Berlin. Dilan M. soll in Neukölln einen Polizisten mit einer Silvesterrakete beschossen haben. Jetzt fiel das Urteil am Amtsgericht Tiergarten in Berlin.

So richtig schien Dilan M. nicht zu verstehen, was für ihn auf dem Spiel steht und welche Konsequenzen sein mutmaßliches Handeln schlimmstenfalls hätte haben können. Der 21-Jährige habe eine „äußerst gefährliche Straftat“ begangen, wie der Vorsitzende Richter Gregor Kaltenbach bei seiner Urteilsbegründung sagte. M. hatte zuvor eingeräumt, zu Silvester in Neukölln eine Feuerwerksrakete gezielt in Richtung eines Polizeibeamten abgefeuert zu haben. Dafür und für weitere Vergehen wurde M. in Berlin zu acht Monaten Jugendhaft auf Bewährung verurteilt.

Der Vorfall hatte sich laut Anklage am 1. Januar gegen 4.12 Uhr an der Ecke Kienitzer Straße und Schillerpromenade ereignet. Nach Aussage des Polizisten Florian K. hatte der Angeklagte die Rakete aus einer Entfernung von zwei bis drei Metern auf ihn geschossen. Sie flog nur wenige Zentimeter am Kopf des Beamten vorbei. „Ich hätte jetzt auch blind hier sitzen können“, sagte K. im Zeugenstand. Nur weil er rechtzeitig reagiert und seinen Kopf weggezogen habe, sei er unverletzt geblieben.

Berlin: Staatsanwaltschaft unterstellt Dilan M. „schädliche Neigungen“

Daher wurde M. vom Amtsgericht Tiergarten der versuchten gefährlichen Körperverletzung sowie des besonders schweren Angriffs auf Vollstreckungsbeamte verurteilt. Aus einer Gruppe von etwa sieben Menschen habe er ihn attackiert, so Polizist Florian K. Überall seien Raketen herumgeflogen, alles sei angezündet worden oder habe gebrannt. Die Täter hätten auch Zivilisten beschossen. Nach einer kürzeren Verfolgungsjagd sei es dann gelungen, M. auf dem Herfurthplatz festzunehmen.

Die Hintergründe der angeklagten Tat bewerteten Anklage und Verteidigung erwartungsgemäß sehr unterschiedlich. Sein Mandant habe sich „leider dazu hinreißen lassen“, sagte Dilan M.‘s Verteidiger Kai Reese, begründete die Eskalation mit einer gewissen „Gruppendynamik“ und bat um eine „milde Strafe“.

Polizeibeamte werden am Abend des 31. Dezember 2022 mit Silvesterfeuerwerk beschossen.
Polizeibeamte werden am Abend des 31. Dezember 2022 mit Silvesterfeuerwerk beschossen. © DPA Images | Julius-Christian Schreiner

Die Staatsanwaltschaft hingegen wollte von Gruppendynamik nichts wissen. Der Angeklagte war bereits ein Jahr zuvor an Silvester auffällig gewesen, musste sich bereits wegen Waffenbesitzes, gefährlicher Körperverletzung, Drogenbesitzes und Beleidigung vor diversen Jugendkammern verantworten. „Er hat seit 2020 nie verstanden, was Sache ist“, sagte Staatsanwältin Ramona Croner in ihrem Schlussplädoyer. Er sei stoisch, zeige keine Einsicht und verfüge über sogenannte „schädliche Neigungen“ begründete sie ihre Forderung nach einer Jugendstrafe.

Tatsächlich war M. bereits zuvor zu Beratungsgesprächen bei der Jugendgerichtshilfe und zu 36 Stunden Freizeitarbeit verurteilt worden. Allerdings absolvierte er davon nichts. „Ich hab das nicht verstanden“, begründete er seine Verweigerung, den Auflagen der Justiz nachzukommen. Auch eine Woche in Beugehaft im Mai brachten ihn nicht dazu.

Angeklagter ist seit drei Jahren arbeitslos

Die Zahl der Arbeitsstunden wurde nun auf 70 erhöht. Würde er dem weiter nicht nachkommen oder Termine etwa bei seinem Bewährungshelfer ignorieren, würde die Bewährung widerrufen und M. müsste in Haft, warnte ihn der Richter. Außerdem darf er seinen Führerschein frühestens in sechs Monaten abholen. M. protestierte: Er brauche den Führerschein doch bei der Jobsuche. Seit seinem Schulabschluss 2019 ist er arbeitslos.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Twitter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die Führerscheinsperre wurde verhängt, weil der 21-Jährige auch wegen zwei Verkehrsstraftaten verurteilt wurde. Es scheine so, als stehe er mit dem Straßenverkehr „auf Kriegsfuß“, sagte Richter Kaltenbach. Am 8. Mai 2022 soll er gegen 1.30 Uhr von Schöneberg nach Charlottenburg und schließlich zurück nach Neukölln gefahren sein, obwohl er da noch keinen Führerschein hatte. Ein weiterer Polizeibeamter sagte aus, ihn hinter dem Steuer des Wagens beobachtet zu haben.

Der Wagen war ihm deshalb aufgefallen, weil er sechs Wochen zuvor bei einem Felgendiebstahl eine Rolle gespielt habe, so der Beamte weiter. Am Abend habe man das Auto zufällig gesehen und es etwa eine Stunde lang verfolgt.

Nach Silvester 145 Personen festgenommen – vor allem junge Männer

Am 29. August soll sich Dilan M. außerdem unerlaubt von einem Unfallort entfernt haben. Dabei ist er laut Anklage mit einem E-Scooter gegen einen Autospiegel gefahren, der dabei zerstört wurde. Er habe, statt die Polizei zu informieren, einfach einen zweiten Scooter bestiegen und sei davongefahren.

Diesem Vorwurf widersprach der Angeklagte jedoch entschieden. Er sei kurz zuvor von einem Taxi angefahren und verletzt worden. Ein Zeuge bestätigte tatsächlich, dass vor Ort frisches Blut am Boden war. Er sei ins Krankenhaus gefahren, um sich dort behandeln zu lassen, gab M. an. Dort habe er dann die Polizei informiert.

Die Gewaltexzesse insbesondere in Neukölln zum vergangenen Jahreswechsel hatten bundesweit für Entsetzen gesorgt. Polizeibeamte, aber auch Rettungskräfte der Feuerwehr wurden teilweise gezielt bedroht und angegriffen. Damals gab es 125 Attacken, bei denen 47 Polizisten und 15 Feuerwehrleute verletzt wurden. Insgesamt wurden 145 Personen festgenommen – vor allem junge Männer. Erst vor knapp einem Monat wurde ein 18-Jähriger wegen eines Übergriffs ebenfalls zu acht Monaten Jugendhaft auf Bewährung verurteilt.

Berliner Senat lehnt flächendeckendes Böllerverbot für die ganze Stadt ab

Die Polizeigewerkschaften fordern einen besseren Schutz für die Beamten, etwa in Form von Brandschutzhauben. Auch ein Verkaufsverbot sowie Böllerverbotszonen stehen auf der Liste. Letzteres flächendeckend für ganz Berlin einzurichten, lehnt der Berliner Senat ab. „Man sollte der Allgemeinheit die Freude am 31. Dezember nicht nehmen“, hatte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner. gesagt

Die Polizei will allerdings vereinzelt wieder Verbotszonen einrichten. Diese gab es im vergangenen Jahr etwa rund um die Pallasstraße in Schöneberg. Auch die High-Deck-Siedlung in Neukölln ist aktuell im Gespräch. Dort hatte es im Zusammenhang mit dem Krieg im Gaza-Streifen bereits Ausschreitungen gegeben.

Mehr zum Thema