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Popcorn auf dem Dach der Welt

| Lesedauer: 5 Minuten
Sören Kittel

Emilia Schüle reiste nach Nepal, um auf die Situation der Frauen in dem Erdbebengebiet aufmerksam zu machen. Sie kam verändert zurück

Emilia Schüle erinnert sich noch an diese Umarmung, auf 1700 Metern Höhe, mit ihrem Patenkind Sunisha, die sie bisher nur von Fotos kannte. „Man merkte, dass sie das eigentlich nicht machen“, sagt sie, „sie wussten nicht, wie das geht, so eine Umarmung.“ In Nepal ist es nicht üblich, dass Menschen das tun: beide Arme um den Körper des anderen Menschen zu legen. Sie tat es trotzdem. „Es dauerte auch ungewöhnlich lange“, sagt Schüle. „Aber man merkte auch: Es ist Sunisha wichtig.“

Emilia Schüle ist eigentlich Schauspielerin, sie ist es gewöhnt, dass Menschen Dinge tun, die nicht zu ihrer Natur gehören. Sie spielte in Titelrollen in „Freche Mädchen“ (da war sie 13 Jahre alt) oder „Aschenputtel“ (mit 16 Jahren) und im März war die inzwischen 24-Jährige in dem ZDF-Dreiteiler „Ku’damm 59“ zu sehen. Doch all die Rollen in insgesamt 47 Filmen helfen ihr wenig in den Höhen von Nepal, wo sie vor einigen Wochen ihr Patenkind Sunisha zum ersten Mal getroffen hat.

Sunisha ist ein elf Jahre altes Mädchen, dessen Zuhause von den zwei aufeinanderfolgenden Erdbeben im April und Mai 2015 beschädigt wurde. Es war eines von rund einer halben Million Gebäuden, die der Naturkatas­trophe zum Opfer fielen, bei dem fast 9000 Menschen starben. Das alles könnte für Emilia Schüle weit weg sein, aber vor zwei Jahren rückte das Ereignis näher an sie heran. Emilia Schüle wurde Botschafterin für ein Projekt der Kinderhilfsorganisation Plan International. Sie erfuhr, dass sie von Berlin aus etwas tun kann und reiste schließlich mit der Organisation nach Nepal, in den Distrikt Makwanpur.

Sie lief durch die zerstörten Orte, lernte hautnah kennen, was es heißt, alles zu verlieren, aber auch, wie eine Region versucht, beim Aufbau an das nächste Erdbeben zu denken. „Ich habe bei den Treffen sehen können“, sagt Emilia Schüle, „wie die Familien mit so einer Katastrophe umgehen und versuchen im Chaos ein Stück Normalität zu behalten.“ Die Familie ihres Patenkindes Sunisha zum Beispiel lebt in einem Haus mit provisorischen Stellwänden aus Metall. „Aber ich konnte mehrere Schulen besichtigen, die schon komplett aufgebaut waren.“

Es ist etwas ungewöhnlich, mit einer Schauspielerin über Themen wie Armut, Not und Hilfsprogramme zu reden, wo sie sonst auf dem roten Teppich über ihr Privatleben und die Vorbereitung für eine Hauptrolle befragt wird. Aber sie sagt, sie habe sich schon lange mit dem Thema beschäftigt und wollte eine Hilfsorganisation unterstützen, deren Thema ihr zusagt. Das macht sie nun bei Plan International auf ihre Weise: Sie erwähnt ihr Engagement, wo es geht, und als sie vor Ort war, hat sie für ihre Tausenden Fans aus Nepal Instagram-Bilder verschickt. Jetzt plant sie eine Ausstellung.

„Mir war es wichtig“, sagt Schüle, „dass ich ein Programm unterstütze, das vor allem Mädchen und junge Frauen im Fokus hat.“ Dass gerade Mädchen nach Katastrophen besonders gefährdet sind, erfuhr sie bereits im vergangenen Jahr beim Besuch eines Hilfsprojektes auf den Philippinen. In Nepal gebe es zudem noch Zwangsheirat, und Mädchen müssen befürchten, auch bei der Bildung benachteiligt zu werden. „Wenn ich in eine Schule gegangen bin, dann habe ich deshalb immer zuerst nach den Lehrerinnen gefragt.“ Es hatte sie irritiert, dass immer nur Männer die Führung organisiert hatten. „Ich wollte aber auch sehen, wer letztlich die Arbeit macht und das waren eben oft Frauen – deren Geschichten haben mich sehr beeindruckt.“ Das Engagement für Frauen führt sie auch in ihrem Beruf weiter. Sie findet es skandalös, dass es Regisseurinnen noch so schwer haben. „Ich habe mit über 40 Regisseuren gearbeitet, aber nur mit drei Regisseurinnen.“

Ganz nebenbei konnte die junge Schauspielerin bei der Reise im Januar aber auch einen neuen Teil der Welt kennen lernen. „Die Wanderung durch das Gebirge dort bei zehn Grad Minus war eine der krassesten Erfahrungen in meinem Leben“, sagt Schüle. „Aber egal wo wir hinkamen, haben uns immer freundliche Menschen in ihre Häuser eingelassen – dann gab es häufig Popcorn.“ Nepal ist kein Kinoland – Popcorn gehört dort zur Alltagsküche wie hier Brot.

Mit Extremen kennt Schüle sich aus. Geboren wurde sie im russischen Blagoweschtschensk, nicht weit von Wladiwostok, Endstation der Transsibirischen Eisenbahn. Dort wird es im Sommer sehr heiß (30 Grad) und im Winter sehr kalt (minus 30 Grad). Bis heute sind Pelmeni ihr Lieblingsessen. Ihre Eltern zogen mit ihr nach Berlin, als sie ein Jahr alt war. Bis heute ist sie in die Stadt verliebt. „Aber richtig gut geht es mir nur, wenn ich Berlin auch regelmäßig verlassen kann“, sagt sie. „Den besten Ausgleich finde ich im Ausland.“ Und durch Sunisha findet sie den nun permanent. Die beiden stehen in Briefkontakt, und bei Emilia Schüles Mutter steht jetzt der Buddha – ein Geschenk von Sunisha. „Als nächstes will meine Mutter jetzt mit mir noch einmal auf das Dach der Welt.“

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