Silvesterkrawalle

Feuerwehrmann berichtet von Hinterhalt und Angriff

| Lesedauer: 5 Minuten
Von Andreas Rabenstein, dpa
Christian Woletz, Berliner Feuerwehrmann.

Christian Woletz, Berliner Feuerwehrmann.

Foto: Carsten Koall/dpa

Es passiert nicht nur an Silvester und nicht nur in Berlin: Nicht nur Polizisten werden angegriffen, sondern auch Feuerwehrleute.

Berlin. Ein Angriff auf die Berliner Feuerwehr in der letzten Silvesternacht hat Nachwirkungen bei den Betroffenen hinterlassen. Ein Feuerwehrmann, der dabei war, sagte am Donnerstag, er habe sich später durchaus gefragt, was hätte passieren können, „wenn wir nicht mehr weggekommen wären“. Mit brennenden Barrikaden seien Kollegen in einem Feuerwehrauto gegen Mitternacht in einen Hinterhalt auf der Hermannstraße in Neukölln gelockt und angegriffen worden, sagte Feuerwehrmann Christian Woletz bei einem Kongress des Deutschen Feuerwehrverbandes und zeigte mit Videos und Fotos, was damals passierte.

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Er sei mit einem weiteren Feuerwehrauto und Kollegen zur Hilfe geeilt. Auf dem Video war zu sehen, wie mehr als ein Dutzend schwarz gekleideter Menschen erst auf das erste und dann auch auf das zweite Feuerwehrauto losstürmt. Sie werfen größere Gegenstände gegen die Autos und auf die Straße. Silvesterraketen fliegen über die Straße, Böller explodieren an den Wagen. Beide Feuerwehrautos fahren trotz der Barrikaden auf der Straße schnell wieder ab, während es weiter kracht. Woletz präsentierte Fotos von gesplitterten Autoscheiben. In Kreisen der Feuerwehr wurden die Täter in der linksautonomen Szene vermutet, weil sie vermummt und gezielt auftraten.

Angriffe in den Silvesternächten seien „normal“

Zugleich hatten an Silvester wie in früheren Jahren in einigen Berliner Stadtteilen und auch in anderen Großstädten mit sozialen Brennpunkten andere junge Männer randaliert und Böller und Raketen auf Polizisten und Feuerwehrleute geworfen und geschossen. Mehrere Vertreter der Feuerwehr erzählten, leider seien diese Angriffe in den Silvesternächten inzwischen in vielen Städten „normal“.

Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Karl-Heinz Banse, forderte, der Staat müsse endlich durchgreifen. Der Vorsitzende des Berliner Landesfeuerwehrverbandes, Sascha Guzy, beklagte im Inforadio des rbb eine zunehmende „Verrohung eines Teils der Gesellschaft“. Feuerwehrleute würden beschimpft, gespuckt und angegriffen. „Dort lassen die Leute ihre Aggressionen, ihren Frust aus.“

Berlins Innen-Staatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) sagte, 47 Polizisten und 15 Feuerwehrleute seien Silvester verletzt worden. Nötig sei es, den Verkauf von Feuerwerk zu verbieten. Verbotszonen für Böller hätten sich nicht bewährt, sie seien ein „stumpfes Schwert“, weil die Polizei sie nur mit großem Aufwand durchsetzen könne. Die Bestrafung der Täter sei ein großes Problem. Das sei „schlecht gelungen“, weil es wenig gute Videoaufzeichnungen gebe.

Bislang zwei Verurteilungen nach Silvesterkrawallen

Berlins Feuerwehrchef Karsten Homrighausen sagte, bislang gebe es zwei Verurteilungen: ein 16-Jähriger habe zwei Wochen Jugendarrest erhalten, ein 23-jähriger Mann sechs Monate Gefängnis auf Bewährung.

Der Psychologe Ahmad Mansour sprach von einer Reihe verschiedener Ursachen und forderte massive Präventionsbemühungen durch Begegnungen. „Es ist kein rein migrantisches Problem, kein rein Berliner Problem und auch nicht nur auf Deutschland begrenzt.“ Es gebe bei Teilen der Jugendlichen eine fatale Entwicklung, die mit digitalem Konsum, Stress, falscher Erziehung, Fremdbestimmung, Integration und auch Corona zu tun habe und in „massive Verluste beim Empathieempfinden“ münde.

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Viele Kinder würden sich immer mehr in digitalen Welten bewegen, Eltern würden das nicht stoppen, das zeigten Untersuchungen. „Die Fähigkeit, anderen Menschen gegenüber Empathie zu empfinden, hat massiv abgenommen“, sagte Mansour. Diese Fähigkeit werde nicht mehr wie selbstverständlich zu Hause gelebt. Dazu komme eine höhere Gewaltbereitschaft etwa in Schulen und auf Straßen. Manche Jugendkultur im Internet belohne asoziales Verhalten, Rapmusik verherrliche Gewalt.

Psychologe: Nachwuchs aus migrantischen Familien generieren

Ein Teil der Kinder und Jugendliche aus patriarchalischen Migrationsfamilien würde ganz andere Hierarchien und Autoritäten erfahren, sagte Mansour. „Diese Gruppe nimmt Polizei und Feuerwehr hier als schwach wahr, weil sie ganz anders auftritt als in den Herkunftsländern.“ Kinder, die selber Gewalt erfahren würden, seien unsicher und hätte Ohnmachtsgefühle. In Stresssituationen führe das zu Gewalt, weil sie selber nicht Opfer sein wollten.

In der Prävention seien Begegnungen entscheidend, sagte Mansour. „Das ist das Wichtigste, auch für die Integration.“ Vorurteile und Aggressionen ließen sich nur dadurch abbauen. „Jugendliche müssen Vertreter des Staates treffen und sie als Menschen erkennen.“ Junge Migranten müssten mit Polizisten und Feuerwehrleuten zusammensitzen, reden und Fußball spielen. Polizei und Feuerwehr müssten mit allen Mitteln versuchen, Nachwuchs aus diesen Communitys zu gewinnen.

An diesem Freitag trifft sich der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) mit seinen zuständigen Senatorinnen sowie Polizei, Feuerwehr und Bezirksvertretern zu einem „Sicherheitsgipfel“ im Roten Rathaus. Es geht um die allgemeine Sicherheitslage in der Hauptstadt, die einige Stadtteile mit sozialen Brennpunkten und hoher Kriminalitätsrate aufweist. Auch Silvester spielt eine Rolle.

( dpa )