Berlin. Der Landesparteitag dient nach der Wahlniederlage der Selbstvergewisserung: sozial, grün und wirtschaftsstark soll die Stadt sein.
Ein Gläschen Erdbeermarmelade für jeden Delegierten sollte die positive Geschichte symbolisieren, mit der die zum Juniorpartner der CDU geschrumpfte Berliner SPD wieder nach vorne kommen will. SPD-Landeschefin Franziska Giffey berichtete, der Gründer der ersten Berliner Fabrik für Wasserstoff habe ihr die Funktionsweise der grünen Energie anhand von Erdbeeren erklärt: Die werden im Sommer reif geerntet. Kocht man Marmelade daraus, sichert man Sonne, Geschmack und Energie für den Winter.
Es entspricht dem Kommunikationsstil der früheren Bundesministerin und Regierenden Bürgermeisterin, die nun unter dem CDU-Regierenden Bürgermeister Kai Wegner Wirtschaftssenatorin ist: Dinge einfach zu erklären. Das gelingt nicht immer, so als Giffey den Gästen empfahl, die Mini-Gläschen mit 28 Gramm Inhalt nicht wegzuwerfen, sondern wieder Marmelade darin zu kochen. Aber die SPD ist bemüht, die Veränderungen in der Gesellschaft als positiv für die Menschen zu schildern.
Der Aufschwung der AfD hat viele Sozialdemokraten schockiert
Denn auch den Sozialdemokraten hat der jüngste Aufschwung der AfD den Schrecken in die Glieder getrieben. „Geschockt“ sei sie von den letzten Umfragen. Damit müsse man sich ernsthaft beschäftigen. „Die AfD ist niemals die Lösung“, sagte Giffey: „Ihr aggressiver Populismus führt nirgendwo hin. Sie wollen aus Unbehagen menschenfeindliche Politik machen“. Dem müsse die SPD Gemeinsinn, Zusammenhalt und einen starken, funktionierenden Staat“ entgegensetzen.
In einem ausgiebigen Beteiligungsprozess haben die Sozialdemokraten einen umfangreichen Leitantrag verabredet, der am Ende nach einigen Änderungen einstimmig beschlossen wurde. „Wir zeigen die Antworten“, sagte Giffey selbstbewusst. „Wir müssen Wachstum, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit mit der klimaneutralen Stadt zusammendenken“, so die Senatorin: „Für uns ist klar: Berlin muss nicht nur klimaneutral werden, sondern auch bezahlbar bleiben. Es werde Veränderungen geben müssen. „Aber wir wollen sie so gestalten, dass die Menschen nicht über die Gebühr belastet werden.“
Giffey: Herausforderungen des Klimawandels sind eine Chance für unsere Stadt
Die Sozialdemokraten wollen den Ängsten vor zu hohen Lasten für den Klimaschutz mit einer Erdbeer-Geschichte begegnen: Der Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels müsse eine positive Geschichte sein, so Giffey: „Das ist eine Chance für unsere Stadt als Innovationsmotor und Arbeitgeber“, sagte die Senatorin.
Im Antrag ist das ganze Bündel von Klimaschutzinvestitionen, Hilfen zum Umbau von Gebäuden und Produktionsbetrieben und zur Entlastung der normalen Bürger von den Kosten enthalten. Die Verkehrswende, der Rückkauf der Fernwärmenetze, ein Förderprogramm für die energetische Gebäudesanierung, eine faire Verteilung der Kosten zwischen Eigentümern und Mietern, Flächen für Natur und Artenschutz in der Stadt, klimaneutrale Neubauten, Ausbau von Bussen und Bahnen, kein 17. Bauabschnitt der Stadtautobahn A 100 nach Friedrichshain, Elektro-Fahrzeuge für die Behörden, all das findet sich neben diversen Forderungen an den Bund in dem Antrag.
Delegierte ändern das Wort „Klimawandel“ durch „Klimakrise“
Dass es der Partei ernst ist, verdeutlicht ein Detail: Die Delegierten nahmen einen Änderungsantrag an, wonach das im Text verwendete Wort „Klimawandel“ überall durch „Klimakrise“ zu ersetzen ist.
Die SPD bekennt sich dazu, die Stadt bis 2040 klimaneutral zu machen. Dazu soll das bis zu zehn Milliarden Euro, mit Schulden finanzierte Sondervermögen des Senats beitragen. Aber: „Der notwendige Kampf gegen den Klimawandel darf nicht zulasten des Sozialstaats gehen“, rechtfertigt der Leitantrag die Schuldenaufnahme. Klimaschutz ist auch eine Verteilungsfrage, denn die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung sind gemeinsam für so viel Treibhausgasausstoß verantwortlich wie die ärmste Hälfte der Bevölkerung.
Saleh bekräftigt Verzicht auf höhere Gebühren durch landeseigenen Unternehmen
Giffeys Ko-Vorsitzender Raed Saleh, der über Monate versuchte, die SPD grüner zu machen, erneuerte seine Mahnungen, dass wo das Land Berlin Einfluss habe, keine zusätzlichen Kosten für die Menschen entstehen dürften. Als Beispiele nannte er den Verzicht auf Wasserpreiserhöhungen, allenfalls moderate Mieterhöhungen für die landeseigenen Wohnungen, das 29-Euro-Ticket für Berliner Busse und Bahnen. „Wir brauchen keine gewinne in unseren Landesunternehmen, sondern eine Entlastung der Menschen in schweren Zeiten“, sagte Saleh..
Auch die „Generationsaufgabe“ Klimaschutz dürfe nicht zu „Ungerechtigkeiten“ führen. Die Menschen würden nur mitmachen, wenn sie das Gefühl hätten, dass es gerecht zugehe, mahnte Saleh. Derzeit hat der Spandauer nicht den Eindruck, dass das in Deutschland gerade geschieht. Von der Inflation profitierten wenige, während vor allem die Armen leiden. „Die Konzerne machen Milliardengewinne, die Leute haben immer weniger im Portemonnaie“; sagte Saleh: „Wir erleben eine Umverteilung von unten nach oben. wir brauchen eine Umverteilung von oben nach unten.“ Weniger als die Hälfte der Inflation sei wirklich durch steigende Kosten getrieben, der Rest sei eine „Gewinninflation“.
SPD fordert bundesweite Öffnungsklausel für einen Mietendeckel
Saleh macht schon seit Monaten Druck auf die Bundesebene. Er verlangt etwa eine Änderung der Sanierungsumlage, weil es nicht einsehbar sei, dass Mieter für alle Zeiten für Verbesserungen an ihrer Wohnung zahlen, auch wenn die Kosten längst wieder reingekommen seien. Er erwarte, dass die FDP in der Ampel-Koalition als Ausgleich für weitere Hilfen für die Industrie eine Öffnungsklausel beim Mietrecht zulasse. Dann könnte Berlin die Mieten deckeln. „Wir brauchen die Öffnungsklausel jetzt“, sagte Saleh. Sollte es dazu kommen, werde es „keinen nächsten Koalitionsvertrag geben ohne den Mietendeckel“, so Saleh an die Adresse der CDU; die seinerzeit gegen den Mietendeckel geklagt hatte. Das Verfassungsgericht hatte den Plan kassiert, weil dem Land bisher die Zuständigkeit dafür fehlt.
Weitere Forderungen gehen in eine ähnliche Richtung: So soll nach dem Willen der Berliner SPD der Mindestlohn auf 15 Euro steigen. Man strebt in Richtung einer 32-Stunden-Woche. Zudem will die SPD einen weiteren Mietenstopp bei den landeseigenen Wohnungen und ein Verbot von möblierten Vermietungen in Berlin.