Berlin. Die sich anbahnende Koalition aus CDU und SPD ist entschlossen, die Ränder des Tempelhofer Feldes zu bebauen. Die Fach-Arbeitsgruppe hat einen entsprechenden Vorschlag an die Spitzen-Runde gegeben, die sich am Donnerstag mit dem Thema befassen soll. Wie allerdings das 2014 per Volksentscheid beschlossene Gesetz für ein freies Tempelhofer Feld verändert und was auf einem Teil des 300 Hektar großen Geländes entstehen soll, darüber gehen die Meinungen auch innerhalb des neuen Bündnisses auseinander. Der Vorschlag der Arbeitsgruppe dürfte in der bisherigen Form die Dachgruppe nicht passieren.
„Wir dürfen nicht vorschnell Fakten schaffen“, warnt der SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Raed Saleh. Bevor das Volksgesetz geändert werde, müsse man sich über den künftigen Weg für das gesamte Gelände verständigen. Saleh ist persönlich skeptisch, was eine Bebauung der Ränder betrifft. Er respektiert aber die Beschlusslage seiner Partei, die eine „behutsame Randbebauung“ favorisiert. Was auf der Freifläche passieren soll, müsse auf jeden Fall in einem großen Wettbewerb diskutiert und erst danach entschieden werden.
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Tempelhofer Feld: „Band der Solidarität“ mit Altenwohnen, Studierenden-Apartments und Reha-Kliniken
Saleh schlägt vor, neben Sozialwohnungen vor allem soziale Einrichtungen an den Rändern des Feldes anzusiedeln und solche Nutzungen zu bevorzugen, die immer wieder neuen Menschen zugute kommen. „Wir müssen dort in einem Band der Solidarität Angebote auch für kommende Generationen schaffen“, wirbt der SPD-Chef für seine Idee. Er denkt an Seniorenwohnungen, Demenz-Wohngemeinschaften, Behindertenwerkstätten, Hospize, Reha-Kliniken, Ärztehäuser, aber auch Apartments für Studierende und Geflüchtete sowie Schulen und Kitas. Es dürften aber auch Räume für junge Unternehmen und Start-Ups entstehen.
Der Plan ist, dass eben nicht nur Menschen die dort entstehenden neuen Wohnungen über Jahrzehnte mieten und erst recht nicht kaufen, sondern dass immer wieder neue Berlinerinnen und Berliner in den Genuss kommen können, neben der immer noch riesigen Grünfläche im Inneren des Feldes zu leben oder zu arbeiten. Das verbleibende Feld möchte Saleh mit einer „Ewigkeitsgarantie“ sichern und damit den Argwohn zerstreuen, die Fläche werde nun scheibchenweise zugebaut.
Ein großer Wettbewerb müsste die Gestaltung der gesicherten Grünfläche einbeziehen
Die Grünfläche müsse mit Bäumen, Bänken, Cafés Kinder-Planschen und auch Waldstücken aufgewertet werden. Nötig sei zudem, dass die neue Bebauung auf jeden Fall klimaneutral erfolge. Auf dem Dach des Flughafengebäudes schwebt dem SPD-Chef die größte Solaranlage der Stadt vor, auf dem Feld womöglich eine Geothermie-Anlage, um die Gebäude zu heizen. „Das ist ein Ort um zu zeigen, wie Nachhaltigkeit geht“, sagte Saleh.
Es sei aber notwendig, „den Berlinern das letzte Wort“ zu geben, stellte der SPD-Chef fest, gegen dessen Meinung in den Koalitionsverhandlungen wenig geht. 740.000 Wahlberechtigte hatten 2014 für den Gesetzentwurf der Bürgerinitiative 100 % Tempelhofer Feld gestimmt. Nur einmal ist das Gesetz bisher geändert worden, um nämlich den Bau von Wohncontainern für Geflüchtete am Columbiadamm zu ermöglichen. Zwar könnte eine Koalitionsmehrheit von CDU und SPD das Volksgesetz wie jedes andere Gesetz auch im Abgeordnetenhaus ändern. Aber politisch wird das auch in den absehbar künftigen Regierungsparteien für nicht opportun gehalten.
In jedem Fall soll das Volk gefragt werden, um das Volksgesetz zu ändern
Der designierte Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Kai Wegner (CDU) denkt deswegen über eine vom Senat initiierte Volksbefragung von oben nach. Seinem SPD-Gegenüber Saleh wäre es aber zu wenig, mit einem Plebiszit von oben das unliebsame Ergebnis eines Volksentscheides von unten korrigieren zu wollen. Saleh selbst hatte die Volksbefragung als Instrument mal ins Gespräche gebracht. Da ging es ihm aber eher um ein Meinungsbild zu grundsätzlichen stadtpolitischen Fragen. Ein Thema könnte etwa eine Olympia-Bewerbung sein, die ja in Städten wie Hamburg oder Garmisch-Partenkirchen schon mal vorangetrieben wurde, dann aber durch Volksentscheide gekippt worden war.
Darum müsste dem Volk das komplette neue Nutzungs- und Bebauungskonzept für das Feld zur Abstimmung vorgelegt werden, argumentiert Saleh. Die Landesverfassung zu verändern, sei dafür nicht möglich. Salehs Parlamentarischer Geschäftsführer und juristischer Berater Torsten Schneider hat in Berliner Gesetzen für die Bezirke einen Hebel entdeckt, der dies auch per einfacher Gesetzgebung erlauben könnte. Im bisher wenig beachteten Paragrafen 46 des Bezirksverwaltungsgesetzes steht ein Passus, der Bürgerentscheide von oben erlaubt, auch zum Beispiel über milliardenschwere Bauvorhaben.
Im Bezirksverwaltungsgesetz ist ein Plebiszit von oben vorgesehen
Im Absatz vier heißt es: „Die Bezirksverordnetenversammlung kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschließen, dass über eine Angelegenheit (….) ein Bürgerentscheid stattfindet.“ Bürgerentscheide entsprechen auf Bezirksebene Volksentscheiden im ganzen Land Berlin. Eine entsprechende Regel könnte das Abgeordnetenhaus auch auf Landesebene einführen, ist Schneider überzeugt.
In jedem Fall ist Saleh dagegen, es am Tempelhofer Feld zu überstürzen. Man könnte die Pläne entwickeln und sie dann zu den regulären Wahlen 2026 oder 2031 den Berlinerinnen und Berlinern zur Abstimmung vorlegen. Bis dahin gebe es genügend Wohnungsbaupotenziale, die die Stadt erschließen könnte.