Berlin. Es ist ein Tabu-Thema: häusliche Gewalt gegen Männer. Zahlen zeigen aber, wie enorm der Schutzbedarf ist – auch in Berlin.

Häusliche Gewalt wird in der Regel mit physischer Gewalt von Männern gegen Frauen assoziiert. Doch auch umgekehrt werden Männer Opfer physischer und psychischer Attacken durch Frauen in den eigenen vier Wänden. Eine am Freitag vorgestellte Statistik durch die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz offenbart, wie groß deutschlandweit der Bedarf und gleichzeitig der Mangel an sogenannten Männergewaltschutzeinrichtungen ist. In Berlin sucht man solche Räume vergebens.

Die Zahl an Fällen von häuslicher Gewalt gegen Männer, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) festgehalten werden, ist nicht gering: Fast 70.000 Betroffene sind es allein dieses Jahr, erklärt Jana Peters, die als Fachreferentin bei der Erstellung der Statistik beteiligt war. Dem gegenüber stehe eine sehr niedrige Zahl an Schutzräumen: Im vergangenen Jahr gab es laut Peters bundesweit 12 Einrichtungen mit 41 Plätzen zum Schutz von Männern, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Bis zum jetzigen Zeitpunkt habe sich dieses Jahr die Anzahl der verfügbaren Plätze um insgesamt sieben erhöht.

Ein Platz in einer Männergewaltschutzeinrichtung für 1285 Personen

„Für 1285 Männer gibt es bundesweit genau einen Platz“, rechnet Peters runter und bezieht sich lediglich auf Männer ab 21 Jahren. Jüngere männliche Personen sind nicht eingerechnet. „Das ist eine erschreckende Zahl.“ Lediglich ein Bruchteil von den mehreren zehntausend Betroffenen würden sich tatsächlich melden (421 Personen im Jahr 2022) und in sogenannte Männergewaltschutzeinrichtungen einziehen (99 Personen).

Betroffener Mann in einer Schutzwohnung in Sachsen. Dort erhält er auch Beratung. (Archivbild)
Betroffener Mann in einer Schutzwohnung in Sachsen. Dort erhält er auch Beratung. (Archivbild) © dpa | Monika Skolimowska

Dort erhalten sie eine sichere Wohnumgebung, meist für rund drei Monate, und werden psychologisch begleitet. „Es wird über ihre Gewalterfahrung gesprochen und es geht um Fragen, wie es nach der Einrichtung weitergeht, wie es mit den Kindern weitergeht, und welche weiteren Hilfsangebote es gibt“, so Peters.

Warum die Anzahl an Meldungen so niedrig ausfällt, erklärt sie damit, dass das Angebot an Männergewaltschutzeinrichtungen noch nicht sehr bekannt sei und dass es sich um ein Nischen- und Tabuthema handele. Zu groß sei die Scham, zuzugeben, dass man von der Frau geschlagen oder gedemütigt wird. Es könne aber auch den profanen Grund haben, dass Einrichtungen sehr weit entfernt liegen, denn nur in sechs Bundesländern gibt es laut Peters solche Schutzräume ausschließlich für Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind.

In Berlin gibt es keine Männergewaltschutzeinrichtungen

Berlin gehört nicht dazu, was Eberhard Schäfer als eklatante Lücke sieht. Er arbeitet beim Väterzentrum Berlin – einem Ort, an dem sich Väter austauschen und beraten lassen können. „Wir sind keine Einrichtung für Gewaltschutz von Männern, hier wollen Väter Anregungen erhalten oder einfach nur Spaß mit anderen Vätern und Kindern haben“, betont Schäfer das Konzept seiner Organisation.

Dennoch ist er unfreiwillig so etwas wie ein Sprecher für das Thema häusliche Gewalt gegen Männer geworden und berät diese auch im Rahmen seiner Arbeit, sofern sie Väter sind. Viele Betroffene würden aus Mangel an Schutzeinrichtungen das Väterzentrum bei der Online-Suche finden oder über das Hilfetelefon Gewalt gegen Männer auf jenes hingewiesen werden.

Seit zwei Jahren berate er nun bereits betroffene Männer, obwohl er keine spezialisierte Ausbildung in diesem Bereich habe. „Ich kann das schon“, meint er aber selbstbewusst und verweist auf seine drei therapeutischen Ausbildungen, auf 15 Jahre Erfahrung als Berater und Therapeut, auf Fachveranstaltungen, die er zum Thema häusliche Gewalt gegen Männer besucht, sowie auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen.

„Im Durchschnitt habe ich vier Gespräche mit gewaltbetroffenen Vätern pro Monat, manche kommen mehrfach“, berichtet Schäfer. Mit Ausnahme von 2021 hat das Ausmaß an häuslicher Gewalt in Berlin laut Polizei in den vergangenen sechs Jahren kontinuierlich zugenommen – sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Der Anteil von männlichen Opfern liegt seit Jahren bei rund 26 Prozent in der Hauptstadt.

Bandbreite an Betroffenen und Gewalterfahrungen ist groß

Die Bandbreite an Gewalterfahrungen und an Personen, die ihn aufsuchen, sei laut Schäfer groß: „Betroffen ist jedes Alter, in dem Männer in einer Partnerschaft sind, jegliches Milieu, jegliches Bildungsniveau und auch regional ist alles vertreten.“ Zu Gewalt komme es oftmals, wenn das Stresslevel etwa aufgrund von Beruf und Kindern enorm hoch liege. Rötungen von Schlägen, Kratzspuren, psychische Wunden: Auch das Spektrum an Formen der Gewaltausübung sei groß.

Diese Erfahrungen könnten unter anderem Selbstvorwürfe zur Folge haben oder letztlich auch Trauer über eine gescheiterte Beziehung. Schäfer kann diesen Männern zuhören, ihnen raten, etwa die Polizei, Beratungsstellen der Opferhilfe oder des Weißen Ringes oder die Gewaltschutzambulanz in der Charité aufzusuchen. Eine weitergehende psychologische Beratung oder gar eine Schutzeinrichtung kann er hingegen nicht anbieten.

Selbstvorwürfe, Scham, Trauer: Häusliche Gewalt gegen Männer hat auch psychische Folgen für betroffene Männer.
Selbstvorwürfe, Scham, Trauer: Häusliche Gewalt gegen Männer hat auch psychische Folgen für betroffene Männer. © dpa | Daniel Karmann

Warum Letzteres in Berlin nicht zur Verfügung gestellt wird, in anderen Bundesländern aber schon, liegt daran, dass die Zuständigkeiten für die Thematik „seit Jahren strittig“ sind, wie es in einer Antwort der Senatsinnenverwaltung an die Berliner Morgenpost heißt. Die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA) sehe sich beim Thema häusliche Gewalt nur für betroffene Frauen in der Zuständigkeit.

Auf Anfrage wird dieser Fokus bekräftigt, gleichzeitig aber auf die Landeskommission Berlin gegen Gewalt hingewiesen, bei dem verschiedene Geschlechterperspektiven thematisiert würden, sowie auf Schutzeinrichtungen für gewaltbetroffene LSBTIQ+ Personen. Diese stünden für alle Geschlechter offen. Zwar verfüge Berlin über Unterstützungsangebot für Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind und die teilweise durch die Senatsintegrationsverwaltung finanziert werden – neben der bereits erwähnten Gewaltschutzambulanz der Charité fallen darunter auch die Vereine Weißer Ring und die Opferhilfe e. V. Aber: „Darüber hinaus bestehen derzeit seitens der SenASGIVA keine Konkreten Vorhaben zur Einrichtung von Männerschutzplätzen.“

Berliner SPD-Abgeordneter: Müssen gesellschaftliche Akzeptanz für das Thema herstellen

Eine Lücke, wie Lars Düsterhöft, SPD-Abgeordneter im Abgeordnetenhaus, findet. Er kenne die Problematik aus dem eigenen Freundeskreis, hat im Sommer eine parlamentarische Anfrage zu Unterstützungsangeboten für Männer gestellt, denen Gewalt durch die Partnerin widerfahren ist.

Sicherlich bräuchte es Männergewaltschutzeinrichtungen, doch zunächst müsse für das Thema sensibilisiert und die gesellschaftliche Akzeptanz hergestellt werden. „Männer müssen das Gefühl haben, dass sie sich an gewisse Stellen wenden können“, so Düsterhöft. Sie sollten keine Angst haben, dass ihnen nicht geglaubt wird, wenn sie von Gewalterfahrungen in den eigenen Wänden berichten.

Nur in Sinne des Aufbaus solcher Schutzräume lediglich Geld aus dem Landeshaushalt zu verlangen, sei in den Augen Düsterhöfts nicht der richtige Weg. Man müsse sich Gedanken machen über entsprechende Träger, über Immobilien und erst einen Prozess durchleben, um das Thema anschlussfähig zu machen. „Es darf nicht im Parlament belächelt werden, wenn über häusliche Gewalt gegen Männer gesprochen wird.“

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