Die Berliner Wirtschaft stellt sich gegen den Volksentscheid Berlin 2030 Klimaneutral, über den am Sonntag abgestimmt wird. „Das Ziel 2030 ist weder technisch, politisch noch finanziell erreichbar“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), Christian Amsinck am Dienstag: „Wir brauchen für den Klimaschutz realistische Ziele, bei denen Menschen und Wirtschaft auch mitgehen“.
Die UVB haben die Probleme anhand zweier Beispiele dargestellt. Der Ausbau der Ladestationen für Elektroautos müsste sich massiv beschleunigen. Statt bisher 400 neue Ladepunkte pro Jahr müssten 2000 installiert werden. Noch drastischer fällt das Urteil für den Gebäudesektor aus. 13 Milliarden Euro müssten pro Jahr aufgebracht werden, um bis 2030 alle 1,9 Millionen Berliner Wohnungen auf den Energiestandard KfW-40 zu bringen, so die UVB, die sich auf eine Studie aus dem Jahr 2020 berufen.
Wohnungen sanieren: Mehrkosten von 2,89 Euro pro Monat und Quadratmeter
Für Mieter würde das Mehrkosten von 2,89 Euro pro Monat und Quadratmeter bedeuten. UVB-Chef Amsinck warnte davor, für Berlin einen Sonderweg beim Klimaschutz einzuschlagen, während der Bund und die Europäische Union weiterhin 2045 als Ziel für Klimaneutralität anstrebten. Berlin müsse daher die enormen Kosten komplett selber tragen, warnte der Hauptgeschäftsführer. Ein Gesetz sei das falsche Instrument, um den Klimaschutz zu beschleunigen, so der stellvertretende UVB-Hauptgeschäftsführer Alexander Schirp.
Für die wirtschaftliche Entwicklung der Region zeigten sich die Unternehmensverbände einigermaßen optimistisch, obwohl gerade die energieintensiven Branchen und der Handel pessimistisch in die Zukunft blickten. Insgesamt schätzten 46 Prozent der befragten Unternehmen ihre Geschäftslage als sehr gut oder gut ein. 37 Prozent beurteilen die Situation als mittelmäßig, 16 Prozent geht es schlecht oder sehr schlecht.
Volksentscheid Berlin klimaneutral 2030: alle Infos in der Übersicht
Name |
Volksentscheid über ein klimaneutrales Berlin ab 2030 |
Ort | Berlin |
Termin | 26. März 2023 |
Zeitraum | 8 bis 18 Uhr |
Wahlberechtigte | 2.431.772 Personen |
Wahlvoraussetzung | in Berlin gemeldet, über 18 Jahre, deutsch |
Erforderliche Ja-Stimmen | 608.000 Stimmen |
Wirtschaft in Berlin erwartet von Schwarz-Rot Einigkeit
Für Berlin erwarten die Volkswirte der UVB im Jahr 2023 ein Wachstum von 0,5 Prozent, das wären deutlich mehr als die für ganz Deutschland prognostizierten 0,2 Prozent. Für Brandenburg gehen die UVB von einem Plus von einem Prozent aus. Das Wachstum des E-Auto-Bauers Tesla und die Entwicklung am Flughafen BER seien hier die wesentlichen Faktoren.
Von der möglichen neuen Berliner Koalition aus CDU und SPD erwarten die Verbandsvertreter Signale für einen wirtschaftlichen Aufbruch in Berlin. „Weniger Streit, mehr Einigkeit in entscheidenden Themen“, fasste Amsinck die Hoffnungen der Wirtschaft zusammen. Man erwarte, dass CDU und SPD bei den entscheidenden Zukunftsthemen wie Wohnungsbau, Infrastruktur, Bildung und Verwaltungsreform an einem Strang ziehen. Mit den nur noch dreieinhalb Jahren Regierungszeit verbinde sich der „Anspruch und die Chance, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren“, so der UVB-Chef.
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Lob für Klima-Sonderfonds von zehn Milliarden Euro
Ausdrücklich lobte Amsinck den von CDU und SPD verabredeten Sonderfonds für Klimaschutzinvestitionen von bis zu zehn Milliarden Euro. „Damit könnte Koalition ein Ausrufezeichen setzen“. Von dem Geld sollte auch etwas genutzt werden, um die Transformation der Unternehmen hin zu einer klimaneutralen Produktion zu unterstützen und die Energieversorgung umzubauen. „Es geht darum, einen Multiplikatoreffekt in der Wirtschaft auszulösen“, sagte Amsinck: „So kommen wir beim Klimaschutz schneller voran als mit dem Klimavolksentscheid.“
Die UVB erneuerten auch ihre Forderung, das Tempelhofer Feld an seinen Rändern zu bebauen und die Stadtautobahn A 100 von Treptow über die Spree hinweg nach Friedrichshain fortzuführen. Amsinck äußerte seine Sympathie für die Absichten des designierten Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU), zu beiden Vorhaben die Berliner zu befragen. Auf dieses Vorgehen haben sich CDU und SPD dem Vernehmen nach in der Dach-Arbeitsgruppe der Koalitionsverhandlungen bereits verständigt.
Ob ein solches Plebiszit von oben aber verfassungsgemäß ist und welche Verbindlichkeit ein Ergebnis hätte, ist umstritten. Der Verein Mehr Demokratie, der sich für Volksentscheide und Volksbegehren als Instrumente der direkten Demokratie stark macht, lehnt solche Befragungen von oben vehement ab.