen, geht das gesamte Sortiment innerhalb von acht Wochen raus. 58 Prozent des Jahresumsatzes wird in dieser Zeit eingefahren. In der Halle reiht sich dann Wagen an Wagen. So wie die Sachen vom Lkw kommen, gehen sie über die Kasse. Manchmal sei die Nachfrage so groß, dass Kunden den Mitarbeitern die Ware aus den Händen reißen.
Deswegen ist vom Frühjahrssortiment jetzt nur noch ein Bruchteil da. Das bekommt auch Kundin Henriette (50) zu spüren und muss sich erst zurechtfinden. „Ich suche noch etwas, das blüht und winterhart ist, aber auch viel Sonne vertragen kann. Bunt sollte es sein. Am liebsten wäre mir etwas mit blauen Blüten.“ Wenn sie Besuch hat, solle es auf dem heimischen Balkon schön aussehen. Außerdem möchte sie die Blümchen auch für die Bienen.
„Das ist zurzeit ein echter Trend. Blumen für die Bienen“, verrät Peter. „Geeignet dafür ist alles, was offen blüht, wie Sonnenhut, Indianernessel, Mädchenauge oder Phlox.“ Dann führt er mich nach draußen zu dem leuchtende Blumenfeld vor der Halle. Überall summt es. „Siehst du? Bienen.“ Das meiste der farbenfrohen Gewächsen sei aber dieses Jahr schon raus. Jetzt käme die Hölzer- und Gräserzeit. „Vor allem Heidekraut und Erika, Gräser für Terrassen sind total gefragt und sehen immer gut aus.“
Der Umgang mit besonderen Pflanzen
Über die Boxen des Außengeländes spielt ein holländischer Radiosender seine Musik. Ich werde ungewohnt friedlich von den fröhlich-klingenden Worten unserer Nachbarn im Westen, von denen ich weiß, dass sie blumenverrückt sind, aber ansonsten verstehe ich leider kein Wort. Und scheinbar füge ich mich so perfekt in meine Arbeit ein, dass ich prompt für einen „echten“ Mitarbeiter gehalten werde.
„Entschuldigung, ich suche krampfhaft die richtige Erde für meine Hortensien“, sagt Kundin Ute (51). „Mein Mann hat die falsche Erde für rote Hortensien gekauft. Mit dieser werden die ja dann blau.“ Ich schaue sie fragend an: „Bitte was?“ Und oute mich als Neuling. Dann muss mir die Kundin erklären, was ich nicht wusste: „Hortensien brauchen verschiedene Erden, um ein gewisses Farbergebnis zu erzielen. Das hat was mit dem pH-Wert im Boden zu tun. Ist viel Aluminium im Boden, ist er zu sauer und die Blüten werden blau. Deswegen brauche ich für rote Blüten etwas Kalkhaltigeres.“
Aha, dann hat ihr Mann wohl genauso viel Ahnung wie ich. Ich will dennoch meines Amtes walten und ihr beim Suchen der gewünschten Ware helfen, da riecht es plötzlich verdächtig nach einer Pflanze, die in Holland nur in „bestimmten Shops“ verkauft werden darf. In diesem Moment kommt ein Rollstuhlfahrer vorbei. Im Mund einen gewaltigen Joint, lässt er sich von Peter Bartos beraten. Er erzählt ihm, er konsumiere medizinisches Marihuana und braucht für seine Pflanzen Utensilien. Erst bin ich überrascht. Dann sagt Bartos: „Es fragen oft Leute nach dem richtigen Umgang und Optimierung mit ‚gewissen‘ Kulturen. Ich sage dann immer: Sprechen Sie von Ihren speziellen ‚Nutzpflanzen‘ zu Hause? Ich bin ja kein Staatsanwalt, ich muss niemanden deswegen verfolgen. Beraten kann ich aber trotzdem.“
Giftpflanzen gehören auch zum Sortiment
Verkaufen darf Bartos solche Pflanzenableger natürlich nicht. Ausnahmen gibt es bei Peyote-Kakteen, besser bekannt als Meskalinkaktus, aus dem LSD gewonnen wird. „Die führen wir auch. Bis zu einem gewissen Alter ist der Wirkstoffgehalt an psychotropem Meskalin in der Pflanze gering. Verboten ist sie ab einem Alter von zehn Jahren.“ Generell seien Giftpflanzen wie Trompetenblume, Eisenhut oder Efeu frei handelbar. Auch die Gefahr für Kinder, Hunde und Katzen würden viele Kunden „überdramatisieren“. Giftfälle durch Pflanzen, so will der Experte wissen, seien im gesamten Jahr äußerst gering.
Nach der Lehrstunde wird mir klar, beim „Holländer“ gibt es nichts, was es nicht gibt. Ich schaue mir einige Preisschilder an und stelle fest: Die Prämisse hier scheint zu sein: Hauptsache nicht billig. „Dafür qualitativ hochwertig“, ergänzt Bartos. Sonderformen wie eine langsam wachsende Zwergform des Ginko für schlappe 199 Euro. Ein Olivenbäumchen mit einem Alter von unglaublichen 280 Jahren. Großer Säulenkaktus: glatte 1200 Euro. „Kronjuwel“ im Gartenparadies war ein erst kürzlich verkaufter 80 Jahre alter Bonsai, für 12.000 Euro, der direkt aus Japan kam und über den Ladentisch ging. Ein gehobener Kunde wollte den für seinen Hotelneubau im Vorgarten.
Dann: Endlich Mittagspause. Ich frage die Kollegen nach der Geschichte des „Holländers“. Und höre vom niederländischen Seniorchef, der vor dem Mauerfall in Berlin eine Pflanzenlieferung machen wollte, keine Transitlieferung genehmigt bekam, seine Pflanzen folglich hier verramschen musste und anschließend gleich in Berlin blieb. Heute besitzt er zwei Filialen in der Stadt: am Treptower Park und am Olympiastadion.
Wie finden sich Blume und Biene in der Großstadt?
Und wir reden über das, was mich beim Gärtnern am meisten interessiert: Obst. Ein kleiner Garten Eden, ein bisschen Schlaraffenland auf dem eigenen Balkon – das wär’s! Prinzipiell sei das kein Problem, meint Marktleiter Patrick van Heumen. „Mittlerweile gibt es Pflanzen mit drei verschiedenen Sorten Obst in einem Strauch.“
Dann klärt der Chef mich erst mal über das Problem mit den „Blümchen und Bienchen“ auf. Weil das seit dem Biologieunterricht niemand mehr gemacht hat. Van Heumen: „Gerade auf Balkonen gibt es das Problem der Befruchtung. Speziell trifft das bei Apfel und Birne zu. Wenn ich in einer Häuserschlucht wohne, ist es schwierig, denn dahin verirrt sich selten eine Biene.“ Viele Besitzer mit einem Apfelbäumchen seien dann enttäuscht, weil ihre Pflanze keine Früchte trägt. „Die Schwierigkeit: Der nächste Apfelbaum ist eben nicht wie in der Laubenkolonie im benachbarten Schrebergarten, sondern einige Blocks weiter oder gar nicht in der Nähe.“ Van Heumen rät Fans der eigenen Ernte deshalb zu selbstbefruchtenden Obst wie der Pflaume. Aber auch Strauchgewächse wie Heidelbeeren oder Himbeeren seien ideal. Und wer wirklich unbedingt den Apfel will, stelle sich doch zwei Bäumchen nebeneinander vor: einen männlichen und einen weiblichen.
Einfacher sei es da mit dem klassischen Balkongemüse. Cocktailtomaten seien ein beliebter Klassiker. Entweder im Topf oder im Hochbeet. Letzteres sollte dabei aber unbedingt vor Regen geschützt werden. „Der echte Renner seit über zehn Jahren sind Kräuter aller Art“, so van Heumen. „Die Leute wollen ihre eigenen Kräuterkreationen probieren, mit Basilikum, Thymian oder Rosmarin.“
Eine „stachelige“ Aufgabe
Noch in den Gedanken verweilend, welche Fruchtsorte ich mir am Ende des Tages mitnehme, mache ich mich wieder an die Arbeit. An der Kasse müssen fingerhutgroße Töpfchen verschiedenster kleiner Setzlinge eingeräumt werden. Um den Tisch tummeln sich Kunden, versuchen, noch die letzten Kleinigkeiten in die Einkaufswagen beziehungsweise hier: in die Schubkarren zu legen. So auch Bente (22). Die Studentin will es unbedingt mit einer fleischfressenden Pflanze probieren. „Es ist mal ein Test. Wegen der Fruchtfliegen in der Küche.“ Dafür hat sie sich für eine Schlauchpflanze entschieden, die die Fliegen in ihre Trichter fallen lässt und mit ihrem Saft verdaut. Kleine Dinge zum Ausprobieren. Der Gedanke fasziniert mich und wohl auch viele andere Kunden. Tatsächlich gehört dieser Tisch zu den umsatzstärksten im ganzen Geschäft.
Noch eine letzte, „stachelige“ Aufgabe vor dem Feierabend steht mir bevor. Die Kakteen müssen sortiert werden. Und auch mit meiner Obstlaune komme ich auf meine Kosten. Denn der Feigenkaktus für knapp 20 Euro trägt bereits schöne rote Früchte. Nur die Stacheln sind klein, jucken und setzen sich in der Haut fest. Peter Bartos verrät mir einen Trick, die fiesen Dinger loszuwerden: „Einfach die betroffene Stelle mit Bastelkleber benetzen, trocknen lassen und abziehen.“
Am Ende meines harten Arbeitstages will ich es also mit dem Feigenkaktus versuchen. Und tatsächlich. Blüten treibt er schon. Diese Pflanze ist definitiv nicht „defekt“. Und gegen die doofen Stacheln habe ich ja jetzt auch was in der… pardon, auf der Hand.