Berlin. Es sind genau drei BVG-Haltestellen in den Urlaub. Aber noch ist Montagmorgen am Kotti. Es riecht nach Ausscheidungen und Asphalt, die U1 rattert, die Fahrgäste drängeln. Drinnen blicke ich auf die Stofftasche zwischen meinen Füßen, darin Essen für zwei Tage, eine Flasche Rotwein, Badesachen. Ich lächle in leere Gesichter. Und könnte schwören, irgendwer riecht hier nach Sonnencreme.
Am Schlesischen Tor dröhnen Baumaschinen und Berufsverkehr. Wir biegen in eine unscheinbare Hofeinfahrt, durch den ersten Innenhof, den zweiten und dritten. Die Großstadt ist jetzt zum Hintergrundrauschen heruntergepegelt, vor uns glitzert die Spree, am Steg schaukeln ein paar Boote.
Zwei Tage Urlaub auf dem Hausboot in Berlin. Das ist liegt vor uns. Die Besatzung: Ich und meine Frau, beide 36, beide null Bootspraxis. Felix, vier Jahre alt, Lieblingsbeschäftigungen: Wettrennen und Rumtoben. Frida, eineinhalb Jahre, macht alles, was der große Bruder macht, nur mit Hinfallen. Viel weiß ich von unserem Hausboot nicht. Nur so viel: Es heißt Wasserkutsche, erfordert keinen Bootsführerschein, und bietet sechs auf zwei Meter Auslauf. Kinderschwimmwesten sind an Board – so viel habe ich im Vorfeld geklärt.
Jan sagt: „Holt euch erst mal einen Kaffee“
„Papaaaa, wann fahren wir endlich los?“ Die Aufregung scheint irgendwelche Sprungfedern in den Kinderschuhen entsichert zu haben. Die Kleinen hüpfen auf und ab, wir laufen hin und her. Der Bootsverleiher ist nicht da. Er heißt Jan, grüßt am Telefon konsequent mit „Ahoi“ und brummelt irgendwas von Missverständnis und Maria. „Holt euch doch erst mal Kaffee“, sagt Jan.
Zehn Minuten später radelt Jan vor. Typ Weltenbummler mit Schlabber-Shirt und Cordmütze. Er lädt in sein Büro. Und meint ein modriges Kellergewölbe mit Antik-Schreibtisch in der Mitte. Jan war mal als Bühnenbildner in ganz Europa unterwegs „Was für eine Materialschlacht“, sagt Jan. Er wollte etwas Nachhaltiges machen. Und reiste erst mal durch die Welt. Neuseeland, Griechenland, Genfer See.
Er machte eine Bootsbauerausbildung, restaurierte Schiffe. 2010 erstand er fünf Stegplätze in Kreuzberg – und fing an, seine Wasserkutschen zu bauen. Mini-Hausboote aus Holz. Erst eins in Grün, dann in Blau, Rot, Orange. Seine Kunden: Familien, Berliner, Touristen, frisch Vermählte aus dem Standesamt nebenan und – das sagt Jan etwas leiser – Junggesellenabschiede.
Zwei Tage kosten 430 Euro. Wer Bettbezüge oder eine Soundanlage will, zahlt ein paar Euro extra. „Wenn du das Boot versenkst, haftest du mit 500 Euro“, sagt Jan. Aha. Sei aber noch nie passiert. Nur einmal, als bei Sturm ein Baum auf eine Wasserkutsche gefallen ist. Aha.
Dann ist Maria da. Ist gerade aufgestanden, sagt sie, trägt Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Kopf, Zigarettenschachtel unter den Jeansbund gesteckt. Meine Frau versucht, die Kinder auf dem Steg zu halten, ich folge Maria an Bord.
Ihre erste Anweisung: „Ist ganz easy.“ Und dass die Zeit auf dem Wasser langsamer läuft. Aha.
Unter Deck sieht das Hausboot aus wie ein etwas geräumigerer VW-Bus. Spüle, Gaskocher, Kühlschrank, Kochtöpfe und Tassen. Alles da. Der Esstisch lässt sich nachts zur Koje umfalten, wer die Treppe vorne umdreht, verbindet die zwei anderen Kojen zu einem großen Familienbett.
Und was ist, wenn wir mal müssen? Maria zieht eine kleine weiße Kiste hervor. Der Kacktus sei das. Darin ein schwarzer Beutel und darin eine Tüte mit weißem Granulat. Aha.
Jetzt fängt Maria mit der Fachsimpelei an, redet von Back- und Steuerbord, nimmt mich mit achtern. Auf die Kommandobrücke. Herzstück ist ein schwarzer Kasten, der Torpedo heißt und aussieht wie die Spielzeugversion eines Gashebels. Je weiter man ihn nach vorne drückt, desto mehr Strom fließt in dem Schiffsmotor. Fünf PS, den großen Dampfern ausweichen, immer schön rechts halten. Total easy.
Der Schnellste wird der Letzte sein
Das Torpedo-Display kann zwei Werte mitteilen. Geschwindigkeit und Motorleistung. Zwischen 600 und 800 Watt seien gut, meint Maria, über 1000 Watt schon nicht mehr so gut. Dann ist nach zwei Stunden die Batterie alle – und wir treiben antriebslos auf der Spree. Aha.
Kurze Einweisung in die Knotenkunde. Webeleinsteg. Der Knoten im Hirn sitzt. Kinder an Bord. Leinen los.
Ich reiße den Torpedo-Hebel nach hinten. Nichts passiert. Ich schiebe den Hebel nochmal behutsam nach hinten, schon surrt der Elektromotor. Unser Hausboot gleitet vor der Oberbaumbrücke auf die Spree. Irgendwas ist dran an Marias Satz mit der Langsamkeit.
Jan empfiehlt auf seinen Webseiten einige Touren. Gleich in Kreuzberg rechts in den Landwehrkanal. Oder hinter dem Plänterwald in den Britzer Verbindungskanal, über Tempelhof bis zur Havel. Was nicht geht: durch die Oberbaumbrücke in die Innenstadt. Dorthin nur mit Bootsführerschein. Aber wer will schon Urlaub in Mitte machen?
Es ist Mittag, zwischen den Klinkerzinnen krachen die Stadtmenschen in gelben Waggons über den Fluss. Wir nehmen Kurs nach Südost, die Kutsche schaukelt, der Motor singt. Am Treptower Park macht sich Urlaubsstimmung breit. Hin und wieder mal einem Kanu oder einem Paddelboarder ausweichen. Ausflüglern winken. Viel mehr gibt es nicht zu tun hinterm Steuer. 800 Watt. Das heißt: Bei leichtem Rückenwind sechs, sieben Stundenkilometer. Schnellere Schrittgeschwindigkeit. Am Spreepark überholt uns ein Holzfloß, arabischer Pop dröhnt aus den Boxen, Frauen mit Kopftüchern tanzen.
Am Ufer schrumpft die Stadt, Kilometer um Kilometer werden die Häuser kleiner, das Grau verschwindet hinter dem Grün. Das Wasser, das Surren des Motors, die behäbige Bewegung. Die Kinder scheint das genauso zu beruhigen wie mich.
Der Wald wogt watteweich am Horizont
In Köpenick biegen wir links in die Dahme. Langer See, Große Krampe, Seddinsee. Hier treiben ein paar Yachten, schwebt ein Graureiher über die Wellen, Wald wogt watteweich am Horizont. Wir machen den Motor aus, springen in das dunkelgrüne Wasser.
Es geht auf Abend zu, wir steuern unser Boot durch den Gosener Kanal. Langsam hat sich etwas zu viel Bewegungsdrang bei den Kindern angestaut. Felix klettert in Dauerschleife über das Sonnendeck, und unter Deck wieder zurück. Meine Frau jongliert Frida von Arm zu Arm. Ich jage die Wattzahl immer höher.
Dann Stille. Das Surren ist weg, auf dem Torpedo-Display: Error 43. Aha. Ein Blick auf die Akku-Anzeige verrät, es bleiben rund 30 Prozent. Motor läuft wieder. Zeit zum Anlegen.
Kleine schwarze Punkte mit einer gelben Welle. So sehen Anlegestellen auf unserer Wasserkarte aus. Der nächste Punkt ist am Seehotel Dämeritzsee. Wie ein voll besetzter Steg, so sieht unsere Anlegestelle von Deck aus. Ein Mann winkt uns zu, auf der anderen Seite sei noch Platz, wir sollten längs landen.
Neuer Anlauf, vorne steht Pavla mit einer Leine bereit, ich kurbele viel zu wild am Steuerrad. Wir knallen geradewegs in den Steg. Als der Mann am Steg die Kinderschreie aus dem Bootsinneren hört, lässt er sich die Leinen zuwerfen, zurrt uns fest, verkabelt uns.
An der Rezeption erfahren wir, dass wir den Steg mit einer Bootslänge unter acht Metern umsonst benutzten dürfen. Und dass uns der Gang auf den Kacktus erspart bleibt. Die Hoteltoilette steht uns zur Verfügung, Dusche gegen Aufpreis.
Gegen halb elf wiegt auch Felix unter Deck im Schlaf, liegen wir auf dem Sonnendeck, trinken Wein. Über uns der Sternenhimmel. Und Wuuuuuuuuuuuuuuuuuschhhhhhhh. Flugzeuge. Wir sind direkt in der Anflugschneise nach Schönefeld. Die gefühlten zwei Wochen Urlaub, das sind in Wirklichkeit elf Stunden auf dem Wasser. Berlin haben wir nie verlassen. Luftlinie sind es 20 Kilometer zu unserem Startpunkt an der Oberbaumbrücke. Der Mond geht orange auf, der See wabert schwarz.
Am nächsten Morgen sitze ich mit Felix am Stegende. Wir lassen die Füße baumeln. Er redet und redet. Dann blickt er auf den See, sagt einen belanglosen Satz, so etwas wie: Wenn man aufs Wasser schaut, sieht es aus, als würden wir schwimmen. Und ich werde sentimental.
Das Ablegen geht deutlich sanfter. Kein Kinderweinen, kein Knall. Klein Venedig gleitet an uns vorbei. Das soll Berlin sein? Villen, Motoryachten, Vogelgezwitscher. Irgendwann reißt der Horizont auf, fahren wir auf den Großen Müggelsee. Noch einmal Baden, dann geht es die Spree hoch.
Die Stadt wächst wieder am Ufer. Der Verkehr nimmt zu, hinter uns dröhnt eines dieser Partyfloße, es versucht, uns zu überholen. Kurz will ich den Torpedo-Hebel nach vorne drücken. Und lasse es sein. Felix sitzt wieder auf meinem Schoß. Wann wir uns ein Boot kaufen, will er wissen. Gute Frage.
Das schöne an so einem Kurzurlaub auf dem Wasser: Er hallt noch nach. Das Gehirn hat sich auf die Wellen eingeschaukelt. Auch zwei Tage später am Rechner denke ich, Felix hat recht, es sieht aus, als würden wir schwimmen.
Hausbootverleih in Berlin und Umgebung
Wasserkutsche
Konkurrenzlos sind die Minihausboote durch ihre Lage. So kann der Kurzurlaub direkt in der Innenstadt beginnen. Eine Wasserkutsche ist sechs mal zwei Meter groß, hat vier Kojen und ein Sonnendeck auf dem Dach der Kajüte. Ein Tag kostet 255 Euro, zwei Tage 215 Euro. Je länger die Verleihdauer, desto niedriger der Tagespreis. Wasserkutschen fahren mit Elektromotoren. www.wasserkutsche.com
Hausboot
La Mare Zwei bis vier Personen haben Platz auf dem Hausboot, das in Hennigsdorf anliegt. Es hat eine Dachterrasse und Sitzgelegenheit an Deck. Hinter der Fensterfront verbirgt sich ein Salon mit Schlafmöglichkeiten und ein Schlafzimmer. Der Bootsführer braucht keinen Führerschein. Mieten kann man die La Mare nur für mehrere Tage. Leihgebühr: 275 Euro pro Tag. www.berlin-bootsverleih.com
Nautilus Hausboote
Die Boote mit der geschwungenen Form und dem großen Wohnzimmer können ab Wildau an der Dahme und Fürstenberg (bei Rheinsberg) gechartert werden. Es gibt sie in verschiedenen Größen. Die kleinsten haben eine Wohnfläche von etwa zwölf Quadratmetern. Mindestmietdauer sind drei Nächte. In der Hochsaison kostet der Verleih über 700 Euro. www.nautilus-hausbootcharter.de
BunBo
Die Bungalow Boote können unter anderem in Königs Wusterhausen gemietet werden. Sie haben ein Wohnzimmer mit Kaminofen. Es gibt eine Dusche und einen getrennten Toilettenraum. Entspannt wird in der Hängematte auf der Terrasse. Die kleinsten Bootstypen sind knapp zehn Meter lang. Ein Wochenende im schwimmenden Bungalow kostet je nach Saison zwischen 345 und 575 Euro. www.bunbo.de
Die Pflanzenflüsterin von Berlin
Langer Tag der Stadtnatur 2018 - Programm & Tickets