Berlin. Vor zehn Jahren wurde das Berliner Institut für Gesundheitsforschung gegründet. Heute heißt es, seiner internationalen Bedeutung entsprechend, offiziell Berlin Institute of Health (BIH). Sein Ziel ist die medizinische Translation – das bedeutet kurz gesagt, Erkenntnisse aus der biomedizinischen Grundlagenforschung schneller ans Krankenbett zu bringen. Neue Therapien für Patienten und Patientinnen, bessere Diagnosen und Präventionsmöglichkeiten sollen Menschen Lebensqualität erhalten oder zurückgeben.
Vor zehn Jahren galt, zumindest hierzulande, der Ansatz der anwendungs- und nutzenorientierten Spitzenforschung als sehr innovativ. Ebenfalls ungewöhnlich war die Organisationsstruktur: Mit dem Institut wurden erstmals in Deutschland eine Einrichtung der Universitätsmedizin – die Charité – und eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung – das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) – in einer eigenen Institution zusammengeführt.
- Wissenschaft: Wo in Berlin aus Forschung Gesundheit wird
- Gehirnsimulation: Die exakte Kopie des Gehirns entsteht am Computer
- Volkskrankheit: Bessere Diagnose bei Rückenschmerzen
- Digitalisierung: Vernetzte Daten für maßgeschneiderte Medizin
- Gelenkerkrankung: Innovative Therapien – Hoffnung für Arthrose-Patienten
- Biochemie: Auf der Suche nach Fehlern im Immunsystem
- Tumore: Mit gezüchteten Zellen im Kampf gegen Krebs
- Interview: Heyo Kroemer: „Wir stehen in der Medizin vor einer großen Umwälzung“
90 Prozent des Etats finanziert der Bund, zehn Prozent Berlin
Diese Konstruktion ermöglichte auch die Finanzierung: 90 Prozent des Etats von knapp 80 Millionen Euro pro Jahr trägt der Bund, zehn Prozent steuert das Land Berlin bei. 2021 wurde das BIH in die Charité integriert und rückte damit noch näher an die Klinik heran. Das MDC ist seitdem „privilegierter Partner“. Seit 2020 ist Professor Christopher Baum Vorsitzender des BIH-Direktoriums.
Das Institut gilt als Leuchtturm der Wissenschaft. Mit translationaler Spitzenforschung und vielen Innovationen ermöglicht das Institut insbesondere eine personalisierte Vorhersage zur Entwicklung von Erkrankungen und eine personalisierte Gesundheitsversorgung. Parallel werden aus klinischen Beobachtungen neue Forschungsideen entwickelt.
Enge Zusammenarbeit zwischen Forschern und Ärzten der Charité
Kennzeichnend für das BIH ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den im Universitätsklinikum tätigen Ärzten und den Forschern. Die spielt sich auf vielen Ebenen ab, in Querschnittsbereichen zum Beispiel unterstützen sich Forscher und Kliniker gegenseitig mit der Entwicklung und Anwendung modernster Technologien zur Analyse von großen Gensequenzen, Protein- oder Datenmengen, in der Bioinformatik oder beim Speichern und Bereitstellen von Zell- und Gewebeproben.
Der innovative Ansatz zeigt sich auch in der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener medizinischer Fachrichtungen und in der interdisziplinären Zusammensetzung der Forschungsgruppen. Dort sind beileibe nicht nur Mediziner vertreten sondern oft auch Mathematiker, Informatiker, Psychologen, Biologen und Ingenieure.
Die Vernetzung schließt nicht selten auch die medizinisch orientierte Industrie mit ein, um schneller und effizienter zu neuen Therapielösungen zu kommen. Das ist Ausdruck einer grundsätzlich anderen Herangehensweise an Humanwissenschaft, als sie die deutsche akademische Tradition vorsieht.
Ärzte haben die Möglichkeit, in die Wissenschaft einzusteigen
In einer eigenen Akademie erhalten Ärzte und Ärztinnen der Charité am BIH die Möglichkeit und die Weiterbildung zum wissenschaftlichen Arbeiten. Die „Clinician Scientists“ sind es in erster Linie, die die medizinische Translation mit Leben füllen, da sie beide Seiten kennen: die Patientenversorgung und die Forschung im Labor. Mehr als 300 Absolventen hat die Akademie inzwischen.
Das Berlin Institute of Health zählt 800 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, darunter 400 Wissenschaftler. Das Institut ist auf mehrere Standorte verteilt, in Buch, in Mitte und auf dem Charité-Campus Virchow in Wedding. Noch in diesem Jahr kommt das Rahel-Hirsch-Center für Translationale Medizin an der Luisenstraße in Mitte hinzu.
Sechs Forschungsprojekte im Morgenpost-Porträt
Wir stellen Ihnen hier sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des BIH und ihre Forschungsprojekte vor:
Petra Ritter ist Professorin für Gehirnsimulation. In ihrer Arbeitsgruppe werden am Computer digitale Modelle menschlicher Gehirne gebaut. Mit den Avataren lassen sich Aktivitäten im Gehirn nachbilden. Das ist insbesondere für die Behandlung neurologischer Erkrankungen wie Parkinson, Demenz oder Epilepsie von großer Bedeutung. Das Porträt über Petra Ritter lesen Sie hier.
Professor Hendrik Schmidt ist Experte für die Biomechanik der Wirbelsäule. Seine Forschungsgruppe will neue Erkenntnisse gewinnen, wie Schmerzen im unteren Rückenbereich entstehen. Ziel ist, die Diagnose und damit auch die Therapie zu verbessern. Dazu leitet Hendrik Schmidt eine große Studie. Das Porträt über Hendrik Schmidt lesen Sie hier.
Sylvia Thun ist Ärztin und Diplomingenieurin. Die Professorin leitet am BIH die Arbeitsgruppe für Digitale Medizin und Interoperabilität. Ihr Ziel ist es, Daten aus der medizinischen Versorgung und Forschung besser zu vernetzen, um den reibungslosen Austausch der Daten zwischen wissenschaftlichen Disziplinen, Organisationen und Ländern zu gewährleisten. Das Porträt über Sylvia Thun lesen Sie hier.
Professor Tobias Winkler forscht zu Arthrose – die häufigste Gelenkerkrankung weltweit. Mit seinem Team entwickelt der Orthopäde und Unfallchirurg neue Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Dabei finden auch Ergebnisse der Zellforschung Anwendung. Winkler koordiniert ein internationales, von der EU gefördertes Forschungskonsortium zu Arthrose. Das Porträt über Tobias Winkler lesen Sie hier.
Professorin Birgit Sawitzki ist Immunologin und erforscht das Zusammenspiel von Immunzellen bei schweren Entzündungsreaktionen, wie sie etwa bei einer Covid-19-Infektion auftreten können. Die Biochemikerin möchte neue Behandlungsoptionen eröffnen, indem sie fehlgesteuerte Immunprozesse aufdeckt, die sich dann gezielt beeinflusst lassen. Das Porträt über Birgit Sawitzki lesen Sie hier.
Professor Christian Conrad leitet am BIH die Abteilung für intelligente Bildgebung. Mithilfe modernster Mikroskopie und Künstlicher Intelligenz werden große Mengen an Zellen, Gewebeschnitten oder Tumorproben automatisch ausgewertet, um molekulare Vorgänge im Gewebe zu entschlüsseln. Das ist vor allem für die Krebsforschung unerlässlich. Das Porträt über Christian Conrad lesen Sie hier.
Und Charité-Chef Heyo Kroemer erläutert im Morgenpost-Interview, wie wichtig das Prinzip der Translation für unser Gesundheitssystem ist und welchen Stellenwert das BIH für die Charité hat. Das Interview mit Heyo Kroemer lesen Sie hier.