Ein Spaziergang mit Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen.
Dieser Spaziergang wird zum Balanceakt. Eigentlich wollten wir den 66 Meter hohen Kreuzberg erklimmen, oben von Schinkels Freiheitsdenkmal auf Berlin herabblicken. Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU), hatte den Hügel und das Quartier rundherum für unseren Spaziergang vorgeschlagen, weil sie dort vor Jahren für sich das echte, das authentische Berlin entdeckt hat.
„In Kreuzberg bündelt sich die Vielfalt der Stadt: schöne neoklassizistischen Fassaden mit den Parks, daneben das Unaufgeräumte, Unfertige; dazu die zentrale Lage. Und dann die etwas rauen, widerspenstigen und aufrührerischen Menschen hier. Das gefällt mir.“ Das reizt zur Frage, ob sie selbst gern ein bisschen rebellischer wäre? „Ich bin viel angepasster, als ich gern wäre ...“ Und warum wohnt sie in Zehlendorf? „Als wir 2000 nach Berlin zogen, kamen die Zwillinge auf die Welt. Da suchten wir einen beschaulicheren Ort. Ein Haus mit Garten, in dem die Jungs bald Fußball spielen können; ganz traditionell eben.“
Zurück zum Kreuzberg mit seinem Denkmal zur Erinnerung an die Befreiungskriege (1813–1815) gegen Napoleon. Der „Aufstieg“ erweist sich schon nach wenigen Metern als riskantes Unternehmen. Die Wege hinauf sind noch total vereist. Nicht nur Rutsch-, auch Sturzgefahr. Es wird auch nicht dadurch sicherer, dass ich meine Spaziergängerin fest unterhake. Immerhin schafft sie es mit Mut und Behändigkeit, sich für den Fotografen Reto Klar im nicht minder vereisten unteren Teil des Wasserfalls in Positur zu stellen.

Wir ziehen es nach dem Shooting vor – frei nach Joachim Ringelnatz – an diesem ohnehin trüben, feuchtkalten Nachmittag auf den „letzten Rest der Reise“ zu verzichten. Und kehren im „La Spezio“ ein, ein bescheidener Italiener mit Gästen echter Kreuzberger Mischung.
Nach all dem Ungeplanten nun zur Profession. Und da steht Claudia Große-Leege und ihrem Verband Großes bevor. Zusammen mit dem Deutschen Frauenrat sind sie von Bundeskanzlerin Angela Merkel beauftragt worden, das W-20- Treffen zu organisieren. W-20 ist ein eigener Dialog-Strang des jährlichen G-20-Gipfeltreffens der 20 weltweit wichtigsten Industrie -und Schwellenländer, das im Juli in Hamburg von Deutschland organisiert wird. Dabei steht „W“ für Women. Zum dritten W-20-Treffen tagen am 25. und 26. April etwa 200 Unternehmerinnen und Wirtschaftsexpertinnen aus aller Welt in Berlin, im Humboldt Carré am Gendarmenmarkt. „Wir sind jetzt in der heißen Phase der Vorbereitung. Und bewegen uns auf einem noch glatteren Parkett, als wir gerade am Kreuzberg erlebt haben“, verrät Claudia Große-Leege, ohne – ganz Diplomatin – Einzelheiten auszuplaudern.
Stärkere Beteiligung der Frauen am Wirtschaftsleben
Über das Ziel von W-20 spricht sie umso lieber. Es sei vor drei Jahren beim G-20- Treffen in Australien formuliert worden, als die Staats- und Regierungschefs ein weltweites Wirtschaftswachstum von jährlich zwei Prozent vereinbarten. Und dabei zur Einsicht gelangten, dass das allein durch eine stärkere Beteiligung der Frauen am Wirtschaftsleben zu erreichen sei.
„Die Erwerbsbeteiligung der Frauen liegt weltweit deutlich unter der der Männer, weil viel weniger Frauen selbstständig sind und Führungspositionen besetzen. Frauen sind aber natürlich auch Konsumenten. Und flugs ist damals ausgerechnet worden: Wenn mehr Frauen arbeiten, vor allem als Unternehmerinnen und in Spitzenpositionen, lässt sich die Lücke in der Erwerbsbeteiligung zwischen den Geschlechtern schließen. Wenn es in einer ersten Phase bis 2025 gelingt, diese Lücke um 25 Prozent zu verringern, wäre das ein wesentlicher Beitrag zum Ziel Zwei-Prozent-Wachstum“, erläutert Frau Große-Leege die nicht immer ganz leicht zu verstehenden Gesetze der Ökonomie. Aber leicht zu durchschauen, dass die Frauen es mal wieder richten sollen.
Mehr Beteiligung von Frauen an der Wirtschaft
Das Generalthema für W-20 in Berlin lautet denn auch: mehr Beteiligung von Frauen an der Wirtschaft. Dass das dritte Treffen (nach Türkei und China) in Deutschland stattfindet, weckt besonders hohe Erwartungen. „Alle sagen, großartig, jetzt sind die Deutschen dran. Die machen doch immer alles ganz toll. Dazu noch eine Frau an der Spitze der Regierung. Jetzt werden wir Frauen endlich riesige Fortschritte machen. Das ist die Erwartungshaltung uns als Gastgeber gegenüber.“
Teilt Claudia Große-Leege diese euphorische Stimmung? „Wir sind wirtschaftlich sehr erfolgreich. Aber in Frauenfragen nicht führend. Auch wenn etwa in der Türkei und in China ein anderes Frauenbild herrscht als bei uns, werden in beiden Ländern Frauen eher noch ehrgeiziger gefördert. In vielen Wirtschaften der Welt gibt es mehr Frauen als Unternehmerinnen und Managerinnen als bei uns. In sozialistischen und postkommunistischen Gesellschaften etwa sind Frauen viel selbstverständlicher Teil der Arbeitswelt, auch in Spitzenpositionen. Wir brauchen nur in den Osten Deutschlands zu blicken. Dort bekleiden mehr Frauen Führungspositionen als im Westen, auch ist die weibliche Erwerbsbeteiligung höher.“
Sie wollte unbedingt in Berlin heiraten
Sie selbst, in Bremen geboren, ist gut vorbereitet ins Berufsleben gestartet. Nach dem Abitur und einem Betriebswirtschaftsstudium in Münster hat sie ein internationales Nachwuchsprogramm bei der EADS durchlaufen. Nach der Ausbildung in Europas größtem Luftfahrt- und Rüstungskonzern blieb sie zunächst der Flugzeugbranche treu und arbeitete bei Dornier im Controlling, bis sie 1998 zu Südzucker wechselte, einer der größten deutschen Nahrungsmittelhersteller mit Sitz in Mannheim.
Und dann Berlin. Die Stadt, in die sie sich bei Besuchen so sehr verliebt hatte, dass sie hier unbedingt heiraten wollte. So geschehen, obwohl sie damals im romantischen Heidelberg nahe der Industriestadt Mannheim wohnte. Eine Frau, die schon immer ziemlich genau wusste, was und wohin sie wollte.
Eher glücklicher Zufall dann doch, dass sie nur ein Jahr später, im Jahr 2000, zur Berlinerin wurde. Ihr Mann bekam einen neuen Job in der Stadt, ihm zu folgen war keine Frage, zumal die Zwillinge unterwegs waren. Damit verbunden, wie so oft bei Frauen, eine Pause auf der Karriereleiter. Ehrenamt statt Vollzeitjob, Engagement an der Schule ihrer Kinder, der Berlin International School in Zehlendorf.
Sie entwickelte das Internetportal „Schulengel“, über das Eltern und Freunde online einkaufen und die Händlerprovisionen direkt an ein bestimmtes Schulprojekt geleitet werden. Das Prinzip, den Internetkauf zu nutzen, um Schulen zu unterstützen, funktionierte so gut, dass sich bald ein Käufer für das Portal interessierte. „Der Berliner Privatschulbetreiber Phorms fand unsere Idee so interessant, dass er uns das Portal nach zwei Jahren 2009 abkaufte. Ich hätte es gern behalten“, erzählt Claudia Große-Leege in noch leicht wehmütiger Stimmlage.
Wo beginnt Unternehmertum?
Dann fing sie der Menschenfischer Stephan Erfurt, ein Freund und Gründer der Fotogalerie C/O Berlin. Erst in der Linienstraße, dann im alten Postfuhramt an der Oranienburger Straße half sie bei der Finanzierung dieses im Kulturbereich auf diesem Niveau seltenen privaten Projekts. Als Leiterin Development kümmerte sie sich vorrangig um Kooperationen und Sponsoring. Als nach langem Suchen und manchen damit verbundenen Enttäuschungen C/O 2014 im Amerika Haus an der Hardenbergstraße am Bahnhof Zoo endlich eine neue Heimat fand, musste der Galerist ohne die Powerfrau auskommen.
Nun, seit 2013, ist Claudia Große-Leege VdU Geschäftsführerin. Der Verband hat etwa 1800 Mitglieder, fast ausnahmslos Unternehmerinnen. Sie erwirtschaften rund 85 Milliarden Euro und beschäftigen etwa 500.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und wo beginnt Unternehmertum? Etwas ketzerisch gefragt, schon bei der Besitzerin einer Würstchenbude? „Natürlich. Sie ist eine Gründerin, hat Kapital investiert, trägt Verantwortung für Mitarbeiter und übernimmt allein das volle Risiko für ihr Geschäft. Das sind die typischen Voraussetzungen für eine selbstständige Unternehmerin.“ Ziel des Verbands ist die Stärkung weiblichen Unternehmertums, Förderung von Frauen in Führungspositionen, Ermunterung zum Schritt in die Selbstständigkeit und das Wirken für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer und Frauen.
Bei allem Einsatz für Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern im Berufsleben und das Streiten für Augenhöhe steht der Geschlechterkampf keineswegs im Zentrum der Arbeit des VdU. Von seinen acht Leitsätzen ist allein einer gezielt als frauenpolitisch zu interpretieren: „Wir treten ein für Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Wirtschaftsleben.“ Alle anderen sind Wirtschafts- und gesellschaftspolitische Forderungen, wie sie auch andere Wirtschaftsverbände als deren Interessen formulieren.
Mit einer Ausnahme. Als einziger Wirtschaftsverband hat der VdU eine verbindliche Quote für Frauen in den Aufsichtsräten der börsennotierten und mitbestimmungspflichtigen Unternehmen gefordert. Und am Ende per Gesetz durchgesetzt. Und wie sieht es in der Praxis aus? „Die Vorgabe, dass 30 Prozent der Aufsichtsratsmandate an Frauen vergeben werden, wird zunehmend umgesetzt. Wir bieten zudem Weiterbildungsprogramme für AR-Mandate an. Mit unserer Datenbank für Aufsichtsratskandidatinnen liefern wir den Beweis, dass es keinen Mangel an qualifizierten Bewerberinnen gibt. Wenn Unternehmen Probleme bei der Besetzung mit weiblichen Aufsichtsräten haben sollten – bitte bei uns melden. Wir helfen gern“, verspricht die VdU-Geschäftsführerin.
Charmant im Auftreten, bestimmt in der Formulierung
Sie wird in diesem Jahr – kaum zu glauben – 50 Jahre alt. Eine, wie man so neudeutsch sagt, taffe Frau, charmant im Auftreten, zugleich bestimmt in der Formulierung. Voll engagiert in dem, was sie beruflich macht und absolut loyal gegenüber ihrer Chefin, VdU-Präsidentin Stephanie Bschorr, Inhaberin einer Berliner Steuerberatungs-und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
Natürlich darf am Ende die Frage nicht fehlen, wer denn nun der bessere Unternehmer ist – Mann oder Frau? Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten und trifft denn wohl auch den Kern: „Es gibt bei Männern und Frauen begabtere und weniger begabte Führungskräfte.“ In Berlin gibt es offensichtlich besonders viele begabte weibliche Führungskräfte: IHK, BVG, BSR und Gasag werden von Frauen geführt. „Alles tolle, hoch qualifizierte Frauen. Da ist Berlin Vorbild. Man sieht, was möglich ist, wenn es den politischen Willen gibt.“
Beim Abschied draußen an der Kreuzung Kreuzberg-/Großbeerenstraße wirft Claudia Große-Leege noch einen Blick hinauf zum Kreuzberg. „Ich freue mich auf den Sommer. Um dann von dort oben den herrlichen Blick über Berlin zu genießen.“ Ein Wunsch, den in diesen meist trüben Tagen viele Berliner teilen.
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