Berlin. Und plötzlich brach sich der Hass doch Bahn am diesjährigen Tag der Befreiung. Der Zorn nahezu der gesamten Menge am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park ergoss sich am Dienstag wie aus einer Kehle auf drei pro-ukrainischen Aktivisten, die sich als Mitglieder der russischen Opposition bezeichneten, „Slawa Ukrajini“ („Ruhm der Ukraine“) sangen und ukrainische Fahnen vor dem größten Denkmal seiner Art in Deutschland schwenkten.
„Nazis aus!“, wurde ihnen entgegen geschleudert sowie „Scheiß Ukraine!“ und „Scheiß Selenskyj!“. Bis die Berliner Polizei die Aktivisten zu ihrer eigenen Sicherheit schließlich von dem Gedränge wegeskortierte. Es waren Auseinandersetzungen wie diese, die die Hauptstadtpolizei im Vorfeld aufgrund der nach wie vor aktuellen russischen Invasion der Ukraine für den 78. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozialismus befürchtet hatte. 1300 Beamtinnen und Beamte waren dementsprechend für die 15 angemeldeten Versammlungen an diesem zweiten Gedenktag im Einsatz.
8. Mai: Verbot russischer Flaggen sorgt für Unmut
Während die meisten der mehreren Hundert Besucher des Denkmals an der Puschkinallee friedlich blieben, Kränze und Blumen niederlegten und an Kundgebungen teilnahmen, kam es hier und da auch zu Auseinandersetzungen und Pöbeleien. Der größte Streitpunkt war dabei mit Abstand die Frage nach dem am Montag vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigten Verbot russischer Flaggen und Symbole wie dem Sankt-Georgs-Band und den Buchstaben Z und V.
„Warum dürfen die Ukrainer ihre Flaggen zeigen und wir nicht?“, donnerte ein junger Mann einer Polizistin entgegen. „Das hier ist sowjetisches Gelände und wir Russen sind die Nachfolger der Sowjetunion.“ Die Ukrainer würden nur provozieren, bestätigte eine ältere Dame mit dem Sankt-Georgs-Band am Revers, es sei unfair, dass diese bevorzugt behandelt werden würden.
Ganz anders sah das die 28-jährige Ukrainerin Luidmilla, die ihre Nationalfarben auf einem T-Shirt gedruckt trug. „Ich bin nur hier, um der gefallenen ukrainischen Soldaten zu gedenken und werde hier von den Russen einfach so als Rassistin und Faschistin beschimpft, ohne dass jemand etwas dagegen macht.“
Berliner Polizei wollte eigentlich jegliche aktuelle Symbolik untersagen
Die Polizei hatte ursprünglich wie im Vorjahr sowohl russische als auch ukrainische Flaggen, Symbole und Lieder für die Gedenktage untersagen wollen. Das Verwaltungsgericht Berlin hob jedoch im Eilverfahren am Wochenende das Verbot ukrainischer Symbole auf – was die Polizei akzeptierte.
Eine weitere Entscheidung des Gerichts, wonach auch das Verbot russischer Symbole nicht mehr gelten sollte, focht sie hingegen erfolgreich an. Die Polizei kontrollierte die Menschen in diesem Sinne am Dienstag vor dem Betreten der Ehrenmahl-Bereiche und konfiszierte die untersagten Utensilien, bis diese die Gelände wieder verließen.
Kritik an diesen gerichtlichen Entscheidungen hatte im Vorfeld bereits die Polizeigewerkschaft geäußert. „Die Stimmung ist durch den russischen Angriffskrieg ohnehin aufgeheizt, so dass schon kleine Provokationen zum Beispiel in Form einer Flagge das Fass zum Überlaufen bringen können“, meinte Gewerkschaftssprecher Benjamin Jendro am Sonntag. Dennoch blieben die Veranstaltungen nach Polizeiangaben bis zum Nachmittag „weitgehend störungsfrei und weniger emotional als im vergangenen Jahr“.
Auch Russischer Botschafter legte Kränze nieder
Für Gäste der russischen Delegation galt das Verbot indes nicht. Bei der Veranstaltung im Treptower Park waren daher auch vereinzelt russische Flaggen zu sehen. Die Menschen hätten bei Überprüfungen der Delegation zugeordnet werden können, erklärte ein Polizeisprecher.
Auch die Russische Botschaft gedachte am Dienstag der getöteten sowjetischen Soldaten an den sowjetischen Ehrenmälern in Treptower Park und Tiergarten. Botschafter Sergej J. Netschajew legte dort Kränze nieder. Rund 400 Menschen nahmen nach Polizeiangaben an dieser Aktion teil.
Hunderte Menschen erinnerten zeitgleich mit einem Gedenkmarsch vom Brandenburger Tor über die Straße des 17. Juni zu dem Ehrenmal an die gefallenen Soldaten. Nach ersten Schätzungen sprach die Polizei hier von etwa 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
„Nachtwölfe“ durften nicht im Corso anreisen
Sorgen gemacht hatten aus Tschechien angereiste Sympathisanten der russisch-nationalistischen Rockergruppe „Nachtwölfe“. Diese mussten vor dem Betreten der Ehrenmale ihre tschechischen Fahnen abgeben, wie die Polizei bestätigte. Als Grund nannte sie die Ähnlichkeit zur russischen Flagge, vor allem im zusammengefalteten Zustand. Auch Kutten, auf denen verbotene Symbole zu sehen waren, mussten abgelegt werden.
Weitere Rocker aus Deutschland waren am Mittag ebenfalls in Berlin eingetroffen. Für diese gebe es „aus verkehrstechnischen Gründen“ keine geschlossene Anfahrt, erklärte ein Polizeisprecher. Bedeutete: Die unter Hundert so genannten Putin-Rocker durften nicht im Corso anreisen, sondern mussten die Gedenkstätten in einzelnen Kolonnen ansteuern.
Treptower Park: „Nachtwölfe“ werden wie Stars begrüßt
Die „Nachtwölfe“ gelten als Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seiner aggressiven Kriegspolitik. An den Ehrenmalen selbst wurden sie von einigen Besuchern wie Stars begrüßt, erhielten Blumen geschenkt und wurden schnell zu einem beliebten Selfie-Motiv. „Unglaublich“, kommentierte das eine geschockte Passantin.
Die Wehrmacht hatte nach dem von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg am 8. Mai 1945 kapituliert. Weil die nächtliche Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde nach Moskauer Zeit aber auf den 9. Mai fiel, wird in Russland und in vielen Nachfolgestaaten der Sowjetunion der Tag des Sieges traditionell an diesem Tag begangen.