Innenstadt im Wandel

Studie offenbart besorgniserregenden Trend an Kudamm & Co.

| Lesedauer: 6 Minuten
Der Kurfürstendamm in der Berliner City West (Archivbild).

Der Kurfürstendamm in der Berliner City West (Archivbild).

Foto: Getty Images

Eine Studie hat untersucht, wie sich Frequenz und Kaufkraft an Einkaufsstraßen seit 2019 entwickelt haben. Das sind die Ergebnisse.

Berlin. Einkaufsstraßen in der deutschen Hauptstadt mussten seit Beginn der Pandemie zum Teil deutliche Veränderungen in ihrer Besucherstruktur in Kauf nehmen. Das ist ein zentrales Ergebnis einer Studie der Forschungskooperation „Transformation der Innenstadt“. Die Ergebnisse der Untersuchung lagen der Berliner Morgenpost vorab vor.

Demnach zogen sich seit 2019 vor allem junge, gut verdienende Großstädter aus den untersuchten Innenstadtbereichen Kurfürstendamm und Tauentzienstraße im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf sowie der Schlossstraße im Bezirk Steglitz-Zehlendorf zurück. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler fest, dass die Einkaufsstraßen stärker als 2019 von Besuchern aus Berlins Umland aufgesucht werden und dass das Interesse, an Sonn- und Feiertagen die Innenstadtbereiche aufzusuchen abgenommen hat.

„Wir sehen zwar, dass der Einzelhandel noch immer maßgeblicher Magnet ist, um die Menschen in die Innenstädte zu bringen. Gleichzeitig hat sich allerdings gezeigt, dass immer weniger junge und gut ausgebildete Menschen Einkaufsstraßen um die Ecke aufsuchen. Langfristig ist das ein Problem, weil damit ein riesiger Kaufkraftverlust einher geht“, erklärte Nikolas Müller, Studienautor und Dozent an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, mit Blick auf die Ergebnisse.

Lesen Sie auch: Berliner Kaufleute: Zukunftsvisionen für Kudamm, Friedrichstraße, Tauentzien und Co.

Einzelhandel zwar noch immer ein Magnet, aber vor allem gemischt genutzte Gebäude gefragt

Erhoben wurde die Studie mit Hilfe von Mobilfunkdaten. Genutzt wurden dafür das Global Positioning System (GPS). Erstmals konnten mit den Informationen Rückschlüsse für die Standortanalyse urbaner Gebiete gezogen werden. Unter anderem ließ sich erkennen, welche, wie häufig und wie lange Menschen bestimmte Standorte besuchen.

An den untersuchten Gebieten hat sich die Passantenfrequenz den Daten zufolge wieder erholt, ist jedoch noch nicht wieder auf dem Niveau wie vor der Pandemie. Kudamm, Tauentzien und auch die Schlossstraße sind aber weiterhin sogenannte Hochfrequenzachsen. Das heißt, der stationäre Einzelhandel ist noch immer ein Besuchermagnet. Die Studienautoren konnten aber durchaus Veränderungen erkennen, in der Frage, was vor Ort aufgesucht wird und bei welchen Bereichen Interesse eher abgenommen hat.

Im Bereich Tauentzien verzeichnen etwa die Gastronomie in der Meinecke Straße oder auch die Hotels H10 in der Joachimsthaler Straße, The Hoxon in der Meinecke Straße, Hamptons by Hilton auf der Uhlandstraße sowie auch Galeria Karstadt Kaufhof geringere Frequenzen. Bei Bikini Berlin, dem P&C und dem KaDeWe stellten die Studienautoren hingegen eine Magnetwirkung fest. „Die Vermutung, dass gemischt genutzte Gebäude wie etwa das Bikini resilienter in Bezug auf die räumliche Nutzung sind, liegt daher nahe“, heißt es.

An Sonntagen etwas weniger los, Menschen bewegen sich zudem schneller durch die Straßen

An der Schlossstraße wird das Forum Steglitz weniger intensiv genutzt als noch 2019. Stabil zeigten sich das P&C, Decathlon sowie die Mixed-Use Gebäudekomplexe Ecke Schloßstraße/Albrechtstraße und Schloßstraße/Joachim-Tiburtus-Brücke. Zusätzliche Magnetwirkung hätten das Boulevard Berlin und auch der Charkiw-Park entfaltet.

Bei der Frage, wann die Besucher die Einkaufsstraßen aufsuchten, gab es vor allem in den Abendstunden und an Wochenenden Veränderungen. An allen drei betrachteten Standorten zeigte sich die Tendenz einer in den Abendstunden geringeren Nutzung. An Sonntagen kommen am Kudamm gut drei Prozent weniger Menschen in das Gebiet (Tauentzien: -1,8 Prozent, Schlossstraße: -2,2 Prozent im Vergleich zu 2019).

Sonnabende werden dafür intensiver zum Verweilen und Shoppen auf den Einkaufsmeilen genutzt. In den nördlichen Teil der Schlossstraße kamen 2022 an Sonnabenden gut 18,5 Prozent aller wöchentlichen Besucher (+2,2 Prozent im Vergleich zu 2019). Auch an der Tauentzienstraße gab es an Sonnabenden ein leichtes Plus (+1,1 Prozent). Menschen bewegen sich zudem schneller durch die Innenstadt. Insbesondere in der Gastronomie und in Parkanlagen ist die Verweildauer nach der Pandemie gestiegen.

Auch interessant: Leerstand und Baustellen: So denken Berliner über den Kudamm

Mehr Menschen aus den umliegenden Gebieten Berlins kommen an Kudamm und Tauentzien

Größere Veränderungen haben die Berliner Einkaufsstraßen seit 2019 mit Blick auf das Einzugsgebiet durchgemacht. Am Kudamm kamen 2019 noch viele Besucher aus der unmittelbaren Umgebung. 2022 hat sich der Untersuchung zufolge der primäre Einzugsbereiche, aus dem gut die Hälfte aller Gäste kommt, räumlich vergrößert und zum Teil auch neu strukturiert. Damit kommen auch weniger Besucher aus der unmittelbaren Umgebung. Ähnlich ist die Entwicklung auch an Tauentzienstraße. Grundsätzliche hatte das auch zu Folge, dass die Kaufkraft der Besucher in den Bereichen leicht gesunken ist.

Die räumliche Ausweitung der Einzugsgebiete verändert auch die Zusammensetzung der Besucher, die die Straßen aufsuchen. Als einen Trend haben die Studienautoren den Rückzug der sogenannten Sophisticated Singles – also gutausgebildete junge Großstadtmenschen – ausgemacht. An der Schlossstraße kamen 2022 knapp vier Prozent weniger Menschen aus dieser Besuchergruppe als noch 2019. Auch am Tauentzien lag der Rückgang bei knapp vier Prozent, am Kudamm ging die Zahl junger Gutverdiener innerhalb von drei Jahren sogar um acht Prozent zurück. Der Anteil finanziell schlechter gestellter Gruppen ist hingegen etwas gestiegen.

Wissenschaftler: Einzelhandel an Berlins Einkaufsstraßen geht „relevante Zielgruppe verloren“

Wissenschaftler Nikolas Müller hält das für besorgniserregend. „Dem Einzelhandel geht eine relevante Zielgruppe verloren und der Innenstadt eine entscheidende Gruppe, die eigentlich in dieser zu Hause ist und ihre Kinder dort in der Vergangenheit im Einkaufsverhalten und in der Nutzung der Innenstadt sozialisiert hat.“ Kommt diese Gruppe nicht zurück, könnten die langfristigen Auswirkungen „signifikant“ sein, so Müller.

Kevin Meyer, Geschäftsführer der an der Studie beteiligten James Cloppenburg Real Estate KG, fordert nun mit gezielter Stadtentwicklung neue Nutzergruppen anzusprechen. „Moderne Büros sind zum Beispiel ein Schlüssel, um junge Menschen wieder in die Stadt zu bringen. Die Gruppe verbindet die Arbeit gerne mit Sportmachen oder dem Feierabendbier. Das sind Dinge, die ich nicht aus dem Homeoffice heraus machen kann“, sagt Meyer, dessen Firma zahlreiche Einzelhandelsstandorte mit Peek & Cloppenburg-Filialen in Deutschland gehören. Darüber hinaus brauche es neue Attraktionen, zum Beispiel kulturelle Orte, die Menschen in die Städte ziehen.