Judenfeindlichkeit

Antisemitismus: Jeden Tag zwei Vorfälle in Berlin

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Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte zu sehen (Archivbild).

Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte zu sehen (Archivbild).

Foto: Daniel Reinhardt / dpa

848 antisemitische Vorfälle sind in Berlin im vergangenen Jahr von einer Informations- und Beratungsstelle registriert worden.

Berlin. Ein Davidstern in einer Hakenkreuzflagge, Kommentare in den Sozialen Netzwerken, die Juden den Tod wünschen, oder ein Mann mit Kippa, der geschlagen, angespuckt und gedemütigt wurde: Insgesamt 848 antisemitische Vorfälle hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) für das vergangene Jahr in Berlin registriert.

Das sind zwar knapp 20 Prozent weniger als noch 2021 (1052). Bei der Gewalt gab es jedoch keinen Rückgang, wie es am Mittwoch bei der Vorstellung des RIAS-Jahresberichts hieß.

So wurden 2022 insgesamt 21 Angriffe und ein Fall extremer Gewalt erfasst. Im November wurden zwei Männer, die angeblich „Free Israel“ gerufen haben sollen, aus einer Gruppe von fünf bis zehn Personen mit Baseballschlägern, Messern und Pfefferspray attackiert. Ein Man wurde dabei schwer verletzt. Eine Vorbeziehung hatten Täter und Opfer nicht.

Fast 60 Prozent der Fälle waren Beleidigungen im Internet

„Das sind keine alltäglichen Phänomene, aber gravierende Vorfälle, die negative Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden in Berlin haben“, sagte Julia Kopp von RIAS.

Daneben wurden 31 Sachbeschädigungen und 24 Drohungen sowie zahlreiche Fälle antisemitischer Äußerungen etwa auf Pro-Palästina-Demonstrationen erfasst. Knapp ein Drittel der Äußerungen bezog sich dabei auf Israels Politik im Nahen Osten.

Bei insgesamt 483 der erfassten Vorfälle (57 Prozent) handelte es sich um Beschimpfungen im Internet über soziale Netzwerke oder per Mail. Einige davon richteten sich gegen einzelne Personen, der Großteil jedoch gegen jüdische und israelische Institutionen.

Fast 80 Vorfälle hatten Bezug zum Ukraine-Krieg

Die Beleidigungen und Übergriffe außerhalb der digitalen Welt würden laut Bericht zumeist aus Zufallsbegegnungen resultieren, hieß es weiter. Die Täter würden dabei auf israelische oder jüdische Symbole wie eine Kippa reagieren oder darauf, dass jemand Hebräisch spricht. 76 der Vorfälle hätten einen Bezug zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gehabt. Das zeige die hohe Anpassungsfähigkeit von Antisemismus, hieß es.

Antisemitismus sei „in allen Bezirken und allen Milieus“ zu beobachten gewesen, so Kopp weiter. Die meisten Fälle waren dabei mit 111 in Mitte zu verzeichnen, gefolgt von Pankow (54), wo die Zahlen seit Jahren kontinuierlich ansteigen.

Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde Berlin betonte die hohe Dunkelziffer. Acht von zehn Fällen würden nicht gemeldet. „Antisemitismus wird immer wieder negiert und bagatellisiert und wer es benennt, sieht sich häufig dem Vorwurf der Zensur oder der Einschränkung der Kunstfreiheit ausgesetzt.“

Demonstrationsverbote machen Antisemitismus nur „weniger sichtbar“

Die Berliner Polizei untersagte in den vergangenen Jahren immer wieder pro-palästinensische Demonstrationen, auf denen sie antisemitische Straftaten erwartete. „Das hat Antisemitismus nicht reduziert, sondern hat ihn nur kurzfristig weniger sichtbar gemacht“, sagte RIAS-Projektleiter Benjamin Steinitz. Zuletzt seien Personen stattdessen mit antisemitischen Plakaten vor das jüdische Museum gezogen.

In Berlin sammeln verschiedene staatliche Institutionen und private Initiativen Statistiken zu Antisemitismus, darunter auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft. RIAS wurde 2015 gegründet und wird vom Senat mitfinanziert. CDU, SPD, Grüne und Linke im Abgeordnetenhaus verurteilten „jede Anfeindung gegen Juden und Jüdinnen“ und betonten die Wichtigkeit des „selbstverständlichen jüdischen Lebens in unserer Stadt“.

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