Berlin. „,Willst du auch eine auf die Fresse’, hat der Mann gesagt, hat an mir gezerrt, mich bedrängt. Das war am Bahnhof Zoo. Natürlich gibt es da Angriffe auf Rettungskräfte. Wie damals, als wir gerufen wurden, um einem Mann zu helfen. Er lag mit einer Kopfverletzung am Boden. Im eigenen Blut. Es hatte eine Schlägerei gegeben, fünf oder sechs Männer, bekanntes Bahnhofsklientel. Und der eine wollte sich eben weiter prügeln, ging dann auf mich los. Ich habe ihn einmal weggeschubst, ihm klargemacht, dass ich hier bin, um zu helfen, nicht um mich zu prügeln.“
Gewalt gegen Einsatzkräfte. Spätestens nach der Silvesternacht stellt sich Deutschland die Frage: Ist unsere Gesellschaft derart verroht, dass nicht einmal Rettungskräfte ihrer Arbeit nachgehen können, ohne um Leib und Leben zu fürchten?
Es gibt Zahlen und Nachrichten, die dafür sprechen. Die Berliner Feuerwehr hat in der Silvesternacht 54 Angriffe auf Einsatzfahrzeuge und acht direkte Attacken auf Beamte gezählt. In Mitte griffen mehrere Männer einen Rettungswagen an, die Polizei fand eine Schusswaffe bei einem der Täter. Anderswo richteten sich Faustschläge und Raketen gegen Retter. Ganze Feuerwerksbatterien wurden gezielt auf Polizisten geschossen, Böller rissen Löcher in Einsatzfahrzeuge.
„Das ist eine Aggressivität, die wir in den letzten Jahren noch nicht erlebt haben“, sagte der Landesbranddirektor der Berliner Feuerwehr, Wilfried Gräfling.
Was empfinden Notfallsanitäter und Feuerwehrmänner, wenn sich die Gewalt gegen sie wendet? Dominik Pretz ist 38 Jahre alt, Rettungsassistent und seit zwölf Jahren bei der Berufsfeuerwehr. Seine Wache: Rankestraße, City West. Im Moment ist er in der Pressestelle der Polizei tätig, erzählt davon, wie es ist, wenn Rettungskräfte angegriffen werden.
„Man ist sauer und betroffen. Ein Faktor ist: Wenn man bedroht wird, muss man sich selbst sichern, den Einsatz unterbrechen. Wir sind ja nicht ohne Grund da, es kann auch um Leben oder Tod gehen. Mein Eindruck ist trotzdem: Die allermeisten Menschen stehen hinter uns. Die Aggression ist nicht gestiegen.“
Aber es gibt Zahlen, die gestiegen sind. Die der Einsätze etwa. Rettungswagen wie der, in dem Pretz in der Feuerwache Ranke stationiert ist, wurden in Berlin im Jahr 2005 insgesamt 282.750 Mal alarmiert. Elf Jahre später waren es bereits 431.607 Einsätze. Die Einwohnerzahl wächst, es gibt immer mehr ältere und damit auch kranke Berliner, so lauten die gängigen Erklärungen. Einsatzkräfte berichten auch von einem anderen Phänomen, von einer „Flatrate-Mentalität“ ist die Rede.
„Einmal wurden wir nach Schöneberg geschickt. Auf dem Einsatzzettel stand: ältere Dame mit Fußverletzung in Wohnung. Als wir ankamen, war da wirklich eine ältere Dame. Sie hatte ein Hühnerauge am Fuß. Ein schmerzhaftes zwar – aber das ist doch kein Grund für einen Rettungseinsatz. So etwas passiert ständig. Nicht alle geben sich damit zufrieden, wenn wir ihnen sagen, dass das kein Fall für uns ist, dass sie zum Hausarzt gehen sollen.“
Der Rettungssanitäter als Taxifahrer
Dominik Pretz sagt, dass solche „Fehlalarme“ stark zugenommen haben. Die Menschen seien hilfloser als früher, wüssten sich oft mit den kleinsten Wehwehchen nicht zu helfen. Ein anderer Rettungsassistent, ein Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der in der Zeitung nur Steffen genannt werden will, sagt: „Die Anspruchshaltung der Bürger ist eine andere. Die wollen einfach ins Krankenhaus gefahren werden, wegen Kleinigkeiten. Die Krankenkasse zahlt ja.“
Aber die Feuerwehrleitung wolle solche Kritik nicht nach außen tragen. Steffen sagt: Die meisten Kollegen transportierten auch die unnötigen Fälle ab. Aus Angst vor Konsequenzen. Denn wenn sich der Bürger beschwert, werde bei der Feuerwehr ein Disziplinarverfahren eingeleitet. „Meine Beförderung wurde ein Jahr lang wegen so etwas ausgesetzt. Die Beschwerden werden schnell aufgenommen, die Disziplinarverfahren dauern dann“, sagt Steffen. Rettungsassistent Dominik Pretz sagt, der Job sei schwerer geworden.
„Mittlerweile liegen wir so bei 1400 bis 1500 Einsätzen am Tag, ohne dass wir einen signifikanten Anstieg an Arbeitskräften haben. Früher hatte man auf dem Rettungswagen auch mal eine Stunde Ruhe, nachts konnte man auf der Wache auch mal durchatmen. Das geht immer seltener.“
Laut einem Gutachten von Anfang 2017 fehlen dem Berliner Rettungsdienst knapp 250 Mitarbeiter. Neuere Zahlen konnte die Feuerwehr auf Anfrage nicht liefern. Im Schnitt sind Feuerwehrmänner 45,8 Tage im Jahr krank. Folgen der Dauerüberlastung, heißt es aus den Gewerkschaften. Ein neues Schichtsystem soll jetzt Abhilfe schaffen. Nach zwölf Stunden auf dem Rettungswagen sollen Rettungsassistenten wie Pretz jetzt Feierabend machen. Vor Jahreswechsel folgten darauf oft weitere zwölf Stunden auf Löschfahrzeugen.
Die Belastung ist hoch, die Einsätze nehmen zu. Und an streitlustigen Berlinern scheint es auch nicht zu mangeln.
„Der Klassiker sind Leute, die schnell zum Flughafen müssen. Wie bei einem Wohnungsbrand in Moabit, das ist schon länger her. Wir mussten das Löschfahrzeug direkt vor das Haus stellen. Dabei haben wir ein Auto zugeparkt. Dann tauchte der Besitzer auf. Er sagte: „Sie müssen da weg. Mein Flug geht in einer halben Stunde.“ Als wir ihm erklärten, dass das nicht geht, dass da oben eine Wohnung brennt, fing er an zu schimpfen und zu pöbeln. Ich sagte: „Sie müssen ein Taxi nehmen, tut mir leid.“ Man muss sich das so vorstellen: Das Löschfahrzeug hängt an der Wasserversorgung, da führen Schläuche ins Auto rein, andere Schläuche gehen zum Löschen raus. Da kann man nicht einfach umparken. Nicht, wenn man nicht will, dass sich das Feuer auf das Haus ausbreitet. Er wollte das nicht akzeptieren. Passanten haben dann auf ihn eingeredet: „Was sind Sie denn für einer?“ Ich bin zurück an die Arbeit, stand an der Pumpe. Plötzlich sah ich, wie zwei Polizisten den Mann aus der Fahrerkabine zerrten. Der hat versucht, mit dem Löschfahrzeug wegzufahren. Solche Geschichten kann jeder Feuerwehrmann erzählen.“
Schlagzeilen machen auch Geschichten wie diese: An einem Freitagmorgen im November rastet ein Mann in Moabit aus. Auch sein Wagen wurde zugeparkt. Von einem Rettungswagen. Mit gutem Grund. In einer nahe gelegenen Kita musste ein Kind wegen Herzkammerflimmern reanimiert werden. Als der Sanitäter dem Autofahrer die Lage erklärt, tritt der den Außenspiegel des Rettungswagens ab und stellt sich dem Sanitäter in den Weg, als er einen Notfallkoffer aus dem Wagen holt.
Fragt man bei der Feuerwehr an, welche Konsequenz die Tat hatte, hört man aus der Pressestelle: Wegen der Sachbeschädigung habe man keine Anzeige erstattet. Der Schaden wurde in einer Werkstatt der Feuerwehr behoben. „Bei Rettungseinsätzen konzentrieren wir uns grundsätzlich auf die Personen, die Hilfe brauchen. Was drum herum passiert, blendet man deswegen oft aus“, sagt ein Sprecher.
Sowohl Dominik Pretz als auch der GdP-Mann Steffen können viele Geschichten von Angriffen, Pöbeleien und Behinderungen erzählen. Pretz erinnert sich an Gaffer, die mit Smartphones bis an die Fensterscheibe eines zerquetschten Autos am Kurfürstendamm drängten. Das Auto war unter einem Lkw eingeklemmt, der Fahrer saß schwer verletzt am Steuer. Bevor Pretz ihn bergen konnte, musste er die Schaulustigen vertreiben. Er berichtet von Jugendlichen, die ihn nicht in eine Diskothek einlassen wollten, während drinnen jemand bewusstlos auf der Tanzfläche lag. Steffen wurde mit Schusswaffen und Messern bedroht.
Mehr Aggression oder mehr Gelegenheiten?
Steffen sagt, die Aggressivität auf den Straßen habe zugenommen. „Ich höre inzwischen im Wochentakt von Übergriffen auf Kollegen.“ Pretz denkt: Es gibt mehr Übergriffe, weil es mehr Einsätze gibt. Man könnte sagen: Die Menschen sind nicht aggressiver gegenüber Rettungskräften geworden, sie laufen ihnen nur öfter über den Weg. Aber:
„Wir sind schon betroffen darüber, dass wir so oft behindert werden. Das kann so einfach nicht weitergehen. Ich will den Leuten sagen: Stellt euch vor, ihr braucht mal unsere Hilfe, und dann hält uns irgendjemand davon ab.“
Um auf die Probleme hinzuweisen, hat sich die Feuerwehr entschlossen, in der Silvesternacht die Böllerattacken und Angriffe zu dokumentieren. Denn sonst wird meist nur dann gezählt, wenn Polizei dazukommt. Viele Feuerwehrmänner sind sicher – hätte man in der Vorjahren an Silvester mitgezählt, das Ergebnis wäre ähnlich ausgefallen.
Bei einer Studie der Ruhr-Universität Bochum vom Sommer 2017 gaben 91 Prozent der Notfallsanitäter und Rettungsassistenten in NRW an, innerhalb der letzten zwölf Monate Opfer von verbaler oder körperlicher Gewalt geworden zu sein. Aber einen Anstieg bei den Übergriffen konnten die Wissenschaftler nicht feststellen. Allerdings nehme die Brutalität der Angriffe zu.
Laut Kriminalitätsstatistik der Berliner Polizei gab es 2016 218 Straftaten gegen Rettungskräfte im Einsatz. In allen drei Jahren zuvor war die Zahl in etwa gleich hoch. Die Feuerwehr möchte auf Anfrage keine aktuellen Zahlen herausgeben. Dominik Pretz sagt:
„Wenn wir wirklich jede Beleidigung aufnehmen würden, jede Pöbelei, jeden Angriff, dann könnten wir nach zwei Wochen eine Statistik veröffentlichen, die durch die Decke geht. Aber dafür haben wir beim Einsatz gar keine Zeit. Und wir Feuerwehrleute haben ein dickes Fell. Wir nehmen das nicht persönlich und sagen uns: So sind die Menschen da draußen nun mal.“
Berlins Rettungskräfte am Limit
Maas für harte Strafen bei Angriffen auf Einsatzkräfte