Berlin. Ein breites Bündnis von Verbänden und Vertretungen fordert die Berliner Politik und Unternehmen auf, familienfreundlichere Bedingungen zu schaffen. In einer gemeinsamen Deklaration haben am Mittwoch der Berliner Beirat für Familienfragen, der Deutsche Gewerkschaftsbund Bezirk Berlin-Brandenburg, die Handwerkskammer Berlin, die Industrie- und Handelskammer Berlin und die Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ihre Forderungen und Ziele festgelegt.
Ihre Absicht ist, sich für eine familienfreundliche und geschlechtergerechte Arbeitswelt in Berlin einzusetzen. Das Streben nach besseren Arbeitsbedingungen hat aber auch einen ganz eigennützigen Grund: In Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels stellt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen Standortfaktor dar, der für oder gegen Berlin sprechen kann, wie Alexander Schirp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, betont: „Familienfreundliche Arbeitsbedingungen sind für unsere Unternehmen heute das A und O. Denn Fachkräfte legen großen Wert auf Flexibilität und Individualität.“ Darum brauche die Wirtschaft ein neues Arbeitszeitgesetz mit weniger starren Regeln. Und auch Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, glaubt: „Der Wirtschaftsstandort Berlin wird nur dann auch zukünftig erfolgreich sein, wenn alles unternommen wird, um die Rahmenbedingungen für eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf zukunftssicher aufzustellen.“
Ein Punkt ist schlechter geworden in den vergangenen fünf Jahren
Die Deklarationspartner wollen zukünftig verstärkt zusammenarbeiten, um die Vereinbarkeit für Familien zu verbessern. Gleichzeitig fordern sie aber auch von der Politik auch Unterstützung in drängenden Themen wie dem Wohnungsbau und der Betreuung sowie Pflege.
In den vergangenen fünf Jahren seit der letzten Deklaration sei vieles besser geworden, sagt Unternehmensverbände-Sprecher Carsten Brönstrup, aber die Pandemie habe gerade im Bereich der Betreuung und Pflege viele Arbeitskräfte ausgelaugt und enttäuscht von schlechter Entlohnung abwandern lassen. „Zudem arbeiten die Kräfte im Erzieher-Beruf sowieso nur durchschnittlich fünf Jahre nach ihrer Ausbildung in diesem Beruf“, sagt Brönstrup. Die Forderung des Bündnisses: Die Betreuung von Kindern müsse „sowohl quantitativ als auch qualitativ“ verbessert werden. Gemeint sind da zum Beispiel auch Betreuungsangebote in den sogenannten Randzeiten.
Mehr Männer in der Care-Arbeit
Zudem müssten auch Arbeitnehmer, die etwa ihre Eltern pflegen, entlastet werden können, findet DGB Berlin-Vorsitzende Katja Karger: „Wichtig ist aber auch eine Unternehmenskultur, in der die Pflege von Angehörigen offen thematisiert und ernst genommen wird. Und schließlich müssen wir als Gesellschaft dahin kommen, dass Männer zukünftig eine Hälfte der Care-Arbeit übernehmen.“
Bisher leisten in Deutschland Frauen 80 Prozent der Sorgearbeit, zu der neben dem Aufziehen von Kindern alles rund um die Haushaltsführung gehört. Männer dagegen erledigen nur 20 Prozent der Care-Arbeit. Diese Lücke bezeichnet man als Gender Care Gap. Unternehmen müssten flexiblere und familienfreundlichere Arbeitszeiten sicherstellen und zudem die Rahmenbedingungen so verbessern, dass sich diese Lücke verringert, sagt Karger.
Mit offener Unternehmenskultur fördere man Gleichstellung, findet sie. „Damit Frauen nicht in der Teilzeitfalle landen“, so Karger. Jürgen Wittke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Berlin, sieht auch im Handwerk den Bedarf nach mehr weiblichen Kräften, gerade in Zeiten der Energiewende. „Im Handwerk fehlen mehr und mehr Fachkräfte. Insbesondere in den Klimaberufen braucht es dringend mehr helfende Hände.“
Nicht nur die Arbeitsbedingungen müssen besser werden
Doch nicht nur mit besseren Arbeitsbedingungen ist es getan, auch beim Wohnen muss etwas geschehen, findet das Bündnis: Damit Berlin wieder ein attraktiver Wohnort für Familien werde, brauche es bezahlbaren und bedarfsgerechten Wohnraum, heißt es in der Deklaration.
Kazým Erdoðan, Vorsitzender des Berliner Beirats für Familienfragen, wendet sich mit einer Forderung direkt an die Politik: „Es leben auch immer mehr Familien in beengten Wohnverhältnissen. Wohnen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das sind die größten Herausforderungen für Familien in Berlin. Hier müssen mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Situation zu verbessern.“