Berlin. Wie haben Internet und Digitalisierung das journalistische Arbeiten verändert? Ein Generationengespräch.

Internet, Digitalisierung, Transformation – wie sehr hat sich Journalismus in den vergangenen Jahrzehnten verändert? In der Lokalredaktion arbeiten unterschiedliche Generationen zusammen und ergänzen sich. Wir haben zwei der jüngsten und unseren dienstältesten Kollegen um etwas Ungewöhnliches gebeten – ein gegenseitiges Interview. Andreas Abel (68) begann 1986, für die Morgenpost zu arbeiten, die Volontärinnen Miriam Schaptke (28) und Jana Treffler (29) gehören seit 2022 zum Team, das sich übrigens untereinander duzt – wie heute die meisten Kolleginnen und Kollegen der FUNKE-Medienguppe.

Was, also, macht die Berliner Morgenpost aus? Worauf kommt es bei gutem Journalismus an? Und wie hat sich das journalistische Arbeiten in den vergangenen 40 Jahren verändert?

Andreas Abel: Ich frag’ euch einfach ganz uncharmant: Miriam, wo kommst du her und wie bist du eigentlich zur Berliner Morgenpost gekommen?

Miriam Schaptke: Ich bin keine Berlinerin, sondern komme aus Bamberg. Für das Masterstudium bin ich nach Berlin gezogen und machte während des Studiums verschiedene journalistische Praktika, bei Printmedien und Fernsehen. Mit den Referenzen habe ich mich dann bei der Morgenpost auf ein Volontariat beworben. So fing ich vor gut einem Jahr mein Volontariat hier an und lernte Jana kennen.

Jana Treffler: Ich komme auch aus Bayern, aus Regensburg. Ich habe 2013 nach meinem Abi in Berlin Politikwissenschaft studiert. Ich wusste schon zu Schulzeiten, dass ich Journalistin werden will. Damals hatte ich noch eine etwas diffuse Vorstellung von Journalismus, dass es relevant für die Gesellschaft ist, hatte Tagesschausprecherinnen vor Augen. Angefangen habe ich bei „Kiez und Kneipe Neukölln“, einer Kiezzeitung. Dort war ich fünf Jahre. Aktuell mache ich mein zweijähriges Volontariat bei der Morgenpost. Und Andreas, du bist Berliner, richtig?

Abel: Ja, ich komme aus Berlin. Viele denken: Berliner Morgenpost, die Marke steht für Berlin, da arbeiten sicher nur Berliner. Aber das ist gar nicht so. Das war auch schon 1986, als ich in der Redaktion angefangen habe, nicht so. Ich jedenfalls bin in Berlin geboren, hier zur Schule gegangen und habe an der Freien Universität studiert. Ich wollte eigentlich – wie du, Jana – auch schon als Oberschüler in den Journalismus. Aber ich habe mich nicht getraut, weil ich Angst vor Arbeitslosigkeit hatte. Ich habe den sicheren Weg gewählt und Geschichte und Mathematik auf Lehramt studiert. Im Laufe des Studiums wurde mir klar, dass ich nicht Lehrer werden will, sondern Journalist.

Schaptke: Und wie hast du den Weg zur Morgenpost gefunden?

Arbeiten am Festnetz-Telefon: Morgenpost-Redakteur Andreas Abel in einer der damaligen Bezirksredaktionen der Berliner Morgenpost.
Arbeiten am Festnetz-Telefon: Morgenpost-Redakteur Andreas Abel in einer der damaligen Bezirksredaktionen der Berliner Morgenpost. © BM | Andreas Abel

Andreas: Nach meinem Examen habe ich bei einem kleinen Verlag gearbeitet, der Bezirkszeitungen herausgab. Nach einem Jahr habe ich mich bei verschiedenen Zeitungen um ein Volontariat beworben. Die Morgenpost hat mich eingestellt – gleich als Redakteur. Das heißt, ich habe nie ein Volontariat absolviert. Das war sehr ungewöhnlich, aber ich war natürlich froh darüber. Ich kam in eine Bezirksredaktion – damals hatte die Morgenpost noch Außenredaktionen in den Bezirken – und das war genau das, was ich machen wollte. Vor Ort sein, selbst schreiben und nicht im Büro Agenturmeldungen verarbeiten.

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Schaptke: Das kann ich verstehen, das mag ich am Lokaljournalismus auch besonders, dass man direkt mit den Menschen in Kontakt ist und die Geschichte aus erster Hand hört. Das hatte ich gar nicht so erwartet. Auch für mich war zum Ende meiner Schulzeit klar, dass ich Journalistin werden will, ich hatte dabei an die große Politik gedacht. Aber das Kleine, Persönliche des Lokaljournalismus, die Geschichten nah am Menschen gefallen mir besonders gut, wie sich herausgestellt hat.

Jana: Ich finde auch das Lokale hochpolitisch, auch das, was im Kleinen passiert. Jeden Tag verhandeln die Menschen ihr Zusammenleben und es ist toll, darüber zu berichten.

Andreas: Berlin ist so groß und vielfältig, dass man sich nicht im langweiligen Kleinklein verlieren muss, die Themen sind überbordend. Neukölln, da habe ich lange gearbeitet, das ist eine Großstadt.

Jana: Ja, Neukölln ist doppelt so groß wie Regensburg.

Andreas: Wenn es eine eigene Stadt wäre, würden dort wahrscheinlich drei Lokalzeitungen existieren.

Jana: Wir finden unsere Themen ja häufig auch über Social Media, Instagram, Twitter. Wie war das bei dir damals?

Andreas: Hauptsächlich über Gespräche, mit Vertretern von Vereinen oder Bürgerinitiativen zum Beispiel, und in den politischen Ausschüssen. Dann setzt das Schneeballsystem ein. Man bekommt viel mit, trifft immer wieder dieselben Leute, baut sich ein Netzwerk auf.

Schaptke: Jana und ich stehen da ja noch am Anfang. Wir haben noch kein wirkliches Themengebiet und werden vielseitig eingesetzt. Und da merken wir manchmal, dass uns eben dieses Netzwerk noch fehlt. Dafür kommen wir mit ganz vielen verschieden Menschen in Kontakt und das ist super spannend. Ich habe Berlin noch mal ganz anders kennengelernt. Jana, ist dir von all den Erlebnissen, die du im vergangenen Jahr gesammelt hast, irgendwas besonders in Erinnerung geblieben?

Jana: Was mich sehr berührt hat und zeigt, dass Lokales und Globales zusammenhängen, war die Frage der Visaerleichterungen für Erdbebenbetroffene. Also wie Berlinerinnen und Berliner ihre betroffenen Angehörigen holen können. Was mir auch in Erinnerung geblieben ist, nicht als Lieblingsmoment, aber durchaus interessant, ist das Pferderennen, über das ich berichtet habe. Ich saß da mit Wowereit und Giffey auf der VIP-Tribüne – privat wäre ich da niemals hingegangen, spannend war es trotzdem.

Schaptke: Da muss ich auch an einen meiner ersten Termine denken: Eine Tour mit der BVG zu verschiedenen U-Bahnhöfen, an denen gerade gebaut wurde. Gar nicht mein Thema. Aber letztlich war es enorm spannend, diese Baustellen zu begehen. Plötzlich stand ich im Zwischendeck des U-Bahnhofs Hermannplatz – ein Termin, der mich nachhaltig beeindruckt hat. Das ist das Schöne an unserem Beruf, dass man immer wieder überrascht wird.

Abel: Ich kann euch versichern, das hört niemals auf, dass man überrascht wird, dass man in Situationen kommt, in die man sonst nicht geraten würde. Im vergangenen Jahr, nach fast 40 Jahren im Beruf, hatte ich die Gelegenheit, eine Herz-OP live zu begleiten. Das war wahnsinnig spannend. Und wir erleben immer wieder Situationen, die uns menschlich berühren. Zum Beispiel habe ich an einer Serie zur Pflege-Krise mitgearbeitet und über Menschen geschrieben, die ihre Angehörigen zuhause pflegen. Das hat etwas mit mir gemacht. Es ist nicht nur wichtig, Nachrichten zu transportieren, sondern immer zu fragen: Was bedeutet das für die Menschen? Der Morgenpost liegt viel daran, das abzubilden.

Schaptke: Das Menschliche spielt in unserem Beruf auf jeden Fall eine wichtige Rolle. Und manchmal gehen einem Themen nahe, vor allem die, die man selbst für sehr relevant hält. Ich bin dann häufig viel zu perfektionistisch beim Schreiben. Und es ist natürlich wichtig, die nötige Distanz zu wahren.

Treffler: Wenn man kritisch berichtet, kommt es auch immer wieder vor, dass man zwischen die Fronten gerät, sich unbeliebt macht. Das finde ich herausfordernd, mit dem Ärger, der Wut des Gegenübers umzugehen. Man braucht ein dickes Fell. Andreas, wie kriegt man dieses dicke Fell?

Abel: Durch Übung. Irgendwann stellt man fest, dass man in diesem Job nicht Everybody‘s Darling sein kann. Irgendwer fühlt sich immer auf den Schlips getreten. Man weicht dann am besten nicht zurück, sondern erklärt, dass die Dinge mindestens zwei Seiten haben. Wichtig ist dabei: Kritisch, aber fair.

Schaptke: Fairness geht auch Hand in Hand mit Neutralität. Eine Situation, die mir nicht aus dem Kopf geht: Ich sollte vom Rammstein-Konzert berichten, als Rammsteinfans mit Menschen, die gegen die Konzerte demonstriert haben, aufeinandergetroffen sind. Klar habe ich persönlich dazu eine starke Meinung, mir ging es emotional sehr nahe. Klar war aber auch, dass ich mit beiden Seiten rede, beide Seiten abbilde und neutral berichte, trotz meiner innerlichen Wut. Ich habe meine Gefühle beiseitegestellt und neutral über die Situation geschrieben. Es hat funktioniert. Aber es war herausfordernd.

Abel: Das ist eine große Herausforderung, eine exponierte Situation für eine junge Journalistin. Aber es ist auch eine gute Schule.

Schaptke: Auf jeden Fall. Das kalte Wasser bedeutet auch die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Und das ist etwas, was ich an der Ausbildung bei der Morgenpost zu schätzen weiß, dass uns als Volontärinnen und Volontären was zugetraut wird.

Treffler: Aber lasst uns noch mal über den Arbeitsalltag sprechen. Wie sah der denn aus, als du 1986 begonnen hast, Andreas?

Abel: Der war schon erheblich anders. Wir hatten am Anfang in den Außenbüros nur Schreibmaschinen, auf denen wir unsere Texte geschrieben und sie dann reintelefoniert‘ haben, sprich, Mitarbeiterinnen in der Zentrale diktiert haben.

Treffler: Das brauchte ja richtig viel Zeit. Ich stell’ mir das so vor, dass das Tempo damals ein ganz anderes war. Heute schreiben wir die Texte und können sie sofort online veröffentlichen.

Abel: Und auch die Recherche ging in einem anderen Tempo, hat einfach länger gedauert. Es gab noch kein Internet. Wir hatten keinen direkten Zugriff auf das Archiv, mussten dort anrufen und warten, bis das Material herausgesucht war. In meinen ersten Jahren bei der Morgenpost gab es auch noch keine Handys. Das heißt, am Telefon zu recherchieren, ging nur im Büro. Wenn wir draußen unterwegs waren und uns mit der Redaktion rückkoppeln wollten, mussten wir eine Telefonzelle suchen.

Schaptke: Und wir produzieren heute regelmäßig Texte auf dem Smartphone. Oft muss es schnell gehen.

Andreas: Ich weiß nicht, ob der Arbeitsdruck heute höher ist, aber der Zeitdruck ist es auf jeden Fall. Das Internet und das Digitale haben alles verändert. Damals gab es einen Redaktionsschluss, auf den hat man hingearbeitet. Jetzt ist eigentlich den ganzen Tag Redaktionsschluss.

Treffler: Das stimmt. Ich denke zum Beispiel ausschließlich online und stelle mir oft gar nicht mehr vor, wie mein Artikel in der gedruckten Zeitung aussehen wird.

Schaptke: Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn Kolleginnen und Kollegen davon reden, wie viele Zeilen ein Artikel haben soll. Wir denken nicht in Zeilen, sondern in Zeichen. In unserer Ausbildung haben wir gelernt, in Begriffen wie „Online-First“ zu denken. In unserem Kopf geht die Onlinemaske auf, wenn wir an den Artikel denken – wie wir die Zwischenüberschriften und die Bilder setzen. Das hat manchmal auch schon zu Missverständnissen mit der Chefredaktion geführt, weil da niemandem bewusst war, wie wenig Print-Denke wir noch beigebracht bekommen haben.

Treffler: Aber wie ist das bei dir, Andreas? Du denkst wahrscheinlich in Zeilen und Printseiten, oder?

Abel: Ja, ich denke schon immer noch als erstes an die Printseite und spreche von Zeilen. Ansonsten habe ich mich ganz gut in der Onlinewelt eingefunden. Was mir jedoch noch immer wichtig ist, ist dass ich erst zu Ende recherchiere, bevor ich zu schreiben beginne. Das ist im Onlinegeschäft oft schwierig.

Treffler: Das weiß ich gar nicht, ich fange auch erst zu schreiben an, wenn ich das Gefühl habe, dass ich genug recherchiert habe. Klar, manchmal fehlt die Zeit, vor allem weil wir oft tagesaktuell berichten müssen. Aber dennoch steht auch im Onlinegeschäft eine gute Recherche an oberster Stelle.

Abel: Eine gute Recherche ist unabhängig von der Zeilen- oder Zeichenzahl. Man will aber das, was man recherchiert hat, mitteilen. Da ist die Onlinewelt wohltuend: Man kann die Onlinefassung länger aufschreiben.

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Treffler: Teilweise ist das gar nicht so. Online funktionieren kürzere Texte besser. Deswegen sind wir angehalten, lieber zwei Texte aus einem langen zu machen.

Abel: Ja, das ist richtig, auch online soll es nicht ausarten. Aber ich habe meine Printfassungen schon hin und wieder um ein oder zwei Absätze für online verlängert. Ihr geht allerdings gar nicht mehr von der Printfassung, sondern von der Onlinefassung aus, richtig?

Treffler: Genau, wir schreiben die Onlinefassung und die Prinzproduzenten setzen unsere Texte dann auf die Zeitungsseite. Ich sehe tagelang keine Printseite.

Schaptke: Es ist schon ein ganz anderes Arbeiten heute. Aber spannend, wie es damals war.

Abel: Bei allem, was sich verändert hat, sind dennoch zentrale Dinge gleichgeblieben.

Schaptke: Das ist die Wichtigkeit guter Recherche.

Jana: Das, was guten Journalismus ausmacht, ist gleichgeblieben.

Schaptke: Dass wir kritisch sind und neutral, objektiv berichten.

Abel: Die Notwendigkeit, zu informieren, Missstände aufzudecken. Das bekommt man nirgendwo anders. Dafür braucht es Medien.

Treffler: Da ist es auch ganz egal, ob online oder Print.

Abel: So schließt sich der Kreis: Was uns alle drei motiviert, was uns zu dieser Berufswahl getrieben hat und was uns Spaß an der Arbeit haben lässt – daran hat sich über all die Jahre auch nichts geändert.