„Kinder vom Bahnhof Zoo“ - Kai Hermann und Horst Rieck
Kaum ein Buch hat in den 70er-Jahren für so einen Skandal gesorgt wie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Zugegebenermaßen ist es kein Roman, sondern eine nach Tonbandaufnahmen und Recherchen veröffentlichte Autobiografie nach dem Leben der drogenabhängigen Christiane Felscherinow. Das dramatische Buch der „Stern“-Autoren Kai Hermann und Horst Rieck erzählt ungeschönt den Abstieg der 14-jährigen Schülerin zur heroinabhängigen Prostituierten und ihren Kampf ums nackte Überleben. Es beschreibt schonungslos, wie Menschen auf der Toilette verrecken, zeigt die Hauptfigur sich windend auf Entzug. Und zeigt auch ihren verzweifelten Kampf gegen die Sucht. Seitdem kennt die Nation Begriffe wie Fixen, Goldener Schuss oder Cold Turkey. Eine Geschichte, die abschreckt und wachrüttelt – auch heute noch. Das Buch verkaufte sich weltweit mehrere Millionen Male und wurde auch als Film ein Erfolg.
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, Stern Verlag, 9,90 Euro
„Der Seelenbrecher“ – Sebastian Fitzek
„Der Seelenbrecher“ von Sebastian Fitzek ist kein klassischer Berlin-Roman, sondern ein spannender Berlin-Thriller. In einer (fiktiven) psychiatrischen Luxusklinik auf dem Teufelsberg kämpft eine kleine Gruppe von Ärzten, Schwestern und Patienten Heiligabend ums Überleben. Denn unter ihnen ist ein Psychopath, der, um an sein eigentliches Opfer zu kommen, über Leichen geht. Ein Schneesturm lässt die Situation eskalieren, denn die Verbindung zur Außenwelt ist gekappt. Wem kann man trauen und wem nicht? Fitzek fesselt den Leser bis zum überraschenden Schluss.
„Der Seelenbrecher“ von Sebastian Fitzek, erschienen bei Knaur Taschenbuch, 7,95 Euro
Berlin Alexanderplatz – Alfred Döblin
Ganze Legionen von Schülern durften sich das Meisterwerk von Alfred Döblin im Deutschunterricht zu Gemüte führen, Kein Wunder - gilt „Berlin Alexanderplatz“ doch als bedeutendster deutscher Großstadtroman und erzählt sprachlich eindrucksvoll, wie Franz Biberkopf an der Stadt Berlin scheitert. Nach seiner Haftentlassung ist Biberkopf in Berlin auf der Suche nach einer Arbeit und einer Wohnung, wobei der Ex-Sträfling versucht „ein guter Mensch“ zu werden. Doch der dumpfe, gutmütige, aber jähzornige Biberkopf scheitert immer wieder an seinen Vorsätzen, die Großstadt selbst mit ihren Verlockungen wird zu seinem Gegner und er zum Hehler, Luden und Vergewaltiger. Döblin zeigt die Entfremdung durch die Großstadt auch in seiner Sprache mittels einer Kollage aus Monologen, Dialogen, Wetterberichten, Werbeslogans, aber auch wie ein Filmregisseur mit Schnitten, Ein- und Überblendungen.
„Berlin Alexanderplatz“, Deutscher Taschenbuchverlag, 8,90 Euro
„Rave“ – Reinhald Goetz
Das Buch von Reinhald Goetz ist weniger ein klassischer Roman, sondern eher - wie man heute sagen würde - ein Blog. Aus Eindrücken, Reflexionen und Sinneswahrnehmungen entsteht ein Sittengemälde der Rave-Society der 90er-Jahre zwischen E-Werk, Loveparade, München und Ibiza. Eine rauschende Orgie aus Exzessen, Saufen, Sex, Gewalt und natürlich alle Arten von Drogen und Drogenkaputtheiten. Als eine Art „Spion“ erzählt Mit-Raver Goetz vom Lifestyle der Party-People, von den Momenten, in denen man sich verliert, die Zeit verrinnt und man trotzdem keinen Sinn findet. Zwischen seiner Poesie und intellektuellen Gedankenwirrungen spannt er den Bogen zwischen Techno-Popkultur, Ekstase und der Negativität der Nacht.
„Rave“, Suhrkamp Verlag, 9,50 Euro
„Der Prinz von Berlin“ – Marko Martin
Der junge Libanese Jamal Kassim wird von seiner Familie nach Berlin geschickt, um sich zum Ingenieur ausbilden zu lassen. In Berlin entdeckt er hingegen die gesellschaftlichen Freiheiten und lebt seine Homosexualität in vollen Zügen aus. Anfangs noch leicht und schwebend, knallt der „Prinz von Berlin“ im Laufe seines befristeten Aufenthaltes hart auf dem kalten Boden der Realität auf und findet sich als schuftender Bauarbeiter unter Illegalen wieder. Marko Martin zeigt Berlin von unten, multikulturell und aus Randgruppenperspektiven von Darkrooms bis zur Schwarzarbeit.
„Der Prinz von Berlin“, Bruno Gmünder Verlag, 13,95 Euro
Axolotl Roadkill – Helene Hegemann
Die 16-jährige Mifti erzählt in „Axolotl Roadkill“ von ihrem „Dahinschimmeln“, also ihrem Leben als wohlstandsverwahrloste Jugendliche in Berlin, zwischen Freiheit, Drogen und Selbstzerstörung. Die 17-jährige Hegemann ist das neue Wunderkind der Literaturszene und ihr Debütroman „Axolotl Roadkill“ hymnisch gelobt von den Feuilletonisten. Hegemann überzeugt durch ihren Mix aus Prosa, Dialogen, Mails und SMS. Ihre Sprache segelt hart am Zeitgeist, ihre Gedanken sind entlarvend auf den Punkt gebracht. Schonungslos wie ein Schlag ins Gesicht. „Fickundkotz-Jargon“ nannte es die „Zeit“. Dass die Autorin sich bei ihrem Werk im Internet bei anderen Autoren „inspirierte“, böse Zungen nennen es "abschreiben", und der Verlag nun ein Quellenverzeichnis herausgeben musste, passt perfekt zur neuen Autorin der Generation 2.0.
„Axolotl Roadkill“ erschienen beim Ullstein Verlag für 14,95 Euro
„Fabian. Die Geschichte eine Moralisten“ – Erich Kästner
Vielen Lesern ist Erich Kästner durch Emil, Anton und Pünktchen bekannt, doch der Autor sollte auch für seine Erwachsenenbücher berühmt sein. 1931 erschien seine bitterböse, rabenschwarze Satire als ein bissiges Gesellschaftsbild Berlins in der Zeit der großen Arbeitslosigkeit der 20er-Jahre. „Fabian - Roman eines Moralisten" erzählt von Jakob Fabian, der sich als Werbetexter sein Geld verdient – bis er seinen Job verliert. Er möchte die Welt verbessern, scheitert jedoch an seiner Passivität. Als Humanist huldigt er weder Geld, Macht oder gar der Liebe, bis sie ihm in der Gestalt von Cornelia begegnet, doch Fabian kann seine Trägheit nicht überwinden – was ihm letztlich zum Verhängnis wird. Kästner hat eine witzig-böse Analyse des Sittenverfalls abgeliefert, die auch heute nichts an ihrer Brisanz eingebüßt hat.
„Fabian“ erschienen im Deutschen Taschenbuchverlag für 7,90 Euro
Herr Lehmann – Sven Regener
Das Buch setzt dem Vorwende-Kreuzberg und seinen kauzigen Einwohnern ein Denkmal. Herr Lehmann ist (zugezogener) Kreuzberger, heißt eigentlich Frank, was aber von all seinen Freunden, Gästen und Trinkkumpanen ignoriert wird, denn Herr Lehmann ist Kellner in der „Markthalle“. Herr Lehmann wäre glücklich mit seinem Leben, wenn nicht sein 30. Geburtstag vor der Tür stünde. Er ahnt, dass dann alle anfangen werden zu fragen, was er mit seinem Leben machen will, denn dass jemand zufrieden damit ist, Kellner zu sein, ist in dieser Stadt, in der alle "eigentlich Künstler" sind, nicht vorgesehen. Autor Sven Regener ist bereits als Sänger und Texter der Berliner Band "Element of Crime" eine Musikerinstitution und ihm gelingt in seinem Debütroman das Kunststück, den zärtlich-rotzigen Kreuzberger Ton und das dazugehörige Lebensgefühl zwischen zwei Buchdeckel zu bannen.
„Herr Lehmann“, Goldmann Verlag, 8,90 Euro
"Die kalte Haut der Stadt" - Michael Wildenhain
„Die kalte Haut der Stadt“ schildert sprachmächtig die Berliner Hausbesetzer-Szene der 80er-Jahre. Aus der Sicht eines ehemals Beteiligten erzählt Wildenhain vom September 1981 in dem acht besetzte Häuser geräumt werden, ein Schweigemarsch eskaliert und ein Demonstrant auf der Straße stirbt. Er schildert in seinem Hausbesetzer-Epos aber auch den Zusammenbruch linker Utopien, die Verselbständigung der Gewalt und wie Liebe und Solidarität erodieren. Die Dramatik der Szenen und seine Sprache, die durch Montage, Rück- und Vorausblenden eine Sogwirkung erzielt, lassen den Leser eintauchen in den Rhythmus von Straßenschlachten und Besetzerplänen.
„Die kalte Haut der Stadt“, Fischer Verlag, 9,99 Euro
"Mitte" - Norman Ohler
Norman Ohlers „Mitte“ ist zugleich Drogenfantasie, Romanze und Geistergeschichte, gepaart mit einem Schuss Gesellschaftskritik. In dem Roman zieht der Protagonist Klinger nach dem Scheitern seines Londoner Internet-Startups in ein abrissreifes Haus am Hackeschen Markt. Schon der Mietvertrag ist mysteriös: Ihm ist verboten, die Besitztümer seines - angeblich - toten Vormieters anzufassen. Schon bald beginnt Klinger, Stimmen zu hören und rätselhafte Botschaften zu erhalten. Mit der Hilfe einer Prostituierten entschlüsselt er die Geschichte des Hauses und seines Vormieters, der sich dem Kampf gegen die Gentrifizierung des Berliner Stadtkerns verschrieben hatte. Wer etwas mit den Werken von Irvine Welsh und Chuck Palahniuk anfangen kann, kommt bei Ohlers urbaner Schreckensvision auf seine Kosten.
„Mitte“ von Norman Ohler, Rowohlt, 9,90 Euro