Klima-Volksentscheid

Volksentscheid für ehrgeizigere Klimaziele gescheitert

| Lesedauer: 6 Minuten
Mitglieder des Bündnisses "Berlin 2030 Klimaneutral" reagierten enttäuscht auf das Ergebnis.

Mitglieder des Bündnisses "Berlin 2030 Klimaneutral" reagierten enttäuscht auf das Ergebnis.

Foto: dpa

Die Befürworter ehrgeizigerer Klimaziele und von Klimaneutralität schon 2030 verfehlten das Quorum. Erste Reaktionen aus der Politik.

Berlin.  Der Volksentscheid für ehrgeizigere Klimaziele in Berlin ist gescheitert. Die nötige Mindestzahl von Ja-Stimmen sei nicht erreicht worden, teilte die Landeswahlleitung am Sonntagabend mit.

Ein Bündnis „Klimaneustart“ wollte mit der Abstimmung eine Änderung des Landes-Energiewendegesetzes erreichen. Konkret sollte sich Berlin verpflichten, bis 2030 und nicht wie bislang vorgesehen bis 2045 klimaneutral zu werden.

Quorum lag bei 608.000 Ja-Stimmen

Nach Auszählung der Stimmen lagen die Befürworter zwar knapp vor den Gegnern einer solchen Gesetzesänderung. Damit wurde indes nur eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Volksentscheid erfüllt. Die zweite Voraussetzung, eine Zustimmungsquote (Quorum) von mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten, wurde indes verfehlt.

442.210 Ja-Stimmen standen laut vorläufigen Endergebnis 423.418 Nein-Stimmen gegenüber. Die Abstimmungsbeteiligung lag bei 35,8 Prozent. 50,9 Prozent der Wähler stimmten mit Ja, 48,7 Prozent mit Nein. Das Quorum für einen erfolgreichen Volksentscheid lag bei etwa 608.000 Ja-Stimmen.

Berlin beim Klima-Volksentscheid in Innen- und Außenbezirke gespalten

Beim Klima-Volksentscheid zeigt sich die Stadt ähnlich gespalten wie bei der Wiederholungswahl vor sechs Wochen: Die Wählerinnen und Wähler in den Innenstadtbezirken stimmten mehrheitlich für strengere Klimaziele, die Menschen in den äußeren Bezirken eher dagegen.

Laut Wahlleitung fand das Anliegen der Initiative „Klimaneustart“ in den sechs Bezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Pankow, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln eine Mehrheit. Ohne Mehrheit blieb es hingegen in den sechs Bezirken Spandau, Steglitz-Zehlendorf, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Reinickendorf.

Die höchste Zustimmungsquote verzeichnete Friedrichshain-Kreuzberg mit 76,7 Prozent. Den größten Anteil an Nein-Stimmen gab es in Marzahn-Hellersdorf mit 71,4 Prozent.

Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030: alle Infos in der Übersicht

Name Volksentscheid über
ein klimaneutrales Berlin
ab 2030
Ort Berlin
Termin 26. März 2023
Zeitraum 8 bis 18 Uhr
Wahlberechtigte 2.431.772 Personen
Wahlvoraussetzung in Berlin gemeldet, über 18 Jahre, deutsch
Erforderliche Ja-Stimmen 608.000 Stimmen

So reagiert die Berliner Landespolitik auf das Ergebnis

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) äußerte sich auf Twitter: Das Ergebnis zeige, dass die Mehrheit der Berliner:innen sehe, dass die Forderungen nicht umsetzbar gewesen wären, auch nicht, wenn sie in ein Gesetz gegossen worden wären. Man sei sich aber mit den Initiatoren und Unterstützern einig, dass der Kampf gegen den Klimawandel "eine unserer zentralen Aufgaben ist".

Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, gratulierten er Initiative zu einer "großartigen Kampagne für mehr Tempo beim Klimaschutz". "Der Volksentscheid hatte erschwerte Bedingungen, da die Innenverwaltung den Weg versperrte, ihn mit der Wiederholungswahl anzuberaumen. Die Mehrheit hat sich für mehr Klimaschutz ausgesprochen, aber das Ergebnis zeigt auch, dass die nötige Veränderung polarisiert und Ängste auslöst", erklärten Mertens und Ghirmai.

Die Berliner CDU hat nach dem Scheitern des Klima-Volksentscheids bekräftigt, dass Klimaschutz eines der wichtigsten Themen für die Landespolitik bleiben soll. Der Generalsekretär der Berliner CDU, Stefan Evers, erklärte am Sonntag: "Berlin sagt Ja zum Klimaschutz - aber Nein zu falschen Versprechen. Die Berliner wissen: Dem Klima wäre mit unrealistischen Zielen oder unbezahlbaren Gesetzen nicht geholfen." Wichtig sei entschlossenes Handeln, um "unsere bundesweit ambitioniertesten Klimaziele" schnellstmöglich zu erreichen.

Der Berliner FDP-Chef Christoph Meyer sagte, die Vernunft der Berlinerinnen und Berliner habe gesiegt. "Ein erfolgreiches Volksbegehren wäre ein weiterer Schritt hin zur Infantilisierung von Normsetzung in der Stadt gewesen." Zukünftig müsse sichergestellt werden, dass solche Volksbegehren bereits an der Rechtsförmlichkeitsprüfung scheiterten - "denn praktisch oder finanziell nicht umsetzbare Forderungen sorgen im Ergebnis nur für Politikverdrossenheit".

Auch die Berliner AfD hat das Scheitern des Volksentscheids zur Klimaneutralität positiv gewertet. "Ein gültiges Ja wäre verheerend für unsere Stadt gewesen. Gut, dass dieser Kelch an uns vorübergegangen ist", erklärte die Landesvorsitzende Kristin Brinker am Sonntagabend.

Erzwungen hatte das Bündnis „Klimaneustart“ die Abstimmung mit einer viermonatigen Unterschriftensammlung im Vorjahr. Im Falle eines Erfolgs wäre das geänderte Gesetz beschlossen gewesen und in Kraft getreten.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer zeigte sich trotz des Scheiterns optimistisch. „Wir lassen uns nicht aufhalten von den Kritikern und Nörglern. Lasst uns nicht vergessen, was wir hier möglich gemacht haben“, sagte Neubauer am Sonntag bei der Wahlparty des Bündnisses „Klimaneustart“.

Das Ergebnis sei keine Niederlage für die Klimabewegung, sondern eine Niederlage für alle Einwohnerinnen und Einwohner Berlins. „Das ist erstmal eine richtige Zäsur für alle, die auf Lebensgrundlagen angewiesen sind“, betonte Neubauer. Dennoch müsse diskutiert werden, weshalb zahlreiche Menschen auch gegen den Volksentscheid stimmten. „Wir müssen nicht drum rum reden, ich finde es auch hart, sich zu überlegen, was passiert mit den Menschen, die heute Nein gestimmt haben. Wir kämpfen auch weiter für die Menschen, die heute mit Nein gestimmt haben.“

Noch amtierender rot-grün-roter Senat stufte Ziel als unrealistisch ein

Klimaneutralität bedeutet, dass keine Treibhausgase emittiert werden, die über jene hinausgehen, die durch die Natur oder sonstige Senken aufgenommen werden. Dafür müssten die klimaschädlichen Emissionen etwa von Verbrennerautos, Flugzeugen, Heizungen, Kraftwerken oder Industriebetrieben um etwa 95 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die EU will bis 2050 soweit sein.

Umstritten war vor der Abstimmung, ob Berlin dieses Ziel überhaupt bereits 2030 hätte schaffen können. Die Initiatoren des Volksentscheids und ihre Unterstützer etwa bei Umweltorganisationen, Mieterverein, in der Kulturszene oder auch bei Grünen und Linken bejahten das. Der nach der Wiederholungswahl im Februar noch amtierende rot-grün-rote Berliner Senat, der demnächst voraussichtlich von einer schwarz-roten Regierung abgelöst wird, stufte das Zieljahr 2030 in einer Stellungnahme hingegen als unrealistisch ein.

Gleichwohl hätte Berlin mit einem strengeren Klimaziel nicht allein dagestanden. Nach Angaben des Vereins German Zero visieren in Deutschland etwa 70 Städte das Ziel an, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Auf europäischer Ebene unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 an der „EU-Mission für klimaneutrale und intelligente Städte“ teilnehmen.