Berlin. Am Haus der Statistik entsteht ein ganzes Quartier. Das Modellprojekt gilt als alternativ und stößt auf internationales Interesse.

Die Geschichte des Hauses der Statistik am Alexanderplatz ist auch die seiner Graffitis. „Stop Wars“ – Stoppt Kriege – stand lange in großen roten Lettern auf der Fassade, ein markantes Erkennungszeichen. Im Herbst 2018 fügte jemand etwas kleiner „on Migration“ hinzu, eine Antwort auf die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz? Doch diese Konkretisierung der ursprünglichen Botschaft verschwand wieder, nachdem das Haus von Bundes- in Landesbesitz übergegangen war.

Heute sind überhaupt keine politischen Botschaften mehr zu sehen – wenigstens oberflächlich. Das Hochhaus ist in Baugerüste eingepackt. Der Umbau am „Allesandersplatz“ hat begonnen. Hier soll ein neues Quartier entstehen. Nicht-kommerziell, divers, bezahlbar. Das Besondere und durchaus politische ist: Verwaltung und Zivilgesellschaft entwickeln das Quartier gemeinsam.

Die frühere DDR-Statistikbehörde, in der nach der Wiedervereinigung auch das bundesdeutsche Pendant untergebracht war, stand seit 2008 leer und sollte abgerissen werden. Der verzögerte sich jedoch. Lang genug, dass eine Initiative ab 2015 Vorschläge für die Nutzung entwickelte und einen Abriss verhindern konnte.

Verwaltung, Initiativen, Wohnen: Der Bedarf nach Raum ist riesig

Mit dieser Initiative arbeitet jetzt der Senat zusammen. Denn alle haben Bedarf. Der Bezirk Mitte braucht ein neues Rathaus, das Finanzamt ein weiteres Gebäude auch und die Projekte aus den Bereichen Kunst, Kultur und Soziales, die das Haus der Statistik in Pioniernutzung bereits vor Jahren wiederbelebt hatten, sowieso. Außerdem soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) hier ab 2026 290 Wohnungen bauen.

Das Haus der Statistik, hier Haus A, am Alexanderplatz ist nur der Anfang eines komplett neuen Quartiers.
Das Haus der Statistik, hier Haus A, am Alexanderplatz ist nur der Anfang eines komplett neuen Quartiers. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die Zusammenarbeit zwischen dem Senat und der Initiative Modellprojekt Haus der Statistik, vertreten durch die Genossenschaft „ZUsammenKUNFT Berlin“ läuft positiv, erzählen Harry Sachs und Dariya Kryshen von der Initiative. Mentalitätsunterschiede sind durchaus vorhanden – „wir sprechen eine andere Sprache“, sagt Kryshen – aber es gebe viele „Learnings“ für beide Seiten.

Um etwas von diesen Learnings mit nach Hause zu nehmen, kommen Interessenten aus der ganzen Welt zum „Allesandersplatz“. „Vor Kurzem hatten wir eine Delegation aus Taiwan hier für eine Führung“, erzählt Kryshen. Auch in vielen europäischen Ländern suche man nach Ideen und Erfahrungen, wie eine kooperative Stadtentwicklung zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft funktionieren könnte.

Experimentierhäuser für Wohnen, Kunst und Soziales

Drei „Experimentierhäuser“ sollen in dem Quartier entstehen. In einem wird das Haus der Materialisierung unterkommen, das sich momentan in einem ehemaligen Rechenzentrum befindet. Darin forschen TU-Studierende an Pilzen als Verbundmaterial am Bau, die Stadtmission stellt Unterwäsche aus T-Shirts her und die Materialmafia sammelt alles ein, was bei Film- und Theaterproduktionen übrig bleibt. Die Stadt wird zum Ressourcenlieferant, um daraus Nützliches zu machen, braucht es nur ein bisschen Kreativität.

Erik Göngrich und Nora Wilhelm leiten das Pilz-Labor im Haus der Materialisierung. Dort forschen sie mit Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Technischen Universität Berlin an organischen Verbundmaterialien aus Pilzen.
Erik Göngrich und Nora Wilhelm leiten das Pilz-Labor im Haus der Materialisierung. Dort forschen sie mit Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Technischen Universität Berlin an organischen Verbundmaterialien aus Pilzen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Und Raum. Damit der im Haus der Statistik auch langfristig für Initiativen und Projekte zur Verfügung steht, haben Kryshen und die Initiative ein komplexes Trägermodell entwickelt, das auch vor einem Wandel des politischen Willens schützen soll. Die bisherige Bilanz ist gut: „Wir haben drei Koalitionsverträge überlebt.“

Was passiere, wenn man dem Markt freien Lauf ließe, sehe man nebenan: In einem angrenzenden Haus, das früher der AOK gehörte und das die Samwer-Firma Rocket Internet erworben hat, werden wohl Start-ups einziehen, vermutet Sachs. Gehen mussten die Ärzte eines Gesundheitszentrums.

Sommerfest am Freitag: Das Haus der Statistik entdecken

Momentan läuft das Auswahlverfahren, welche Initiativen ab 2025 langfristig in das Haus A des Quartiers, also das Haus der Statistik einziehen werden. Viele von ihnen sind während des Umbaus in Containern rundherum untergebracht.

Im Haus der Materialisierung experimentieren zahlreiche Initiativen und Projekte mit Materialien, die sich in der Stadt finden lassen, mit Recycling und Upcycling.
Im Haus der Materialisierung experimentieren zahlreiche Initiativen und Projekte mit Materialien, die sich in der Stadt finden lassen, mit Recycling und Upcycling. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Sie stellen sich am Freitag beim Sommerfest am Haus der Statistik vor. Das Fest findet im Rahmen des Kultursommerfestivals der Kulturprojekte Berlin statt, das von Juni bis August hundert Kunst- und Kulturveranstaltungen umsonst und draußen kuratiert. Am Haus der Statistik bieten die Initiativen und Projekte von 15 bis 22 Uhr Workshops zum Mitmachen, aber auch Theater und Musik.

Besucher können Plastikupcycling für den Haushalt, kreative Essensresteverwertung, Siebdruck und das Pilz-Labor kennenlernen. Außerdem stellt die Initiative Haus der Statistik das Umbauprojekt vor. Bei einem experimentellem Spaziergang kann außerdem von 15 bis 20 Uhr das Areal entdeckt werden.

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