Berlin. In der Berliner Landespolitik sind am Sonntag entscheidende Weichen gestellt worden. Die SPD-Mitglieder in der Hauptstadt haben über den Koalitionsvertrag mit der CDU abgestimmt.
Eine knappe Mehrheit hat sich dabei für eine schwarz-rote Koalition in der Hauptstadt. Der Berliner SPD-Vorsitzende Raed Saleh bestätigte am Sonntagnachmittag entsprechende Medienberichte. Demnach haben 54 Prozent der SPD-Mitglieder für die große Koalition unter einem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) gestimmt. 45,7 Prozent der Mitglieder stimmten dagegen.
Berlins Noch-Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey wertete das Ergebnis als Erfolg. "Ich bin erleichtert für die SPD und die Stadt", sagte Giffey.
Giffey stört sich nicht an dem knappen Ergebnis
Dass die Mehrheit für eine CDU-SPD-Koalition nur knapp über 50 Prozent liegt, stört die Regierende Bürgermeisterin nicht. „Es liegen neun Prozent zwischen Ja- und Nein-Stimmen. Das ist eindeutig“, sagte Giffey. Nun könne der politische Stillstand in der Stadt beendet werden. Ein Nein der SPD-Mitglieder hätte dazu geführt, dass die Berliner Landespolitik auch in den kommenden Monaten gelähmt worden wäre.
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Das Votum der Partei sei eine Richtungsentscheidung nicht nur für die kommenden Jahre, sondern für das ganze Jahrzehnt. „Wir werden jetzt arbeiten für Berlin.“ Co-Parteichef Raed Saleh bewertete das Ergebnis ähnlich. „Dass 54,3 Prozent sagen, wir unterstützen den Weg, ist ein starkes Signal. „Jetzt liegt es an uns zu zeigen, dass die Entscheidung richtig und wichtig ist.“
Saleh: "Der Vertrag trägt die komplette Handschrift der SPD"
Saleh kündigte an, auch die Skeptiker und die Gegner der Koalition mit der CDU einbinden zu wollen. Am Ende werde es darauf ankommen, dass das politische Handeln stimme. Der Koalitionsvertrag sei dafür eine gute Grundlage. „Der Vertrag trägt die komplette Handschrift der SPD“, sagte Saleh.
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In den vergangenen Wochen hatten die Parteispitzen von CDU und SPD einen gemeinsamen Koalitionsvertrag ausgehandelt, der den SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt wurde. Von den 18.555 Berliner SPD-Mitgliedern nahmen 11.886 teil. Das entspricht 65 Prozent. Das notwendige Quorum von 20 Prozent wurde bereits frühzeitig erreicht. Von den 11.379 gültigen Stimmen, votierten 6179 mit ja, 5200 stimmten gegen ein Bündnis mit der CDU.
Saleh räumte ein, dass es der Partei nicht leicht gefallen sei, das Rote Rathaus nach 23 Jahren an die CDU abzugeben und als kleiner Regierungspartner in die Koalition einzutreten. Vielen Mitgliedern falle es schwer, Kai Wegner ins Amt zu verhelfen. Am Ende hoffe die Partei, „aus der Regierungsbeteiligung heraus wieder stärker zu werden“, sagte Giffey.
Koalition mit CDU war bei der SPD umstritten
Die CDU hatte die Berlin-Wahl 2023 am 12. Februar gewonnen. Sie erreichte 28,2 Prozent der Stimmen. SPD und Grüne landeten mit jeweils 18,4 Prozent dahinter. Die Linke erhielt 12,2 Prozent, die AfD 9,1. Die FDP scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde und ist nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten.
Die Koalition mit der CDU war bei den Sozialdemokraten umstritten. Mehrere Landesverbände und die Nachwuchsorganisation Jusos hatte sich dagegen ausgesprochen. Sie sprachen sich stattdessen für eine Fortsetzung der bestehenden rot-grün-roten Koalition aus. Auch eine schwarz-grüne Koalition würde über eine Regierungsmehrheit verfügen, am Ende entschied sich CDU-Chef Kai Wegner allerdings dagegen.
CDU entscheidet auf Parteitag über Koalitionsvertrag
An diesem Montag trifft sich die CDU zu einem Landesparteitag. Die Zustimmung zur Koalition mit der SPD gilt dabei als Formsache. Gleichzeitig wollen CDU und SPD ihre Kandidaten für die zehn Senatorenposten vorstellen.
Bei der CDU gilt als sicher, dass Katharina Günther-Wünsch das Bildungsressort übernimmt, der bisherige Generalsekretär Stefan Evers Finanzsenator wird und der Spandauer Kulturmanager Joe Chiallo dem Linken-Politiker Klaus Lederer als Kultursenator folgt. Die bisherige Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau, Manja Schreiner, könnte das Mobilitätsressort von der grünen Spitzenkandidatin Bettina Jarasch übernehmen.
Bei der SPD übernimmt Giffey entweder das Stadtentwicklungsressort oder die Wirtschaft. Iris Spranger bleibt Innensenatorin und Cansel Kiziltepe wird Sozialsenatorin.
Grüne und FDP kritisieren Zustimmung der SPD-Mitglieder
Die Grünen kritisierten das Abstimmungsergebnis. Susanne Mertens, und Philmon Ghirmai, Landesvorsitzende der Grünen, teilten mit: "Mit ihrer Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit der CDU hat sich die SPD für den Rückschritt entschieden. Das knappe Ergebnis des Mitgliederentscheids zeigt, dass die schwarz-rote Koalition die Regierungsarbeit nicht mit Rückenwind aufnehmen wird. Das Rot-Grün-Rote Bündnis hat bundesweit einmalige Leuchtturmprojekte im Sinne eines gerechten, ökologischen und weltoffenen Berlins umgesetzt. Den Erfolgen der letzten Jahre – etwa in der Sozial-, Gesellschafts-, Klima- oder Mobilitätspolitik – droht nun die Rückabwicklung. Für Berlin ist das schmerzlich. Die Rolle der Oppositionsführung nehmen wir an und werden die Arbeit des Wegner-Senats in den kommenden Jahren kritisch begleiten."
Die Noch-Verkehrssenatorin Bettian Jarasch (Grüne) twitterte: "Ein guter Start ist das nicht. Rückenwind sieht anders aus. Die SPD hat sich sehr für den Rückschritt und gegen ein sozial und ökologisch gerechtes, weltoffenes Berlins ausgesprochen. Wir nehmen die Rolle der Oppositionsführung an."
Linke: "Kein guter Tag für unsere Stadt"
Katina Schubert, Landesvorsitzende der Berliner LINKEN, und Anne Helm und Carsten Schatz, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion Berlin, erklärten: „Heute ist kein guter Tag für unsere Stadt. Berlin hat Besseres als eine schwarz-rote Ankündigungskoalition verdient, die keine wirklichen Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit hat und mit der ein soziales wie gesellschaftliches Rollback droht.
Das Ergebnis kann auch für die SPD-Spitze kein Anlass zum Jubeln sein, ist es doch alles andere als ein überzeugendes Bekenntnis zu einer Koalition mit der CDU. Es hat sich ja nicht nur eine sehr knappe Mehrheit dafür - es haben sich 46 Prozent der Berliner SPD-Mitglieder dagegen ausgesprochen, der CDU das Rote Rathaus zu überlassen. Das ist für uns Linke ein gutes, wichtiges Zeichen. Es gibt in unserer Stadt sehr viele Sozialdemokraten, die wissen, dass gemeinsames Regieren mit der CDU in Berlin noch nie etwas vorangebracht hat. Dafür stehen der Berliner Bankenskandal und die Zustände am Lageso 2016 ebenso wie Stillstand bei sozialem Wohnungsbau, bei der Verkehrswende und fehlende Investitionen in die öffentliche Infrastruktur.
FDP: Knappe Entscheidung "verheerendes Zeichen"
Auch von der FDP kam postwendend Kritik: „Die knappe Entscheidung des SPD-Mitgliederentscheids ist ein verheerendes Zeichen und zeigt, wie tief gespalten die SPD in Berlin ist", teilte der Landesvorsitzende Christoph Meyer mit. "Damit hat die Partei den Startschuss verpasst und beschädigt ihre Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh massiv. Dies betoniert ein „Weiter-so“ für die Hauptstadt – nur dieses Mal unter CDU-Führung. Statt Berlin endlich ins 21. Jahrhunderts zu katapultieren und das Image einer funktionierenden Stadt aufzudrücken, werden CDU und SPD die Hauptstadt in einer Zeitkapsel des Stillstands gefangen halten. Das hat die Stadt nicht verdient.“
VBKI mahnt SPD-Abgeordnete
Markus Voigt, Präsident des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI), erinnerte die Abgeordneten an ihre Verantwortung: "Das enge Ergebnis ist Ausdruck der inneren Spaltung der SPD in Umsetzungspragmatiker und Haltungsdogmatiker. Im Sinne einer konstruktiven Regierungsarbeit und zum Wohle unserer Stadt sollten diese Gräben überwunden werden.
Die Mitglieder der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus sind daher aufgefordert, das Ergebnis des Mitgliedervotums umzusetzen und am Donnerstag für die Koalition aus CDU und SPD und Kai Wegner als Regierenden Bürgermeister zu stimmen. Alles andere würde die Entscheidung der Basis ignorieren und für unsere Stadt eine ungewisse Zukunft bedeuten. Dies können wir uns angesichts der enormen Herausforderungen Berlins wie Verwaltungsmodernisierung, Wohnungsbau, Klimawandel und Mobilitätswende nicht leisten. Der neue Senat muss schnell ins Handeln kommen und in den nächsten gut drei Jahren zügig Lösungen anbieten.“
Enteignungsinitiative mit scharfen Worten
Die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" fand scharfe Worte: "Wir sind schockiert von dem Koalitionsvertrag, dem die SPD-Mitglieder heute mehrheitlich zugestimmt haben. Er zeugt (von) offener Ignoranz gegenüber dem demokratischen Auftrag der Berliner*innen zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Stattdessen wird dem Rassisten Kai Wegner und seinen Freund*innen aus der Immobilienlobby der rote Teppich ausgerollt. Alle in der SPD, und alle Menschen in dieser Stadt, die jetzt genauso wütend und enttäuscht sind von dieser Parteipolitik, sind herzlich eingeladen, bei uns mitzumachen. Als Stadtgesellschaft müssen wir uns jetzt sammeln und zusammentun gegen die mieter*innenfeindliche Politik der GroKo. Die Vergesellschaftung müssen wir in Zukunft gegen diese Regierung vorantreiben, und dafür wappnen wir uns. Unsere Kiezteams freuen sich auf euch!", so Constanze Kehler, Sprecherin der Initiative.