Gesundheitswesen

Corona: Long Covid in Berlin – Experten schlagen Alarm

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Joachim Fahrun
Corona-Folgen: Risiko für neurologische Erkrankungen erhöht

Corona-Folgen: Risiko für neurologische Erkrankungen erhöht

Eine der bislang größten Studien zeigt, welche Schäden und Probleme eine Covid-Erkrankung zu Folge haben kann.

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Experten gehen von Tausenden Langzeit-Opfern der Pandemie aus. Wer Unterstützung sucht, muss häufig einen "Ärztemarathon" absolvieren.

Berlin.  Die Corona-Pandemie wirft weiter ihren langen Schatten auf Berlins Patientinnen und Patienten sowie das Gesundheitswesen. Für die geschätzt 75.000 Personen, die in Berlin an den langfristigen gesundheitlichen Folgen einer Covid-Infektion leiden, gibt es viel zu wenig Hilfsangebote und Behandlungsmöglichkeiten. Die bestehenden Anlaufstellen sind von Krankenkassen, Bund und Land nicht ausreichend finanziert und stark überlastet. So lautet das Fazit nach einer Anhörung von Expertinnen und Experten zu Long-Covid im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag.

Für Patienten gebe es lange Wartezeiten, sagte Carmen Scheibenbogen. Die Professorin leitet an der Universitätsklinik Charité die Immundefekt-Ambulanz: „Die Versorgungslage der chronisch und schwer kranken Menschen ist schlecht“, sagte die Medizinerin. Die meisten litten an Erschöpfung (Fatigue-Syndrom). Aber auch anhaltenden Entzündungen, Konzentrationsschwächen und psychischen Probleme können auftreten, auch wenn die Beschwerden bei den meisten Menschen nach einigen Monaten ausheilen.

Krankenhäuser bekommen kein zusätzliches Geld das Thema Long Covid

Die Charité bekomme keine zusätzliche Finanzierung für Diagnose und dieser „komplexen Krankheiten“, klagte die Professorin. Zudem benötige die Ambulanz Unterstützung beim Aufbau und der Koordination eines Netzwerks aus Kliniken und Arztpraxen auch in Brandenburg. „Wir machen das derzeit alles On-Top“, sagte Siebenmorgen.

Weitere Forschung und Medikamente zu Long-Covid seien nötig. „Wir brauchen dringend auch Zahlen“, sagte die Charité-Ärztin Scheibenbogen. Sie selbst könne diese wichtigen Daten nicht liefern: „Wer soll die erheben?“, fragte die Medizinerin mit Blick auf ihr kleines Team, das allein schon durch die oft bis zu 50 Minuten dauernden Erstgespräche mit Patienten überlastet sei.

Schwer kranke Menschen kriegen an der Charité erst in einem halben Jahr Termine

Der Datenschutz verbiete zu medizinischen Themen eine Kommunikation per E-Mail, berichtete die Ärztin. Zudem sei es sehr belastend, schwerkranken Menschen am Telefon sagen zu müssen, dass sie erst in einem halben Jahr einen Termin bekämen. Viele hätten wegen der komplexen Beschwerden einen „Ärztemarathon“ hinter sich. Viele lägen zu Hause, wo sie von niedergelassenen Ärzten nicht erreicht würden, weil es kaum noch Hausbesuche gebe. Ihre Ambulanz sei vor allem als Lotse wichtig, um Patienten zu den richtigen Hilfsangeboten zu lenken. Für diese Funktion habe sie seit 2021 schon zweimal beim Senat um Finanzierung gebeten, so Siebenmorgen, sei aber stets leer ausgegangen. „Da müsste dringend was passieren für die viele Betroffenen in Berlin.“

Sie allein habe schon mehr als 1000 Menschen mit unterschiedlichen Post-Covid-Symptomen gesehen. Experten gehen davon aus, dass drei Monate nach einer Corona-Infektion noch fünf Prozent der Menschen gesundheitliche Probleme hätten. 2022 habe es deutschlandweit eine halbe Million solcher Diagnosen gegeben. Die meisten Long-Covid-Fälle stammten aus der zweiten Corona-Welle, als Impfungen noch nicht verfügbar waren.

Die Welle der Long-Covid-Erkrankungen wird noch viele Jahre durchs Land rollen

Zu den Long-Covid-Fällen werden auch die Menschen mit Schäden durch die Corona-Impfung gezählt. Deren Zahl bewege sich aber im niedrigen Promillebereich aller Geimpften, sagte Bernhard Schiefer von der Universitätsklinik Marburg, dennoch seien es ebenfalls viele. Der Professor beklagte einen „Wildwuchs der Therapieangebote“ zu Long-Covid. Es fehlten Qualitätsstandards und abgestimmte Versorgungsstrukturen, wie es sie bei anderen Krankheitsbildern überall in Deutschland gebe. „Wir stehen am Anfang einer Welle, die uns noch eine ganze Weile beschäftigen wird“, sagte Schiefer. Ihn werde das Thema sicher noch bis zu seinem Ruhestand verfolgen. Der Kardiologe ist 58 Jahre alt.

Viele Long-Covid-Patienten leiden so stark, dass sie in eine Reha oder sogar ganz in Rente gehen müssen. Beate Schmucker von den Kliniken der Berufsgenossenschaften, zu denen in Berlin das Unfallkrankenhaus Marzahn (UKB) gehört, berichtete von zahlreichen Fällen, in denen Covid und die Spätfolgen als Berufskrankheit anerkannt worden sind.

Gesundheitssenatorin will in Haushaltsverhandlungen Geld für Long-Covid beantragen

Allein für Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen, die sich bei der Arbeit angesteckt haben, waren das in Deutschland bisher 325.000. Hinzu kämen 25.000 Menschen aus der Gastronomie oder den Schulen. Nur die wenigsten davon seien dauerhaft krank. Aber allein 300 Menschen hätten im UKB den zehntägigen stationären Post-Covid-Checkup gemacht.

Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) nannte das Leiden vieler Long-Covid-Patienten „ein Drama“. Sie sagte zu, sich in den Haushaltsverhandlungen für die „in Rede stehenden Belange“ einzusetzen.