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„Queer Eye Germany“: Reality-TV von seiner flauschigen Seite

| Lesedauer: 10 Minuten
Jan-Henrik Scheper-Stuke, David Jakobs, Ayan Yuruk, Leni Bolt und Aljosha Muttardi (v.l.) sind die Fab Five der Netflix-Produktion „Queer Eye Germany“.

Jan-Henrik Scheper-Stuke, David Jakobs, Ayan Yuruk, Leni Bolt und Aljosha Muttardi (v.l.) sind die Fab Five der Netflix-Produktion „Queer Eye Germany“.

Foto: Thomas Schenk

Jan-Henrik Scheper-Stuke, David Jakobs und Ayan Yuruk sind Teil der Fab Five der ersten Staffel „Queer Eye Germany“ auf Netflix.

Seit sechs Staffeln läuft das Vorbild in den USA, wurde mit Emmy Awards und anderen TV-Preisen ausgezeichnet. Seit dieser Woche hat das Netflix-Format „Queer Eye“ als deutsche Version erstmals einen internationalen Ableger. Genau wie im Original reisen fünf queere Protagonisten – die so genannten Fab Five – durchs Land, um Kandidatinnen und Kandidaten – in der Sendung Mentees genannt –, die in eine Krise geraten sind, Schicksalsschläge erlitten haben oder einfach nur eine Portion Selbstliebe gebrauchen können, eine Woche lang auf ihrem Weg zu begleiten.

Jeder von ihnen bringt für den Schubs in eine neue Richtung nicht nur den queeren Blickwinkel, sondern auch Expertise auf einem anderen Gebiet mit ein. Jan-Henrik Scheper-Stuke ist Geschäftsführer der Berliner Schleifen- und Krawattenmanufaktur Auerbach und für Mode zuständig, Leni Bolt ist nonbinäre Work-Life-Coachin und kümmert sich um Herz und Seele, Hair- und Make-up-Artist David Jakobs, die sich als geschlechtlich nicht-konform und mit den Pronomen Sie/Ihr identifiziert, kümmert sich um den Bereich Beauty, Arzt und Ernährungsberater Aljosha Muttardi berät zum Thema Gesundheit und Ayan Yuruk, Gründer der Designagentur Showz, hilft beim Aufräumen und Umgestalten der Wohnung.

Der zu erwartende Kulturclash beim Zusammentreffen der fabelhaften Fünf mit einer ausgebrannten Mutter, einem Mädchen, das seine ganze Familie durch Krankheit verloren hat oder Hetero-Männern, die in Fußballbettwäsche schlafen, gerät dabei erfreulich unhämisch und herzerwärmend. Niemand wir vorgeführt, die angestoßenen Veränderungen orientieren sich stets an der tatsächlichen Lebensrealität der Teilnehmenden. Was sie anders machen als ihre amerikanischen Kollegen und welchen gesellschaftlichen Auftrag sie mit „Queer Eye Germany“ erfüllen wollen, darüber haben wir mit den Berlinern Jan-Henrik Scheper-Stuke, David Jakobs und Ayan Yuruk gesprochen.

„Queer Eye Germany“ hat seit sechs Staffeln ein sehr populäres US-Vorbild. Was haben Sie sich abgeschaut, was wollten Sie anders machen?

David Jakobs: Wir waren uns alle einig, uns nicht zu sehr am Vorbild zu orientieren, weil die Kultur bei uns sehr anders ist. Wir wollten die amerikanische Mentalität nicht spielen, sondern unser eigenes Ding machen. Wir sind generell ein bisschen ruhiger. Aber natürlich gab es auch bei uns Situationen, in denen wir sehr euphorisch waren. Manchmal war es wild.

Ayan Yuruk: Wie bei der Gestaltung einer Wohnung, gibt es auch in einer Show goldene Regeln, die immer funktionieren. Wie zum Beispiel die Dramaturgie oder Emotionen, die haben wir aus dem Erfolgskonzept übernommen. Hinzugefügt wird dann eben noch der lokale Aspekt, was uns sehr wichtig war. Obwohl es kulturell bedingt eine andere Energie gibt, funktioniert die Magie der Show.

Endet die Fürsorge mit dem Ende der Dreharbeiten? Oder schauen Sie, wie es den Teilnehmenden mit den Veränderungen geht, die Sie angestoßen haben?

Jan-Henrik Scheper-Stuke: In meinem Fall habe ich darauf geachtet, Mode auszuwählen, die alltagstauglich ist. Mir und den Teilnehmenden bringt es nichts, wenn ich die große Robe auffahre. Die Alltagsheld:innen sollen morgens vor dem Spiegel klarkommen, auch wenn wir nicht mehr da sind. Sie sollen zwar nett aussehen, wenn sie zur Arbeit fahren oder die Kinder zur Schule fahren, aber sich dabei vor allem wohl fühlen.

Yuruk: Wir sind sporadisch in Kontakt mit unseren Mentees. Dazu gibt es durch die Produktionsfirma im Anschluss für ein Jahr eine Betreuung und individuelle Hilfestellungen. Bisher können wir sagen, dass die Optimierung der Lebenslage bei allen nachhaltig wirkt. Als ich die Emotionen am Ende der Woche erlebt habe, wurde mir sehr bewusst, was für eine große Verantwortung wir haben. Das sind echte Schicksale, deshalb ist es wichtig, wirklich für die Teilnehmenden da zu sein und nicht irgendeinen Quatsch zu erzählen. Wir wollen ihnen wirklich helfen.

Was macht für Sie den queeren Blickwinkel aus?

Jakobs: Queere Menschen sind gezwungen, sich schon früh mit sich selbst auseinanderzusetzen, weil die Gesellschaft ihnen häufig vermittelt, dass sie nicht richtig sind. Sie müssen sehr viel härter daran arbeiten, sich selbst zu akzeptieren, sich selbst zu lieben. Ich glaube, dass das am Ende eine große Stärke hervorbringt und viele queere Menschen deshalb das Bedürfnis haben, das weiterzugeben. Unsere Mentees haben uns häufig gesagt, wie froh sie waren, dass ihnen einmal jemand zugehört hat. Einige waren vorher so in ihrem Alltag gefangen, dass sie über potenzielle Veränderungen gar nicht nachgedacht haben, obwohl sie es eigentlich in sich tragen. Das fummeln wir heraus.

Scheper-Stuke: „Queer Eye Germany“ ist trotzdem kein Sparten-TV nur für die Community. Ich finde, dass sich in unseren Alltagsheld:innen jeder wiederfinden kann. Niemand ist bei uns ist komplett aus der Gesellschaft gefallen. Und das Wichtigste: Wir bewegen uns mit ihnen auf Augenhöhe. Das Problem von Reality-TV in Deutschland ist der hämische Blickwinkel. Die Zuschauenden können sich besser fühlen, weil sie auf die Teilnehmenden herabschauen. In den USA ist Reality-TV, beispielsweise mit den Kardashians, extrem prominent besetzt, unser Vorbild hat in den USA zahlreiche Preise gewonnen. Wir hoffen, dass wir Reality-TV in Deutschland mit neuen, positiven Emotionen aufladen können. Deshalb ist auch nichts gescriptet, alles ist echt. Wir sind alle echte Menschen mit echten Geschichten.

Gab es in Ihrem Leben Personen wie die Fab 5, die Sie auf Ihrem Weg unterstützt haben?

Scheper-Stuke: Leider nicht.

Jakobs: Nein, aber ich hätte es mir gewünscht.

Scheper-Stuke: Ich bin generell nicht das beste Vorbild, wenn es beispielsweise ums Thema Outing geht. Ich hätte gerne so eine Sendung gehabt. Ich hätte gerne Menschen im Fernsehen gesehen, die mir eine Brücke zu mir selbst bauen. Ich habe lange Zeit versucht, der Gesellschaft und meinen Eltern gerecht zu werden.

Yuruk: Ich hatte solche Vorbilder auch nicht. Wenn, wie bei mir, ein Migrationshintergrund dazu kommt, eine Kultur, die ganz anders tickt, wäre es doppelt schön gewesen, im Fernsehen Menschen zu sehen, die so sind wie ich: queere Personen, vielleicht sogar eine queere Person mit türkischen Wurzeln. Wenn man so jemanden nie zu Gesicht bekommt, fällt es schwer, sich mit der Gesellschaft zu identifizieren. Ich habe mich lange gefragt: Gehöre ich hier überhaupt hin? Das möchten wir für eine neue Generation gerne ändern.

Spielen deshalb alle Folgen bewusst in kleineren Städten, statt in der Berliner Toleranzblase? Ist dort der Kontrast zwischen Ihnen und den Teilnehmenden stärker?

Yuruk: Ich finde das spannend. In Berlin wissen wir, wie wir ankommen. Hier ist es nicht allzu schwierig, queere Menschen zu finden. In ländlicheren Regionen haben wir sehr viel Aufsehen erregt. Die ganze Nachbarschaft kam vorbei. Die Reaktionen waren fast durchgehend positiv.

Fast?

Jakobs: Ein paar negative Kommentare gab es schon. Für Menschen wie uns ist das Teil des Alltags, ich finde, dass dafür zu wenig Bewusstsein da ist. Wenn ich joggen gehe, habe ich trotzdem einen schönen Fummel an, das sind manche Menschen nicht gewohnt. Die finden, dass so eine Klamotte an eine Frau gehört. Da wird mir dann schon mal etwas hinterher geschrien. Ich erinnere mich gar nicht genau, was, weil es eben mein Alltag ist. Aber dafür machen wir das Format auch, damit sich das ändert.

Yuruk: Die Sendung ist trotzdem grundsätzlich positiv. Auch mit allen Schicksalsschlägen, die unsere Mentees erlebt haben. Im Mittelpunkt steht das, was sie am Ende der Woche erreicht haben.

Was wünschen Sie sich für den Start der ersten Staffel?

Jakobs: Ich wünsche mir, dass die queere Community durch unsere Repräsentanz mehr akzeptiert wird. Dass es ein richtig fetter Erfolg wird und wir den Zuschauenden etwas mitgeben können. Dass queere Menschen irgendwann normal werden, auch wenn ich dieses Wort hasse! Wir sind keine Paradiesvögel, wir sind Tauben wie alle anderen (lacht).

Scheper-Stuke: Unser Ziel ist es, mit dem Format auch ein Zeichen für unsere Community zu setzen. Es gibt eben nicht nur schwul, lesbisch und bisexuell, sondern noch viele weitere Farben. Ich denke, dass „Queer Eye Germany“ genau zur richtigen Zeit kommt, um die Gesellschaft aufzuklären und Vorbild für junge Menschen zu sein, die auf dem platten Land sitzen und niemanden kennen, der ein bisschen anders ist. Bei uns sehen sie fünf queere Menschen, die erfolgreich sind und merken dann im besten Fall: Ich bin wie die, ich bin nicht falsch. Vielleicht können wir sogar Mut machen, mit den eigenen Eltern darüber zu sprechen. Ich konnte das als Teenager nicht.

Yuruk: Ich wünsche mir, dass man irgendwann gar nicht mehr darüber sprechen muss. Ich möchte, dass das Thema alltagstauglich wird, dass nicht mehr mit dem Finger auf uns gezeigt wird. Wie schön wäre das, wenn es Outings gar nicht mehr geben müsste?

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