Karlsruhe/Eisenach/Berlin. Deutsche Sicherheitsbehörden sind am Mittwoch bundesweit gegen ein Neonazi-Netzwerk vorgegangen. Im Auftrag der Generalbundesanwaltschaft (GBA) in Karlsruhe durchsuchten mehr als 1000 Polizeikräfte ab sechs Uhr insgesamt 61 Objekte in elf Bundesländern – auch in Berlin und Brandenburg. Der Schwerpunkt der Aktion lag jedoch in Thüringen.
Die Maßnahmen richten sich insgesamt gegen 50 Verdächtige – laut GBA Anhänger und Mitglieder der rechtsextremen Chatgruppe „Sonderkommando 1418“ (SKD 1418) sowie den Gruppierungen „Atomwaffen Division Deutschland“ (AWDD), der seit Januar 2020 verbotenen „Combat 18“ sowie der Kampfsportgruppe „Knockout 51“. Gegen vier Mitglieder der letztgenannten Gruppe wurden außerdem Haftbefehle vollstreckt.
Dabei handelt es sich laut GBA um den „Rädelsführer“ Leon R. sowie die mit „Führungspositionen“ betrauten Maximilan A. und Eric K. und Bastian A. Die drei erstgenannten wurden in Eisenach, der vierte in Rotenburg an der Fulda (Hessen) gefasst.
Razzia in Rudow: Gerichtsprozess gegen Berliner Neonazi abgesagt
In Berlin durchsuchte der Staatsschutz des Landeskriminalamts im Auftrag der Bundesanwaltschaft Objekte in Mitte und Rudow. Bei letzterem soll es sich laut eines Berichts der „Welt“ um die Wohnung des bekannten Neonazis Maurice P. handeln, der auch im Umfeld der NPD agierte. Der 29-Jährige wird vom Staatsschutz des Berliner Landeskriminalamts als sogenannter „Gefährder“ eingestuft.
Eigentlich sollte sich Maurice P. ab Mittwochvormittag wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruchs und der Verwendung von verfassungswidrigen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten.
Er soll öffentlich Nazi-Symbole wie Hakenkreuze und den Hitlergruß gezeigt haben. Außerdem wird ihm vorgeworfen, im vergangenen Sommer einen Jamaikaner rassistisch beleidigt und mit einem Messer am Hals verletzt zu haben. Der Prozessbeginn wurde nach Auskunft des Gerichts aus „organisatorischen Gründen“ verschoben.
Rechte Kampfsportgruppe bildet junge Männer für Straßenkämpfe aus
In Brandenburg durchsuchten die Ermittler nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur Objekte in den Landkreisen Dahme-Spreewald und Barnim sowie in der Landeshauptstadt Potsdam. Die Beschuldigten seien in diesen Fällen jedoch nicht alles Brandenburger, heißt es.
Den vier in Thüringen und Hessen Festgenommenen wird unter anderem Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Leon R. soll die vor allem im Raum Eisenach aktive Kampfsportgruppe „Knockout 51“ gegründet haben. Dabei handelt es sich laut GBA „um eine rechtsextremistische Kampfsportgruppe, die unter dem Deckmantel des gemeinsamen körperlichen Trainings junge, nationalistisch gesinnte Männer anlockt, diese bewusst mit rechtsextremem Gedankengut indoktriniert und für Straßenkämpfe ausbildet“.
Den vier Festgenommenen werden mehrere geplante und vollendete Straftaten vorgeworfen – unter anderem Körperverletzung und Widerstand auf Vollstreckungsbeamte. Die Opfer seien zum Teil schwer verletzt worden. Dabei soll es personelle Überschneidungen zur NPD beziehungsweise zur Jugendorganisation „Junge Nationalisten“ (JN) geben. Auch auf Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen sollen Mitglieder von „Knockout 51“ zwischen August 2020 und März 2021 aktiv gewesen sein.
Durchsuchung in Rudow im Zusammenhang mit der Atomwaffen Division
21 Beschuldigten wird vorgeworfen, die verbotene Vereinigung „Combat 18“ „im Geheimen“ weiterbetrieben zu haben. „Unsere deutlich verschärfte Gangart gegen gewaltbereite Rechtsextremisten zeigt Wirkung“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faser (SPD). Vereinsverbote seien „ein scharfes Schwert zur Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, Verstöße dagegen würden konsequent strafrechtlich verfolgt.
Die Durchsuchung in Rudow fand im Zusammenhang mit dem AWDD statt. Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit 2019 gegen den deutschen Ableger der 2015 in den USA gegründeten rechtsextremen „Atomwaffen Division“ (AWD).
Ziel der AWD und ihres deutschen Ablegers ist laut GBA die „Entfachung eines ‘Rassenkriegs’, aus dem die ‘weiße Bevölkerung’ siegreich hervorgehen soll“. Dazu seien Anschläge und Morde auf andere Bevölkerungsgruppen, Politiker oder Amtsträger geplant. So solle „Chaos geschaffen und letztlich demokratische Grundordnungen durch rechtsextremistische Herrschaftsformen ersetzt werden“.
Auch Militärgeheimdienst an Durchsuchungen beteiligt
Innenministerin Faeser nannte den Rechtsextremismus „die größte extremistische Gefahr für unsere Demokratie“. Seine Bekämpfung müsse daher „besondere Priorität“ haben. Die Behörden würden alles daran setzen, entsprechende Netzwerke und Gruppierungen zu zerschlagen, ihnen die Finanzquellen nehmen und sie konsequent entwaffnen.
Die Maßnahmen seien ein „wichtiger Schlag gegen die gewaltbereite rechtsextremistische Szene und ein großer Erfolg der Sicherheitsbehörden“, sagte auch Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang. „Gegen Nachfolgebestrebungen verbotener Organisationen gehen wir ebenso konsequent vor wie gegen die rechtsextremistische Kampfsportszene.“
An den Maßnahmen waren neben den Landespolizeien auch das Bundeskriminalamt (BKA), der Verfassungsschutz, die GSG9 der Bundespolizei sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) beteiligt. Letzteres könne dafür sprechen, dass auch Bundeswehrangehörige im Fokus der Ermittlungen stehen.