Berlin. Fernwärme ist als mögliche Lösung für die grüne Versorgung von Bestandsbauten in aller Munde. Berlin hat für die Umstellung dieser Energie-Infrastruktur weg von fossilen Brennstoffen gute Voraussetzungen, weil die Stadt über das weitaus größte Fernwärmenetz in Deutschland mit 1,4 Millionen angeschlossenen Haushalten verfügt. Viele Hauseigentümer besonders in der Innenstadt müssen sich also nicht selbst darum kümmern, wie ihr Gebäude bis 2040 ohne Gas, Öl oder Kohle beheizt werden kann.
Berlins größter Fernwärmeanbieter, die Wärme-Tochter des schwedischen Vattenfall-Konzerns, hat mit der Transformation begonnen und zudem weitere Pläne vorgelegt, wie sie in ihren Heizkraftwerken Gas durch grünen Wasserstoff ersetzen will. Aber im Südosten Berlins ist die weitaus kleinere BTB dem Tanker Vattenfall schon einige Schritte voraus, obwohl sich der Start wegen Corona, Ukraínekrieg und Lieferschwierigkeiten um rund ein Jahr verzögert hat.
Zwei große Wärmepumpen entziehen dem Flusswasser Wärme
Die Tochter des Energiekonzerns EON hat am Freitag in Betrieb gesetzt, was bei Vattenfall am Standort Reuter West noch im Bau ist: Zwei große Wärmepumpen, die im Heizkraftwerk Schöneweide die Spree anzapfen, dem Flusswasser Wärme entziehen, diese ins eigene, 170 Kilometer lange Fernwärmenetz abgeben und das um vier Grad abgekühlte Wasser wieder in den Fluss zurückleiten. Je wärmer die Spree ist, desto größer ist das Potenzial der Wärmepumpe.
Die beiden baugleichen Anlagen des bayerischen Herstellers Friotherm gehören zu den größten ihrer Art in Deutschland. Sie wiegen jeweils 42 Tonnen, sind sind neun Meter lang und fünf Meter breit. Als sie im vergangenen Jahr angeliefert wurden, steckten die Schwertransporte einige Tage wegen Genehmigungsschwierigkeiten in Süddeutschland fest.
Die Wärmepumpen arbeiten in einem System mit Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen
In den Monaten zwischen April und September sollen die beiden Pumpen mit je 3.500 Kilowatt thermischer Leistung zukünftig rund ein Drittel des Sommerwärmebedarfs der Kunden im Fernwärmenetz mittels Umweltwärme aus der Spree decken. Sie steuern die geforderte Komponente aus erneuerbaren Energien für das neue System bei.
„In Kombination mit vier neuen, hocheffizienten Kraft-Wärme-Koppelungs-Anlagen und einem elektrischen Wärmeerzeuger im Heizkraftwerk Adlershof bilden die Systeme ein nachhaltiges, kraftvolles Paket für mehr grüne Fernwärme im Südosten Berlins“, erklärte das Unternehmen. Die Anlagen hätte eine Gesamtleistung von 30 Megawatt thermisch, also Wärme, und 18 Megawatt elektrisch. Sie lieferten Wärme für 7000 Vier-Personen-Haushalte und Strom für rund 15.000 Haushalte. Jährlich werden so 14.000 Tonnen Kohlendioxid eingespart.
Im kommenden Jahr will die BTB in Schöneweide auf den Brennstoff Kohle verzichten
2024 will die BTB in Schöneweide dann auf den Brennstoff Kohle verzichten. „Wir leiten mit der Umweltwärme aus der Spree den Kohleausstieg und den langfristigen Pfad der vollständigen Dekarbonisierung am Standort Schöneweide ein“, so BTB-Geschäftsführer David Weiblein. Der Standort soll mit einem Mix aus verschiedenen umweltfreundlichen Energieerzeugungsanlagen zu einem modernen Energiepark umgebaut werden. BTB-Chef Weiblein bezifferte kürzlich bei einer Branchen-Fachtagung die Investitionskosten für den Umbau des Systems auf 70 Millionen Euro. Das Unternehmen hofft, sein Know-how in der Kombination verschiedener Anlagen für eine erneuerbare Energieversorgung auch an anderen Orten in Berlin einbringen zu können.
Für Berlins Politik ist das BTB-Projekt auch deswegen wichtig. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) kam am Freitag zur Inbetriebnahme. Zuvor hatte sie noch als Regierende Bürgermeisterin im Januar die BTB besucht. Die Senatorin hat in den vergangenen Monaten die Wärmewende in der Stadt zu einem ihrer wichtigsten Projekte gemacht. „Sie hat das Thema verstanden und kümmert sich“, sagte lobend ein führender Berliner Energiemanager.
Die BTB gehört Eon, dem industriellen Partner Berlins für die Vattenfall Wärme
Das Interesse an den Vorhaben der kleinen BTB kommt nicht von ungefähr. Die Konzernmutter Eon ist der wichtigste Verbündete des Landes bei dem Versuch, das große Fernwärmesystem von Vattenfall zurückzukaufen. Giffeys Vorgänger im Wirtschaftsressort Stephan Schwarz (parteilos) hatte in der früheren rot-grün-roten Koalition vehement dafür geworben, das anspruchsvolle Rekommunalisierungsvorhaben nicht ohne einen leistungsfähigen industriellen Partner anzugehen.
Das gefiel zunächst aus unterschiedlichen Gründen nicht allen Politikern von SPD, Grünen und Linken. Manche misstrauen dem Energiekonzern, glauben nicht, dass Eon wirklich eine fossilfreie Zukunft anstrebt. Andere würden die erhofften künftigen Gewinne aus dem Fernwärmenetz lieber allein für die Landeskasse fließen lassen.
Die Verkaufsverhandlungen um Berlins großes Fernwärmenetz laufen streng geheim
Schwarz und GIffey schalteten in Sachen Transformation des Energiesystems aber auf Kooperation mit der Wirtschaft um. Jahrelang hatte sich der Senat mit Vattenfall und der Gasag erbittert gestritten über die Konzessionen für das Gas- und das Stromnetz. Für Fernwärme hingegen gelang es nicht, eine grundsätzliches Recht der Einflussnahme der öffentlichen Hand zu sichern. Als Vattenfall dann bekannt gab, die Berliner Fernwärme verkaufen, bekundete Berlin sein Interesse und gab seine Kooperation mit Eon bekannt. Inzwischen mussten verbindliche Angebote abgegeben werden, heißt es. Aber alle Einzelheiten des Verfahrens sind streng geheim. Giffey verweist bei Nachfragen stets auf die abgegeben Verschwiegenheitserklärung.