Berlin. Warum das Bibliotheksgesetz wichtiger ist als ein neuer Standort für die Zentralbibliothek. Gastbeitrag von Melanie Kühnemann-Grunow (SPD).
Wenn man in der vergangenen Woche in die Zeitung geschaut hat, ging es im Zusammenhang mit Bibliotheken vor allem um die Pläne des Kultursenators, Joe Chialo, die Zentral- und Landesbibliothek in der Friedrichstraße anzusiedeln. Die Möglichkeit steht schon längere Zeit im Raum und ist durchaus charmant. Aber die Summe, die allein für den Kauf der Galeries Lafayette zur Debatte steht, ist schwindelerregend und teurer als der am Blücherplatz geplante Neubau – 600 Millionen Euro. Hinzu kommen die Kosten für den Umbau und den Umzug.
Der Senator hat jüngst den Haushaltsplan vorgelegt, der in vielen Bereichen brachiale Kürzungen vorsieht, auf dieses Vorhaben findet sich darin allerdings kein Hinweis. Die Zentral- und Landesbibliothek braucht eine verlässliche Perspektive, wenn es aber um die Zukunft des Bibliothekswesens in Berlin geht, geht es um sehr viel mehr als einen einzigen Standort und die unausgereifte Idee eines einzelnen Senators.
Bibliotheken werden als verlässliche Partner gebraucht
Wer wie ich aus einer Arbeiterfamilie kommt, weiß, dass Bildung ohne Hilfe kaum möglich ist. Ohne die Unterstützung der Eltern sowieso nicht, aber auch nicht ohne Personen und Institutionen, die Zuversicht geben und einem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Einen wesentlichen Anteil haben die Lehrerinnen und Lehrer, aber in meinem Fall spielte auch die Stadtbibliothek vor Ort und der Bücherbus, der zweimal die Woche in unsere Straße kam, eine Rolle.

Voller Ungeduld konnte ich dienstags und donnerstags sein Erscheinen kaum erwarten. Ich habe so gut wie alles verschlungen, was ich in die Hände bekommen konnte und war glücklich, wenn ich den alten Stapel Bücher gegen neues Futter eintauschen konnte. Damals ging es vor allem um Lesestoff. Heute müssen unsere Bibliotheken viel mehr bieten und werden von vielen Menschen aller Altersklassen dringend als verlässlicher Partner gebraucht.
Bibliotheken leisten heute mehr denn je einen großen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit, sie sind Orte der Begegnung, an dem sich ganz unterschiedliche Menschen, jung und alt, aus verschiedenen Milieus treffen und Unterstützung bekommen. Und genau aus diesem Grund setze ich mich vehement für ein Bibliotheksgesetz ein. Die kommunale Bibliotheksversorgung darf nicht länger von der Haushaltslage der Bezirke abhängen. Sie muss eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge werden. Denn wir brauchen verlässliche quantitative wie qualitative Standards – und das wird Geld kosten!
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Seit den 1990er-Jahren hat sich das Bild der öffentlichen Bibliotheken unter dem Einfluss gesellschaftlicher, technologischer und medialer Entwicklungen stark gewandelt. Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Bibliotheken und auch zur Zentral- und Landesbibliothek verfolgen die Stadtteilbibliotheken in den Bezirken noch mehr den Auftrag, sich den Bedürfnissen einer breiten Öffentlichkeit zu verpflichten und das im besten Fall direkt vor der Tür im Kiez. Mit ihrem vielfältigen Informations-, Medien-, und Dienstleistungsangebot bewegen sich unsere Bibliotheken in einem Umfeld, das geprägt ist von sich weiter ausdifferenzierenden sozialen Milieus, demografischem Wandel, steigenden Buchpreisen, einem expandierenden Markt digitaler und virtueller Medien und nicht zuletzt, einem wachsenden Bildungsbedarf.
Die Berliner Stadtteilbibliotheken sind als niedrigschwellige Infrastruktureinrichtung für alle sozialen Schichten und Altersstufen ein nachgefragter und viel genutzter Ansprechpartner, Wissenslieferant und sozialer Treffpunkt, der unterschiedlichste Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse befriedigt. Im besten Fall haben sie ein Café, Aufenthaltsqualität und die Raumkapazität, die es Menschen vor Ort ganz individuell, aber auch in Gruppen ermöglicht zu arbeiten. Insbesondere für Jugendliche, die in beengten Wohnverhältnissen leben, ist dies eine wichtige Voraussetzung, um sich beispielsweise auf MSA- oder Abiturprüfungen vorzubereiten. Und auch Seniorinnen und Senioren nutzen gerne das Internetangebot und freuen sich über die Unterstützung der Beschäftigten vor Ort.
Bibliotheken sind die meistbesuchte kulturelle Einrichtung
Beiden Gruppen ist eines gemein: Sie sind weniger mobil und brauchen die Bibliotheksinfrastruktur im Kiez. Unsere Bibliotheken sind seit langem die meistbesuchte kulturelle Einrichtung der Stadt. Aber das Bibliotheksnetz ist nicht engmaschig genug und die finanzielle sowie personelle Ausstattung hinkt der Entwicklung Berlins hinterher. Vor diesem Hintergrund hat es mich sehr gefreut, dass es nach der Wiederholungswahl gelungen ist, mit der CDU schnell über die Notwendigkeit eines Bibliotheksgesetz übereinzukommen.
Das Bibliotheksgesetz für Berlin ist allerdings ein dickes Brett daher wird es uns noch viel Zeit und Geld kosten, die notwendigen Fortschritte zu bewirken. Bereits 2001 als ich Bezirksverordnete in Tempelhof-Schöneberg wurde, habe ich mich für verlässliche Bedingungen mit quantitativen wie qualitativen Standards für unsere Berliner Bibliotheken stark gemacht. 22 Jahre später, nach der Enquete-Kommission des Bundestages, dem Olympiamodell und dem Bibliotheksentwicklungsplan bekennt sich Berlin endlich dazu, die kulturelle Teilhabe und einen niedrigschwelligen Zugang zu Informationen und Wissen nachhaltig abzusichern, Bibliotheken als Orte des Austauschs und des gemeinsamen Lernens zu verbessern und die kulturelle Bildung im ganzen Stadtgebiet auszubauen.

Die Berliner Landesregierung bekennt sich zu einem einheitlichen, leistungsfähigen und fachlich wie räumlich gleichwertigem Bibliotheksangebot für alle Berlinerinnen und Berliner. Ich kämpfe für die Verankerung der Öffentlichen Bibliotheken als Pflichtaufgabe des Landes Berlin und seiner Bezirke zu gewährleisten. Der Zeitplan ist ambitioniert, aber machbar.
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Im Anschluss an das formelle Stellungnahmeverfahren zu den Eckpunkten des Bibliotheksgesetzes und nach der Ausformulierung des ersten Gesetzentwurfes startet noch in diesem Jahr der Diskussionsprozess über den Gesetzentwurf mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren auf fachlicher Ebene in den Bezirken, der Stiftung ZLB sowie dem Landesverband des Bibliotheksverband. Nach der Auswertung der Stellungnahmen, der Erstellung der Senatsvorlage und späteren Beschlussfassung wird sich das Abgeordnetenhaus noch vor der Sommerpause 2024 in erster Lesung mit dem Gesetz auseinandersetzen.
Landeseigene Liegenschaften für die ZLB sollten vorgeben
Das ist insgesamt ein idealtypischer Zeitplan, aber eine zügige Verankerung als Pflichtaufgabe wird die Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Öffentlichen Bibliotheken Berlins langfristig sichern und stärken. Es wird dazu beitragen, die vielfältigen Potenziale der Bibliotheken im Hinblick auf Kultur, Bildung, Demokratie, gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine nachhaltige Stadtentwicklung besser zu erschließen und stärker auszuschöpfen.
Und die ZLB? Auch die Zentral- und Landesbibliothek wird von einer leistungsstarken Stadtbibliothek profitieren. Und wenn es darum geht, einen Standort für die ZLB zu finden und eine halbe oder auch eine ganze Milliarde zu investieren, dann genießen landeseigene Liegenschaften wie das ICC und das Gebäude des Flughafen Tempelhofs oberste Priorität. Die ZLB ins ICC? Warum nicht? Längst hat die Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey ein Konzeptverfahren zur Entwicklung des ICCs als Kultur- und Kreativwirtschaftsstandort auf den Weg gebracht.