Berlin. Die Berliner Grünen-Fraktion will 55,8 Millionen Euro in mehr Sicherheit nicht nur im Görlitzer Park und am Leopoldplatz investieren.
Mehr Sozialarbeit vor Ort, Drogenkonsumräume oder eine bessere medizinische Versorgung Obdachloser, Suchtkranker und Menschen, die nicht krankenversichert sind: Die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus (AGH) möchte den Doppelhaushalt 2024/25 um mehr als 55,8 Millionen Euro für soziale Maßnahmen erhöhen. Dadurch sollen die sicherheitspolitischen Folgen des steigenden Drogenkonsums in Berlin abgemildert werden.
„Der Senat hat vor zwei Monaten beim Sicherheitsgipfel versprochen, die Verelendung im öffentlichen Raum anzugehen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch am Dienstag bei der Vorstellung der Maßnahmen. Die von der Regierungskoalition im Haushalt eingestellten Mittel würden dazu nicht ausreichen. Der größte Posten im Vorschlag der Fraktion sind dabei 20 Millionen Euro unter dem Titel „Stärkung der Bezirke“. Die sollen davon ihre Ordnungsämter ausbauen, Parks und Plätze sanieren oder besser beleuchten können.
Es handele sich um ein gesamtstädtisches und soziales Problem, dem kaum allein mit punktuellen und restriktiven Maßnahmen begegnet werden könne. In der Kritik steht dabei vor allem der Plan von CDU und SPD, den Görlitzer Park in Kreuzberg einzuzäunen und nachts abzuschließen. Dort wird seit Jahren öffentlich mit Drogen gedealt und diese werden auch offen konsumiert. Die Idee des Zauns kam auf, nachdem dort im Juni eine Gruppe junger Männer eine 27-Jährige vergewaltigt hatte.
Zaun um Görlitzer Park führt laut Grünen zur Verdrängung in umliegende Straßen
„Es bringt nichts, wenn wir uns an einzelnen Plätzen abarbeiten und dort durch Symbolpolitik Fakten schaffen“, sagte Treptow-Köpenicks für Straßen und Grünflächen zuständige Stadträtin Claudia Leistner. Das sei schädlich, da es zu Verdrängungseffekten führe – in diesem Fall konkret vom Görlitzer Park in den Schlesischen Busch in Alt-Treptow. Verelendung sei längst ein Problem auch in den Außenbezirken.
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Auch Friedrichshain-Kreuzbergs grüne Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann ist der Ansicht, dass man den Görli nicht isoliert betrachten darf. „Er liegt inmitten eines Sozialraums vom Kottbusser Tor bis zum Wrangelkiez, wobei man Treptow mitdenken muss.“ Schon jetzt würden in den umliegenden Wohngebieten oft suchtkranke Obdachlose in Innenhöfen oder Kellern schlafen, Fäkalien seien ein Problem, Anwohner würden Antworten erwarten.

Herrmann hatte beim Sicherheitsgipfel Anfang September einen Katalog vorgelegt, der neben präventiven und repressiven auch soziale Maßnahmen für eine „nachhaltige Sicherheit“ vorsieht. Die Forderungen decken sich im Wesentlichen mit denen, die die AGH-Fraktion am Dienstag vorstellte: mehr Sozialarbeit, Übernachtungs- und Aufenthaltsangebote für Drogenkonsumierende, in denen sie auch konsumieren dürfen. Dies ist laut Herrmann etwa in der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule an der Ohlauer Straße möglich, wo bis zu 90 Menschen untergebracht werden könnten.
Ferner fordern die Grünen mehr Drogenkonsumräume und -mobile, die an 24 Stunden sieben Tage die Woche zugänglich sind. Substitution etwa durch Methadon für Heroinabhängige muss niedrigschwellig möglich sein – auch für Menschen, die keinen Leistungsanspruch, also keine Krankenversicherung, haben. Dafür brauche es allein in Kreuzberg laut Herrmann einmalig rund 30 Millionen Euro sowie jährlich weitere 9,2 Millionen. Sie gehe davon aus, dass nun entsprechend Geld vom Senat käme. „Ich weiß aber nicht, wann und wie viel.“
Substitution führt zum Wegfall von Beschaffungskriminalität
„Ein niedrigschwelliger Zugang zu Substitution für Heroinabhängige würde den sofortigen Wegfall der Beschaffungskriminalität bedeuten“, sagte Astrid Leicht, Geschäftsführerin von „Fixpunkt“. Dies würde für jeden Abhängigen 60 bis 80 Euro im Monat kosten, der durch Diebstähle jeden Tag ein Vielfaches dessen an Schaden verursacht. Auch die psychiatrische Versorgung gelte es auszubauen, da entsprechende Probleme oft am Anfang einer Suchtkarriere stünden.
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Laut Streetworker Juri Schaffranek hat die Zahl der Obdachlosen, der Süchtigen und der psychisch Kranken seit der Corona-Pandemie zugenommen. Hilfe sei für die meisten nur schwierig oder gar nicht zugänglich. „Die Finanzierung von sozialen Projekten muss nachhaltig sein und nicht immer nur auf ein oder zwei Jahre begrenzt.“
Diesen Zeitraum brauche es mitunter, um zu einem hilfsbedürftigen Menschen eine Beziehung aufzubauen. „Die Frage muss auch sein, wie wir den öffentlichen Raum so gestalten, dass sich auch Gruppen, die auf den ersten Blick vielleicht unerwünscht sind, ihren Platz dort haben.“
Rund 180 Crack-Abhängige am Leopoldplatz im Wedding
Eine Frage, die sich momentan besonders auch am Leopoldplatz im Wedding stellt, wo seit etwa zwei Jahren eine Szene von Crack-Abhängigen wächst. Das Kokain-Derivat macht nicht nur stark abhängig und führt binnen kurzer Zeit zur beinahe totalen Verwahrlosung, sondern macht auch extrem aggressiv. „Das zeigt sich an der Zunahme von Gewaltdelikten am Leopoldplatz, die überwiegend in der Szene selbst begangen werden“, sagt Thomas Radloff, stellvertretender Dienststellenleiter des für den Bereich zuständigen Polizeiabschnitts 17.
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Die Polizei verzeichnete zwischen 2021 und 2022 eine deutliche Zunahme der Gewaltstraftaten am und rund um den Leopoldplatz. Laut Radloff würden dabei auch immer wieder Waffen wie Messer oder Äxte eingesetzt. „In den umliegenden Straßen bereitet uns die Beschaffungskriminalität in Form von Taschen- oder Ladendiebstahl zunehmend Probleme.“ Wie rund um den Görlitzer Park würden auch hier vermehrt Süchtige von Anwohnern in Hausfluren oder Kellern angetroffen. „Das subjektive Sicherheitsgefühl ist am Leo in Unordnung geraten, das kann man nicht beschönigen“, räumte Radloff ein.

Vor etwa zehn Jahren wurde der Leopoldplatz aufwendig umgestaltet. Unter dem Motto „Ein Platz für alle“ bekam auch die damals noch dort aktive Trinkerszene einen Ort. Mittlerweile sind die Alkoholiker von den Cracksüchtigen verdrängt worden, wobei die Polizei der Szene am Leo bis zu 160 Personen zurechnet.
Die Polizei sei Tag und Nacht vor Ort, sagt Radloff. „Es gibt keinen Ort im Wedding, der von uns so viel Aufmerksamkeit erhält und ich sehe da kaum noch Spielraum nach oben.“ Die Probleme am Leo könnten mit polizeilichen Maßnahmen und städtebaulicher Kriminalprävention allein nicht gelöst werden. „Wir dürfen die Polizei mit dem Problem damit nicht allein lassen“, so Grünen-Fraktionschefin Jarasch.