Berlin. Larissa Zeichhardt ist Chefin von LAT und sitzt im Aufsichtsrat der Wasserbetriebe. Beim Spaziergang erzählt sie, was sie antreibt.

Wer mit Larissa Zeichhardt durch Berlin spaziert, der hört vor allem positive Dinge über die Stadt. Darüber, wie gut sich etwa der Rudolfkiez entwickelt hat, in dem sich ihr Unternehmen LAT befindet. Oder darüber, was alles am Ufer der Spree entstanden ist, wie viele junge Talente dort unterwegs sind und wie viele internationale Konzerne man hier findet. „Ich glaube, dass diese Stadt viel kann und auch schon viel hat. Das wird nur manchmal gern vergessen“, sagt Zeichhardt, die viele Jahre im Ausland verbracht hat und doch von sich sagt, dass sie im Herzen Berlinerin geblieben ist. Und deren Begeisterung für die Stadt auch ein Grund ist, der sie schließlich nach Berlin zurückgebracht hat.

Acht Jahre ist es her, dass Larissa Zeichhardt mit ihrer Schwester Arabelle Laternser die Führung von LAT übernommen hat. Die Unternehmensgruppe wurde 1969 von ihrem Vater Heinz Laternser gegründet, der damals erst 23 Jahre alt war. LAT bietet Übertragungs-, Verkehrs- und Überwachungstechnik. Die Mitarbeitenden installieren Bahnstromanlagen oder Sicherheitssysteme für U-Bahnen, sie kümmern sich um Fahrgastanzeigen, Signaltechnik oder Bahnhofsbeleuchtungen. Zeichhardt spricht deshalb bei ihrer Arbeit auch von einem „Hebel, die Verkehrswende wirklich voranzutreiben“.

Larissa Zeichhardt verbrachte viele Jahre im Ausland

Das Familienunternehmen mit Sitz an der Modersohnstraße ist auch der Startpunkt unseres Spaziergangs durch Friedrichshain. 133 Menschen beschäftigt LAT heute, eine gute Größe, findet Zeichhardt. „Jede Mitarbeiterin, jeden Mitarbeiter mit dem Namen zu kennen, ist etwas Schönes.“ Ihr Weg hat die 42-Jährige aber nicht direkt zu dem Familienbetrieb geführt. Zuerst kam die Gründung eines eigenen Unternehmens, dann ein Job in einem großen US-Konzern – beides Erfahrungen, aus denen sie Erkenntnisse für die spätere Führungsrolle bei LAT mitgenommen hat.

Auch das Leben in verschiedenen Ländern hat sie beeinflusst: Nach der zehnten Klasse ging es zunächst nach Spanien, fürs Studium dann nach England, in die USA und später noch nach Australien. „Ich hatte tolle Möglichkeiten, in anderen Ländern zu leben, auch mal fremd zu sein. Das ist eine wertvolle Erfahrung“, sagt sie. Dazu habe sie sehen können, wie Denkweisen variieren. „Ich mag diese Art von Perspektivwechseln total gerne“, erzählt die Elektroingenieurin, während wir in Richtung Spree laufen.

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum Larissa Zeichhardt das „out of the box“-Denken so verinnerlicht hat. Gegenüber des Firmensitzes befindet sich der „Napoleon-Komplex“, ein Kreativ- und Kunstprojekt. LAT helfe den Künstlern manchmal, dafür würden diese auch LAT helfen. „Weil sie uns inspirieren“, sagt die Berlinerin. Ein Kreativprojekt, das ein Unternehmen aus dem Baugewerbe inspiriert? Für Zeichhardt eine Selbstverständlichkeit. „Auf Baustellen stehen wir oft vor kurzfristigen Herausforderungen, die gelöst werden müssen. Da hilft kreatives Denken, es ist sogar ein Muss“, sagt sie. Auch Innovationen seien nichts anderes als ein künstlerischer Weg, an eine Aufgabe heranzugehen und neue Lösungen zu finden.

Bei einem Projekt hat Zeichhardt den Bierpinsel bunt angemalt

Kunst begleitet die Unternehmerin aber schon länger. 2010 hat sie organisiert, dass der Bierpinsel an der Schloßstraße in Steglitz bunt angemalt wurde. Mehr als 1000 Quadratmeter seien von Graffitikünstlern gestaltet worden, mit dem Ziel, mehr Aufmerksamkeit auf die Schloßstraße zu lenken. „Ich habe in der Zeit gelernt: Kunst kann bewegen, Menschen verbinden und auf eine schöne Art den Dialog einfordern“, sagt sie.

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Die Arbeit am Bierpinsel folgte auf die Jahre bei ihrem Start-up. Mit einem Freund hatte Zeichhardt 2006 eine Computerfirma in Berlin gegründet. Über die Zeit sagt sie: „Das war die stärkste Lernkurve meines Lebens. Wir haben uns richtig schön vor Gericht gestritten.“ Aber sie schiebt lachend hinterher: „Inzwischen reden wir wieder miteinander.“ Gelernt habe sie damals, dass nicht immer alles nach Plan läuft, man auch mal scheitern kann. Und noch wichtiger: „Wieder aufstehen lohnt sich immer.“

Regelmäßig Neues lernen ist für die Unternehmerin Wunsch und Anspruch. Das gilt für sie selbst, aber auch für ihre Mitarbeiter. Inzwischen mache jeder bei LAT zweimal pro Jahr eine Weiterbildung, erzählt Zeichhardt. Auch sie hat von Fortbildungen profitiert, die sie während ihrer Zeit beim Großkonzern absolvierte. 2010, nach dem Projekt am Bierpinsel, fing Zeichhardt bei Ball Packaging Europe an, einem Getränkedosenhersteller, der zum US-amerikanischen Unternehmen Ball Corporation gehört. Dort habe sie gelernt, wie sie Menschen motivieren und führen kann.

2015 ging es plötzlich um die Zukunft des Familienunternehmens

Die zweite prägende Erfahrung: „Es ist bei internationalen Konzernen ganz normal, dass Frauen Führungspositionen übernehmen, auch in technischen Ressorts. Ich wurde da nicht aufs Marketing reduziert, sondern konnte meinen Beruf voll nutzen“, erzählt Zeichhardt, als wir in Richtung S-Bahnhof Warschauer Straße abbiegen. Die Managerin arbeitete für den Konzern in Zürich, sie sei sehr zufrieden gewesen. Und sie wäre wohl noch lange da geblieben, sagt sie, wenn nicht völlig unerwartet ihr Vater an einem Herzinfarkt gestorben wäre. Das war 2015 und Larissa Zeichhardt gerade mit ihrem zweiten Kind schwanger. Plötzlich ging es um die Zukunft des Familienunternehmens. Und da habe ihre Schwester, die designierte Nachfolgerin an der Spitze des Betriebs, sie gefragt, ob sie ihr helfen könne.

Zur Person

Leben Larissa Zeichhardt wurde 1981 geboren und ist in Berlin aufgewachsen. Nach dem Schulabschluss hat sie zunächst Medientechnik mit Schwerpunkt Elektrotechnik in London und den USA studiert, danach noch einen Master-Studiengang in International Business in Australien absolviert. Zeichhardt ist Mutter von zwei Kindern und verheiratet.

Karriere 2006 hat Larissa Zeichhardt eine IT-Firma gegründet. Anschließend folgte ein Projekt, bei dem sie die künstlerische Gestaltung des Bierpinsels organisierte. Ende 2010 wechselte Zeichhardt zum Konzern Ball Packaging Europe, für den sie zuletzt in Zürich als „Business Manager Soft Drinks“ arbeitete. Zusammen mit ihrer Schwester übernahm sie nach dem Tod ihres Vaters die Leitung der LAT-Unternehmensgruppe in Berlin. Die 42-Jährige ist dort Geschäftsführerin der LAT Funkanlagen- Service GmbH und unter anderem für Innovationen zuständig. Sie sitzt in den Aufsichtsräten der Berliner Wasserbetriebe und der Berliner Volksbank.

Spaziergang Der Spaziergang startete am Sitz von LAT an der Modersohnstraße. Von dort ging es über die Danneckerstraße bis zum Fußweg an der Spree. Danach führte die Runde über die Warschauer Straße bis zum RAW-Gelände und zurück zum S-Bahnhof Warschauer Straße.

Ursprünglich war geplant, LAT nur für einige Monate zu unterstützen, und danach in den Konzern zurückzukehren. „Naja“, sagt Zeichhardt, „ich bin nicht zurückgekommen. Was auch daran lag, dass ich mich wieder total in Berlin verliebt habe und die Möglichkeiten, die es hier gibt.“ LAT selbst befand sich allerdings nicht in der besten Verfassung. „Das war kein ruhiges Unternehmen, was super läuft“, erzählt die 42-Jährige. Die eigentlich nötige Digitalisierung sei etwa in den Jahren zuvor aufgeschoben worden. Aber die Familie – zwei weitere Schwestern sind Gesellschafterinnen bei LAT – hielt zusammen und an dem Unternehmen fest. Für Zeichhardt war damals klar: „Da stehen Jobs und Familien auf dem Spiel. Das sind Menschen, die kenne ich seit ich klein bin, und die kennen mich schon als Baby.“

„Es ist eine Superkraft, etwas mit den Händen schaffen zu können“

Dazu gefiel ihr, wofür das Unternehmen steht: richtiges Handwerk, im wahrsten Sinne des Wortes eine Aufgabe anpacken und etwas verändern. „Wenn wir doch etwas bewegen wollen, dann können wir das nicht nur am Rechner. Der schönste Plan wird nichts, wenn wir ihn nicht bauen. Deshalb fand ich von Anfang an die Idee cool, Menschen zu motivieren, in diesen Jobs zu bleiben.“

Und sie wolle junge Menschen ermutigen, sich für eine solche Ausbildung zu entscheiden – auch wenn klar ist, dass es vielleicht nicht der bestbezahlte Job der Welt ist und die öffentliche Anerkennung nicht so hoch ist, wie sie sein sollte, denn: „Dass die Bahn jeden Tag fahren kann und die Tram auch zu neuen Orten fährt, das ist deren Verdienst.“ Zeichhardt ist die ehrliche Begeisterung für die Arbeit anzuhören. „Es ist eine Superkraft, etwas mit den Händen schaffen zu können.“

Eine Familienpsychologin unterstützte die Schwestern bei der Übername

Trotz der Begeisterung für den Job habe es in der Übergangszeit aber auch geruckelt. „Meine Schwester und ich lieben die Streitkultur. Dass man etwas ausdiskutiert, ist auch total produktiv. Es darf nur nie persönlich werden.“ Unterstützung holten sich die Schwestern von einer Familienpsychologin, die darauf spezialisiert ist, die Nachfolge in Unternehmen zu begleiten. „Ich versuche immer, Leute um mich herum zu versammeln, die sich in unterschiedlichen Themen sehr gut auskennen. Bestenfalls oder hoffentlich besser als ich“, sagt Zeichhardt dazu. Mit der Psychologin gebe es bis heute alle zwei Jahre einen „Check-in“, um zu prüfen: Wie läuft es? Lassen sich persönliche und unternehmerische Ziele vereinbaren? Welche Strategie gibt es für die Entwicklung?

Aktuell fällt die Antwort darauf, wie es bei LAT läuft, positiv aus. „Im Moment haben wir eine gute Zeit, aber die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind wirklich schwer“, sagt Zeichhardt. Dennoch sieht sie das Familienunternehmen gut aufgestellt. „Wir sind, was das Technische angeht, auf einem sehr guten Stand. Alles, was wir in LAT investiert haben, macht uns gerade sehr stark. Wir haben etwas aufgebaut, was eine hohe Resilienz hat.“

LAT-Geschäftsführerin Larissa Zeichhardt ist am liebsten auf der Baustelle.
LAT-Geschäftsführerin Larissa Zeichhardt ist am liebsten auf der Baustelle. © FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini

Inzwischen sind wir auf dem RAW-Gelände angekommen. Larissa Zeichhardt ist auf der Suche nach der „kleinsten Disko der Welt“, die so klein ist, dass sie auch ab und an ihren Platz ändern kann. Sie befindet sich in einer umgebauten Telefonzelle, samt Diskokugel und Rauchmaschine. Für zwei Euro kann man einen Song wählen und solange er läuft im Inneren der Telefonzelle ungestört tanzen. Welches Lied Zeichhardt nehmen würde? Spontan sagt sie „Wonderwall“ von Oasis. Ein Paar vor uns entscheidet sich für Rihannas Hit „Umbrella“, der auch von draußen gut zu hören ist.

„Wir brauchen jetzt eine positive Stimmung“

„Musik gehört auch zum Leben dazu“, sagt Zeichhardt zur Begründung, weshalb sie uns an diesen Ort geführt hat. Und Musik steht auch für gute Laune. Etwas, wovon sich die Unternehmerin mehr für Berlin wünscht. „Wir brauchen jetzt eine positive Stimmung. Ich habe das auf der Baustelle gelernt: Ärmel hochkrempeln und anpacken“, sagt sie. „Das würde Berlin guttun, statt nur Weltmeister im Jammern zu werden.“

Ärmel hochkrempeln und anpacken – das haben die Schwestern auch bei LAT gemacht. Sie haben auf Digitalisierung gesetzt und eine papierlose Verwaltung eingeführt. Auch ein Roboter wird inzwischen auf einer Tunnelbaustelle zusammen mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) getestet. Er übernimmt die Dokumentationsarbeit, scannt dafür mithilfe einer Kamera den Tunnel vor und nach den Bauarbeiten. Der Vorteil: Die Mitarbeitenden werden entlastet und können sich auf ihr Handwerk konzentrieren. „Wir haben eine Tendenz, jeden alles machen zu lassen, und vergessen, dass wir Stärken haben, die gestärkt und benutzt werden sollten“, sagt Zeichardt.

Als Aufsichtsrätin bei den Berliner Wasserbetrieben und der Berliner Volksbank

Was sich noch verändert hat, ist die Präsenz von Frauen im Betrieb. Bei den Führungspositionen herrscht bei LAT inzwischen Parität, auf Geschäftsführungsebene sind Frauen in der Mehrheit. Auch zwei Monteurinnen gibt es mittlerweile, wobei diese natürlich noch in der Unterzahl sind. Damit sich dort etwas tut, müssten die Spielregeln geändert werden, meint Zeichhardt. In der Praxis sind das manchmal kleine Dinge. Dass es auf den Baustellen zwei Toiletten gibt oder Sicherheitsjacken auch tailliert angeboten werden, um enger anzuliegen und damit besser zu wärmen. Dass es dem Unternehmen nützt, wenn Frauen und insgesamt mehr Vielfalt unter den Mitarbeitenden herrscht, davon ist die Elektroingenieurin überzeugt. „Die Teams, die besser gemischt sind, kommen viel schneller zu Lösungen“, sagt Zeichhardt, die sich auch im Netzwerk „Women in Mobility“ engagiert.

Die „kleinste Disko der Welt“ können wir an diesem Tag nicht mehr ausprobieren. Stattdessen geht es zurück zum S-Bahnhof Warschauer Straße. Larissa Zeichhardt hat einen vollen Terminkalender, neben ihrer Arbeit als Geschäftsführerin sitzt sie auch in den Aufsichtsräten der Berliner Wasserbetriebe und der Berliner Volksbank. „Ich komme definitiv auf mehr als 40 Stunden in der Woche. Das ist aber selbst gewählt, ich liebe meine Arbeit“, sagt sie. Trotzdem achte sie auf eine gute Balance: „Ich arbeite bis 15 oder 16 Uhr, danach ist Kinderzeit“, sagt Zeichhardt, deren Töchter acht und neun Jahre alt sind. Dafür arbeite sie abends nochmal oder bei wichtigen Projekten auch am frühen Morgen.

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Dass sie sich zusätzlich in Aufsichtsräten engagiert, hat verschiedene Gründe. Zu den Wasserbetrieben habe sie nicht Nein sagen können, erzählt Zeichhardt. Da ist ihre Leidenschaft für Infrastruktur, dazu kommt die Bedeutung von Wasser. „Jeder hat ein Recht auf sauberes Wasser. Und wenn man das Wassermanagement richtig macht, löst das viele Probleme der Zukunft.“ Bei der Berliner Volksbank ist die Lage etwas anders. „Finanzen sind für mich der schwierigste Teil in meinem Job“, erklärt die 42-Jährige. Als Aufsichtsrätin wolle sie sich herausfordern und – da ist das Thema wieder – Neues lernen. „Das eine ist etwas für mein Herz, das andere etwas für meinen Kopf“, fasst Zeichhardt zusammen. Dann verabschiedet sie sich schnell und steigt in die S-Bahn. Zur Aufsichtsratssitzung der Wasserbetriebe will sie nicht zu spät kommen.